Читать книгу Monolith - Max Kauer - Страница 5
2.
ОглавлениеAm Abend saßen wir dann im Café Alt Wien.
“Nein, Nein, Nein und nochmals Nein, Phillip!”
Zur Abwechslung führten wir dieselbe Diskussion, die wir seit Wochen ständig führten. Immer wieder. Meist an Donnerstagen. Immer und immer wieder. Eines muss man Phillip lassen, wenn der einmal Blut gerochen hat, dann bleibt er dran an seiner Beute. Wie so ein Kampfhund, der einen Hydranten abbeißt und totschüttelt, wenn er ihm blöd kommt. Es gibt allerdings nur wenige Dinge, die Phillip ein solches Engagement entlocken. Eines dieser Dinge ist die Nahrungsaufnahme. Wenn Phillip seine Semmel will, dann will er seine Semmel. Punkt. Da wird alles andere zur Nebensache. Auch die Verbrechensbekämpfung. Die andere Sache sind Frauen. Die Tatsache, dass wir seit Wochen um die gleiche Angelegenheit stritten bedeutete, dass es nicht um Leberkäsesemmeln ging, denn obwohl mir nicht ganz wohl dabei ist, mit einem Semmelsüchtigen zusammenzuarbeiten, funktioniert Phillip eigentlich sehr gut, wenn er seinen Pegel hält. Er ist Pegelesser, kein Komaesser. Deswegen stehe ich ihm da nicht im Wege und es gibt für seine Sorte Problem in unserer Stadt auch genügend Dealer, sprich Würstelstände in ausreichender Dichte. So, jetzt denken Sie sich: Aha, wenn es also nicht um Leberkäsesemmeln im Dienst geht, geht es also um Frauen im Dienst. Nein, tut es nicht. Aber was, bitteschön, fragen Sie jetzt, habe ich, Carl Ford, Oberkommissar der Sonderermittlungseinheit, dann damit zu tun? Denn wie Phillip sich in seiner Freizeit vergnügt, kann mir doch Banane sein, wie er sagen würde. Gute Frage! Nächste Frage! Weil, das ist alles streng geheim und auch nicht einfach zu erklären. Aber soviel kann ich sagen: ich hatte eine Telefonnummer, Phillip wollte sie haben und ich hatte mir geschworen, ihm diese nicht zu geben.
„Und warum nicht?“, fragte Phillip in der Art eines Fünfjährigen, dem man erklären muss, warum er jetzt nicht den Megakrokanteisbecher mit extra Portion Schlagobers und Pommes-Frittes zum Mittagessen bestellen kann. Das heißt, Phillip kannte die Antwort genau, hatte sich aber vorgenommen, solange zu fragen, bis er die gewünschte Antwort bekommen, oder dem Befragten das Hirn zu den Ohren herausrinnen würde. Seine Taktik zeigte Wirkung, ein gewisser Innendruck machte sich an meinem rechten Trommelfell schon bemerkbar. Ich holte tief Luft, um zu meinem üblichen Sermon anzusetzen und passiv-rauchte dabei eine halbe Gauloises. „Weil sie dich auffrisst!“, rief ich. Dann wurde ich von einem Husten unterbrochen und eine Leichtigkeit stieg mir in den Kopf. Verstohlen atmete ich noch einmal tief ein.
„Du rauchst schon wieder heimlich.“, stellte Phillip fest. „Das ist armselig. Entweder Rauchen oder Nicht-Rauchen. Aber ins Kaffeehaus zu gehen, um heimlich die Zigaretten anderer Leute passiv zu rauchen ist so, als würde man sich die Reste ihrer Gläser zusammen mixen.“
„Keine Ahnung von was du da redest.“ Ich hustete noch ein wenig weiter.
