Читать книгу Monolith - Max Kauer - Страница 7
4.
ОглавлениеAm Abend, im Alt Wien, redeten wir außer über den alten Fall natürlich auch auch über die Ereignisse des Tages.
„Entschuldigen Sie, das ergibt doch keinen Sinn!“
Wir drehten uns zu dem Mann um, der uns so ungeniert unterbrochen hatte. Es war der Meeresbiologe.
„Pardon?“
„Sag ich doch die ganze Zeit!“, sagte Phillip.
„Was ergibt keinen Sinn?“
„Na, was sie hier reden über Basilisken, Warenin, Malina, und jetzt noch über die Saliera und - wie war das? Ein Tor zur Hölle? - seit ...“ Der Meereskundler warf einen Blick in sein mehr als fünf Zentimeter dickes Buch. „Also ich höre ihnen zu seit 'Gnathostomulida'. Und jetzt bin ich bei 'Solenogastres'. Zwischen Gnathostomulida und Solenogastres liegen sieben bis acht Tierstämme. Wenn auch eher mikroskopische, wurmige, nicht gerade Superstars der Streichelzoos. Nichtsdestotrotz ergibt jeder dieser mikroskopischen Würmer mehr Sinn als das, was Sie hier so reden.“
Phillip hatte jetzt so einen Ausdruck in den Augen. Leute, die in diese Augen sehen, haben im Allgemeinen eine recht geringe Wartezeit bis zum nächsten Satz heißer Ohren. „Beleidigt uns der Spaßvogel?“ Phillip deutete mit dem Daumen auf den Spaßvogel.
„Ich weiß nicht. Beleidigen Sie uns - Spaßvogel?“
Der junge Mann legte sein Buch weg und zündete sich eine Zigarette an. „Aber mitnichten!“ Mit einer wegwerfenden Handbewegung verwedelte er den Rauch. „Ich meine, schauen Sie, ein berühmter Biologe sagte einmal: Nichts in der Biologie macht Sinn, es sei denn im Lichte der Evolution. Diese Würmer hier ...“, er klopfte mit dem Zeigefinger auf sein Buch, wobei ein wenig Asche auf den Einband rieselte. „Diese Würmer hier ergeben also einen Sinn. Bei ihrer Geschichte aber - kein Sinn.“
„Häh?“, sagten wir.
Der Mann nahm wieder einen Zug und rückte seinen Stuhl näher an unseren Tisch. „Ihrer Geschichte fehlt die Theorie. Irgendein Mechanismus, der erklären könnte, warum B auf A folgt. Kurz, warum das passiert ist, was passiert ist. Für diese Würmer hier ist diese Theorie die der Evolution. Sie sind entstanden durch Mutation und Selektion. Langsam, über Äonen. Bei ihrer Geschichte aber ... das ist, als würde einem Huhn von heute auf morgen ein Froschschenkel herauswachsen. Aus dem Arsch!“
Phillip hatte ein Auge zugekniffen, mit dem anderen sah er zwischen dem Biologen und mir hin und her und deutete mit dem Daumen wieder auf den Spaßvogel: „Ich weiß immer noch nicht ...“
„Ja ich auch nicht und überhaupt, haben Sie nichts Besseres zu tun, als die Gespräche anderer Leute zu belauschen?“
„Nein, sagte ich doch schon. Also gut, ich sollte dieses Buch durcharbeiten.“ Er klopfte wieder auf sein Meeresbuch. „Aber was Sie da so erzählen, ist weit spannender als Würmer, wenn ich einmal ehrlich sein darf.“
„Sie sagten doch, es würde alles keinen Sinn ergeben?“ Phillip kratze sich am Kopf.
„Ja, das macht es ja spannend! Würmer ergeben Sinn - vielleicht - so sicher bin ich mir da auch nicht bei allen. Das macht sie aber nicht wirklich abendfüllend. Also, so fern Sie nicht ein Wissenschaftler sind, der zu lange kein Tageslicht gesehen hat. Die sind halt so entstanden. Mein Gott. Schleimkram.“
„Die Würmer.“, ergänzte er nach einer Sekunde.
„Oh, ich dachte Sie sind Biologe ...“
„Aber wo! Das ist nur ein Auftrag.“ Hinter vorgehaltener Hand raunte er: „Und - unter uns - nicht der Interessanteste.“ Dann deutete er mit dem Zigarettenzeigefinger auf mich: „Aber hören Sie - ihre Geschichte - ich denke, ich könnte Ihnen helfen!“ Nach einem weiteren tiefen Zug dämpfte er die Zigarette aus.
Ich schielte zu Phillip. Der schielte zurück. Dann versuchte ich, ein wenig mehr Griff auf diese unerwartete Konversation zu bekommen, kam aber ein bisschen ins Schlittern: „Sie könnten uns ... das ist doch wirklich ... hören Sie! Sie können doch nicht einfach! Sag doch auch etwas!“, forderte ich Phillip auf.
Der sah mich an, dann den dreisten Störenfried: „Wie?“, fragte er.
Der Biologe, der keiner war, grinste und schob sich mit seinem Stuhl an unseren Tisch heran. Er war gut gekleidet. Hellgrauer Anzug, weißes Hemd, zeitlos elegant, könnte man sagen. Die fettigen halblangen Haare, Krankenkassenbrille und Aschereste auf dem Revers nahmen seinem Erscheinen aber wieder einen Gutteil der Eleganz. Er zog eine Visitenkarte aus der Brusttasche und legte sie sorgsam zwischen unsere beiden Biergläser. Wir reckten die Köpfe vor, um zu sehen, was darauf stand.
Dr. Andrej Eisenstein
Büro für Denkarbeiten aller Art
Wir starrten die Karte einige Sekunden an, dann nahmen wir einen Schluck Bier. Ich stellte mein Glas ruhig auf den Tisch zurück und studierte das Kärtchen lächelnd noch einmal. Innerlich kochte ich. Das war doch die Höhe! Dem Burschi würde ich die Leviten lesen. Bevor ich zu meiner vernichtenden Entgegnung schritt, atmete ich noch einmal ruhig durch ... zweimal.
„Ihr Kollege hat recht, Sie sollten nicht passiv rauchen, das ist schädlich. Wollen Sie eine?“ Der Denkarbeiter schüttelte eine Zigarette aus dem Päckchen und hielt es mir hin. Verdammt! Ich hatte den Faden verloren. Die Dreistigkeit dieses Typen ließ meine Leviten-les-Ambitionen abrupt auf Grund laufen.
„Machen Sie auch Sudokus?“, fragte Phillip.
„Der Kunde ist König.“
„Wie viel?“
„Zwanzig für Krone, Dreißig für Kurier, Fünfzig für Frankfurter Allgemeine. Das sind natürlich nur Richtsätze, ich mache auch andere Zeitungen, Japanische kosten Extra.“
„Ja, das macht Sinn.“, nickte Phillip ernsthaft. „Schön!“, sagte er und sah mich glücklich an.
„Äh“, schaltete ich mich ein.
„Super, ich wollte immer schon mal ein Sudoku machen.” Aufgeregt fischte Phillip eine lachsfarbene Zeitung von dem Tischchen hinter sich. „Bitteschön!”
„Jetzt gleich?”
„Natürlich jetzt gleich! Wir wollen doch ihre Qualitäten prüfen, bevor wir ihnen einen Auftrag erteilen.”
“W...? ”, gab ich zu bedenken.
„Na schön, dann bis gleich.“ Der Denkarbeiter nahm die Zeitung und zog sich an seinen Platz zurück.
„Praktisch!“ Phillip nahm zufrieden einen Schluck Bier. „Hör mal, wir könnten den Herrn doch gleich auch einmal wegen der seltsamen Dinge heute beauftragen!“
„Ähem“, testete ich meine Artikulationsfähigkeit. Funktionierte wieder. „Sag' einmal ... geht’s noch? Bist du noch bei Sinnen? Der Klugscheißer will uns doch verarschen. Denkarbeiten aller Art! Das ist doch Blödsinn! Hast du schon jemals von so etwas gehört?“
„Nö, hab ich nicht. Klingt aber vernünftig.“
„Vernünftig? Und du steckst ihm auch noch 30 Euro in den Rachen!“
„Nur, wenn er das Sudoku hinkriegt. Und das ist ein ziemlich gutes Geschäft, wenn man bedenkt, wie lange ich dafür brauchen würde. Das wäre nämlich ungefähr ...“ Phillip rollte für die Berechnung die Augen in den Schädel. „... für immer.“
„Aber ...“
„Und außerdem hat er einen Punkt.“
„Einen Punkt?“
„Na - recht.“
„Wie recht?“
„Es ergibt alles keinen Sinn. Die ganze Sache mit Warenin, dem Basilisken und jetzt mit der Saliera und ...“
„Die Matuschek sagt aber ... ich denke ...“