Phillip rollte mit den Augen: „Also, warum nicht?“
„Gott! ... welchen Teil von Weil-sie-dich-auffrisst-mit-Haut-und-Haaren-razeputz-und-nix-überlässt verstehst du denn nicht?“, rief ich erschöpft. Ein junger Mann am Nachbartisch sah abwesend von seinem Buch auf und in unsere Richtung. Der Ober stellte meinen Kaffee und Phillips Frankfurter mit Gulaschsaft und Semmel auf den runden Marmortisch vor uns. Kaffee und Würstchenduft konkurrierten nun mit Gauloises. Leberkäsesemmeln gab es hier keine, also musste Phillip mit einer Ersatzdroge vorliebnehmen. Behende zerteilte er die Semmel in zwei Hälften, schaufelte mit dem mitgelieferten Löffel Gulaschsaft darauf, zerlegte die Würstchen in kleinere Stücke, legte sie auf eine Hälfte, presste die andere darauf und biss sogleich in die solchermaßen entstandene Frankengulasch-Semmel.
„Wienerwürstchengulaschsemmel – lecker!“, Phillip leckte sich genüsslich die Lippen.
„Mein Gott. Phillip! Das kann man doch nicht machen.“, flüsterte ich. Phillip schaffte es immer wieder, ohne jede Scham kulinarische Tabugrenzen zu überschreiten. Seine spontane Erfindung des Leberkäse-Hotdogs war mittlerweile allerdings so etwas wie ein Geheimtipp an Würstelständen im zweiten Wiener Gemeindebezirk geworden, mit Tendenzen, sich weiter auszubreiten.
„Um deine Frage zu beantworten: Keinen Teil.“
„Was?“
„Warum sollte sie mich auffressen, ist doch Blödsinn! Ich lasse mich nicht so schnell von Damen verspeisen!“, schmatzte Phillip. „Bin ja nicht du.“
„Schon vergessen, was mit Warenin passiert ist?“, fragte ich liebenswürdig.
„Der ist von einem Godzilla-Basilisken gefressen worden, nicht von einer feenhaften Russin.“
Vermutlich sind sie jetzt verwirrt. Das ist vernünftig, denn das alles war auch sehr verwirrend. Deswegen habe ich die ganze Geschichte ja aufgeschrieben und sie können sie nachlesen, sie ist unter dem Titel 'Pratermonster' an die Öffentlichkeit gelangt. Wenn Sie dann noch immer nicht durchblicken: Willkommen im Club! Aber für den Durchblick haben wir ja die Frau Ministerialrätin Matuschek. Die können Sie fragen. Nur, dass sie Ihnen nichts sagen wird. Denn die Frau Rat sagt auch uns selten etwas Nützliches. Oder finden Sie: „Meine Buben, ihr macht's das schon!“, besonders hilfreich? Genau. Wir „machen's“ dann aber eben und die Matuschek ist meist auch zufrieden. In letzter Zeit hüllt sich sie sich aber wieder in sehr intensives Schweigen. Brütendes Schweigen, wenn sie mich fragen.
„Nei ...“ Plötzlich hörte ich die Stimme meines Lieben Ausbildners. Es klang bereits ein wenig, als würde er aus einem Aquarium zu mir sprechen. Er sagte: „Wenn du denkst, das Hirn rinnt dir zu den Ohren heraus, dann tue das.“ Ich tue immer, was der Liebe Herr Ausbildner mir rät, denn es rettet mir normalerweise das Leben, also tat ich es auch dieses Mal. Ich lächelte Phillip an. Eine große Ruhe machte sich in mir breit. Der Druck an meinen Trommelfellen ließ langsam nach. Ich ließ den Blick durch das Lokal schweifen. Der junge Mann am Nachbartisch musterte mich über den Rand seines dicken Buches. Er las „Rupert Riedl: Die Fauna und Flora des Mittelmeeres.“ Also momentan las er nicht, momentan sah er mich unverwandt an. Ein Biologe. Wie schön, dachte ich mir. Ach das Mittelmeer, wie schön, dachte ich mir. Ich lächelte. Ich sah azurblaues Wasser, Kalkriffe, gemütliche Strandtavernen. Dann sah ich eine Hand. Die schnippte mir vor dem Gesicht herum. Phillips Hand. Ich lächelte die Hand an, überlegte kurz, ob ich hinein beißen sollte, nicht fest, nicht unfreundlich, nur gerade so ein bisschen, entschied mich aber dagegen. Ich atmete noch einmal tief ein und beendete die Übung, mit der mir der liebe Herr Ausbildner wieder einmal das Leben gerettet hatte.