Phillip winkte ab.: „Die Matuschek, die Matuschek. Die benutzt uns doch nur, die Alte. Und apropos: denken. Seien wir ehrlich, wir sind nicht die allerbesten Denker. Wir sind ein bombiges Sonderermittlerteam. Action ist unser Job. Ärsche treten, Knochen brechen. Aber Denken ... hm hm“ Er machte eine wage Handbewegung. „Es macht vielleicht Sinn, das outzusourcen.“
„Was?“
„Na das Denken! An einen Profi. Heutzutage sourct man alles aus!“ Phillip war jetzt richtig Feuer und Flamme. „So, wie die Matuschek die Action an uns outsourct. Und überhaupt: mir geht‘s auf den Keks, dass der Drachen uns immer im Dunklen lässt über ihre wirklichen Pläne. OK! Sie sagt uns nichts? Gut! Dann finden wir‘s eben selber heraus! Lass' uns endlich richtige Sonderermittler sein!“
Er nahm einen Schluck Bier und sah mich herausfordernd an. Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Aber mit der Matuschek hatte Phillip einen Nerv getroffen. Er hatte ein Punkt, recht eben, dachte ich, als ich die goldene Flüssigkeit vor meiner Nase im Glas schwenkte. Bei allem Respekt, mir ging die strenge Dame mit ihrer Geheimniskrämerei nämlich schön langsam auch auf die Nerven. Außerdem hatte ich so viel Engagement von Phillip, außer in Faustkämpfen oder Verfolgungsjagden, noch nie gesehen. Und es machte wirklich keinen Sinn, das alles. Aber ich wollte verstehen! Wirklich verstehen. Phillip hatte Recht ... verdammt! Ich blickte über den Rand meines Bierglases. Er fixierte mich immer noch, sah, dass ich schwankte, wusste, dass er mich an der Angel hatte. Dann nahm er sein Glas und hielt es mir mit feierlicher Geste hin. „Was ist? Ermitteln wir, Herr Oberkommissar?“
Wir stießen an.
„Ermitteln wir!“
Wir tranken einen geschichtsträchtigen Zug Bier.
„Was denkst Du ...“, begann ich dann.
„Ah“ Phillip stoppte mich mit erhobenen Zeigefinger und deutete mit dem Daumen zum Nachbartisch. „Wir lassen denken, schon vergessen?“
In dem Moment schob sich der Denker mit seinem Stuhl wieder an unseren Tisch und ließ die Zeitung auf die Marmorplatte fallen. „Sodala, das wär's! Einmal Sudoku aus dem Standard, das macht dann 30 Euro bitteschön.“ In allen Kästchen des Sudokus standen jetzt Zahlen. Es waren keine drei Minuten vergangen, seit er mit dem Rätsel begonnen hatte. „Wenn Sie sich allerdings zu einer weiteren Beauftragung entschließen, und dazu würde ich Ihnen raten ... also dann würde ich Ihnen dieses Honorar im Sinne der Geschäftsanbahnung erlassen.“ Er schenkte uns ein liebenswürdiges Lächeln.
Wir beugten uns wieder vor, um das Sudoku zu begutachten. Phillip nickte mir auffordernd zu.
„Und - stimmt's?“
„Woher soll ich das wissen? Ich mache keine Sudokus. Ich esse auch kein Sushi.“
Phillip sah den Denker an: „Woher sollen wir wissen, ob es stimmt? Wir essen kein Sushi.“
Der Mann sah zwischen uns hin und her, dann lächelte er gütig, aber ernst: „In ihrem speziellen Fall ist es mir ein Vergnügen, Ihnen mein „Rundum-Sorglos-Paket“ anzubieten.
Mein Telefon läutete.
„Carli Schatzerl!“, schrie mir meine Mutter ins Ohr. Bei ihr im Hintergrund rauschte irgendetwas. Es klang nach Meer.
„Oh Mama, Servus! Was gibt’s. Was ist das für ein Lärm?“
„Wir sind jetzt hier draußen ... das musst du dir anschauen ... das Wasser ist wunderbar! Aber ein bisserl seltsam ist das schon ...“
„Von was redest du da? Wer ist wir. Wo draußen? Welches Wasser?“ Ich nahm nicht an, vernünftige Antworten auf meine Fragen zu bekommen. Meine Mutter hat es sich in den Kopf gesetzt, einen ordentlichen Alterspleen zu entwickeln und war auf einem guten Erfolgspfad.
„Bub, du mit deinen Schmähs! Du hast es uns doch selber grad gezeigt ...“
Dann brach die Verbindung ab.
Ich hatte keine Ahnung von was sie da redete.