Phillip starrte mich an: „Bist du fertig ja? Sehr erwachsen! Wirklich sehr erwachsen. Wenn dem Herrn Kommissar die Argumente ausgehen, dann steckt er sich die Finger in die Ohren. Bravo!“
„Phillip.“, sagte ich mit versöhnlicher Stimme.
„Carli.“, sagte Phillip mit verstellt-versöhnlicher Stimme. „Ist es, weil ich Deutscher bin?“
„Aber Phillip ...“
„Ja ja der Herr Kommissar darf sich mit seiner Einbrecherkönigin vergnügen, aber der Piefke muss die Goschn halten.“
Ich muss hier erwähnen, dass es gewisse Gerüchte um den professionellen Hintergrund meiner Freundin Lina, die ich während unseres letzten Falles kennengelernt habe, gibt. Nichts als haltlose Vermutungen. Lächerlich. Gut, ihr Großvater war ein Einbrecherkönig und sie selbst hat uns bei ein paar Schlössern ausgeholfen. Also bitte! Eine Familienbegabung eben. Genau!
„Einbrecher ...“, höhnte ich, einen ungläubig-lächerliche-Gerüchte-zurückweisenden Ton anschlagend.
„Königin ...“ Ich war noch nicht ganz zufrieden mit meinem ungläubig-lächerliche-Gerüchte-zurückweisenden Ton, deswegen lachte ich einmal ungläubig auf. Hörte sich an, als hätte ich Schluckauf. Um meine ungläubige Empörung weiter zu unterstreichen, sah ich mich kopfschüttelnd um Zustimmung um.
„Bei Schluckauf hilft es, die Luft anzuhalten und zwanzig Schluck Wasser zu trinken.“, meinte der Mann mit dem Meeresbuch, der uns unverhohlen beobachtete.
„Danke!“
„Bitte!“
„Haben sie nichts Besseres zu tun, als anderen Leuten bei vertraulichen Gesprächen zuzuhören?“, fragte ich.
„Eigentlich nicht.“
„He!“ Phillip schnippte wieder.
Widerstrebend wandte ich ihm wieder meine Aufmerksamkeit zu: „Lächerlich. Unhaltbare Vermutungen.“
„Ha! Deine Freundin plant Raubzüge, dass Danny Ocean alt aussieht.“
„Der ist alt ...“, gab ich zu bedenken.
„Das ist nicht der Punkt! Hast du sie eigentlich schon einmal gefragt, wie sie zu ihren Fähigkeiten gekommen ist?“
Ich schwieg.
Phillips Stimme nahm einen ungläubigen Ton an: „Herr Kommissar hat seine Freundin noch nicht gefragt, ob sie vielleicht Einbrecherin ist!“
Ich starrte an die Decke. Ein Ventilator verquirlte träge die dicke Luft und verteilte so den Rauch schön gleichmäßig im Lokal.
„Du hast sie nicht gefragt. Ich werd' verrückt!“
Ich atmete ein wenig Gauloises ein und räusperte mich: „Unsere Beziehung ist in der sensiblen Anfangsphase, es gehört sich nicht, gleich die gesamte Vergangenheit des anderen auszuleuchten. So etwas braucht Zeit und äh ...“ Mir fiel nichts mehr ein. „Und außerdem bin ich Oberkommissar, warum nennt mich hier niemand Oberkommissar?“
„Vielleicht, weil dein Ermittlertalent nicht auf Kommissar hindeutet und schon gar nicht auf Ober!“
„Sie wünschen?“, fragte der Ober.
„Ha!“ Ich machte einen Schluckauf-Lacher.
„Eine Leberkäsesemmel!“, sagte Phillip gereizt.
„In der letzten halben Stunde haben wir die Speisekarte nicht umgestellt, gnä Herr!“
Phillip stierte ihn wütend an. „Dann zwei Bier! Und eine Fränkengulaschsemmel“
„Äh“
„
Warten Sie ich zeige es ihnen.“ Phillip stand stand auf, legte dem armen Mann die Hand auf die Schulter und ging mit ihm in die Küche.