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8.

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Offensichtlich war man hier nur auf erwartete Gäste vorbereitet, denn es gab keine Klingel, auch kein Namensschild. Ich wollte schon mein Handy zur Hand nehmen, um die Matuschek anzurufen, als sich das Tor mit einem sanften Geräusch öffnete und zurückwich. Wir tauschten einen Blick und gingen auf dem Kiesweg zur geschwungenen Empfangstreppe. Sobald wir das Anwesen betreten hatten, wirkte der Garten um ein Vielfaches größer als von außen. Das Palais machte einen irgendwie mediterranen Eindruck, eigentlich machte es einen hundertzwanzigprozentigen mediterranen Eindruck. Angefangen bei den Dachziegeln, über den blass altrosa Anstrich bis zu den hölzernen Fensterläden wirkte es so, als hätte jemand sein Grundstück in der Toskana ausgegraben, auf einen sehr großen Lastwagen gestellt und hier wieder abgeladen. Drei Säulenzypressen links und rechts des Treppenaufgangs rundeten das Bild ab. Sogar die Temperatur schien plötzlich ein paar Grade gestiegen zu sein. Es hätte mich nicht gewundert, hätten auch noch ein paar Zikaden zu zirpen begonnen. Von außen hatte das Grundstück keinen besonderen Eindruck gemacht, hier drinnen aber war es, als wäre man plötzlich 800 Kilometer in den Süden gereist.

„Fällt dir etwas auf?“, fragte ich Phillip.

„Ja, angenehm hier.“ Phillip machte seine Jacke auf. In seinem azurblauen Outfit fügte er sich sehr gut in die Umgebung ein.

„Meine Herren - endlich!“ Die Frau Ministerialrätin Matuschek stand auf einer kleinen Terrasse, zu der die Empfangstreppe empor führte. Sie trommelte mit den Fingern auf die Brüstung.

„Weiter Weg von Wien hierher.“, sagte Phillip, als wir die Treppe hochstiegen. „Wo sind wir eigentlich?“

„Witzig. Kommen Sie!“ Die Frau Rat drehte sich brüsk um und deutete uns, ihr ins Haus zu folgen. Wenn ich mich jetzt daran zurückerinnere, könnte ich schwören, sie hätte ein elegantes Sommerkleid und Sandalen getragen. Da spielt mir jetzt aber sicher die Erinnerung einen Streich, das würde auch überhaupt nicht zur Matuschek passen. Die habe ich noch nie in etwas anderem als im grauen Businesskostüm oder in Loden mit Hirschgenweihknöpfen und grünem Hut gesehen. Erinnerungen sind aber trügerisch. Obwohl Augenzeugen nach wie vor bei Kriminalisten hochgeschätzt sind, gibt es doch erstaunliche Studien darüber, was Leute meinen gesehen zu haben, aber unmöglich gesehen haben konnten. Oder was sie sehen hätten sollen, ja hätten müssen, aber nicht wahr genommen hatten, weil sie abgelenkt waren. Unser Hirn, so scheint es, ergänzt und editiert gerne und ohne groß um Erlaubnis zu fragen Erinnerungen, je nachdem, wie gut sie in eine runde Story passen. So gesehen kann man davon ausgehen, dass man einen Großteil seiner Erinnerungen überhaupt nicht erlebt hat. Auch irgendwie interessant.

Wir betraten das mediterrane Refugium. Der äußere Eindruck setzte sich im Inneren des Hauses fort. Terrakotta-Fußboden, Kommoden mit geschwungenen Beinen, Spiegel mit Patina, Lasuren in Pastelltönen, freiliegende Ziegelmauern. Die Andeutung einer Meeresbrise lag in der Luft. Wir folgten der Frau Ministerialrat durch einen geräumigen Vorraum, von dem weiße Flügeltüren mit halbblinden Glasfenstern in drei Richtungen führten. Die Matuschek nahm die mittlere Tür und wir folgten ihr in einen großen Wohnsalon. Rechts befand sich ein Kamin, davor eine geschmackvolle Ledersitzgruppe. Zwei Wände wurden hauptsächlich von Bücherregalen eingenommen, links stand ein eleganter Schreibtisch, dahinter ein massiver, dunkler Bücherkasten, daneben gab eine Front aus Holz und Glas die Sicht in den Garten frei, in dem, dem Wiener Wetter zum Trotz, alles zu blühen schien. Dahinter vermutete ich das Meer. Zwischen den Bücherregalen hingen teuer aussehende Bilder, auch einige Skulpturen standen unaufdringlich im Raum. Auf der Art-Deco Ledercouch saß Sofia Loren in jungen Jahren. Ich schätzte sie auf zirka dreißig. Sie trug ein enges weißes Kleid, das anfing, kurz bevor es zu aufregend wurde und einen Hauch über den Hauptattraktionen aufhörte. Sie hatte die Beine elegant übereinander geschlagen.

„Willkommen! Bittäschän sätzen Sie sich!“ Frau Loren machte eine einladende Geste auf die Clubsessel der Sitzgarnitur.

„Ollala!“, raunte Phillip. „Küss die Hand gnä Frau. Ich dachte Sie wären Italienerin?“ Er machte eine kleine elegante Verbeugung über der ihm beiläufig hingehaltenen zarten Hand. Dann ließ er sich auf die Couch nieder, seine gesamte Aufmerksamkeit auf die Filmlegende fokussiert. Die lächelte kokett. Ich setzte mich artig auf den angebotenen Ledersessel und zupfte Phillip von hinten an der Jacke.

„Was ziehst du hier für eine Show ab?“, flüsterte ich.

„Tanzschule Ellmayer, Abendkurs. Sehr zu empfehlen, fetzt voll bei den Damen.“, flüsterte er über die Schulter, ohne die Augen von der Beute zu nehmen.

Die Matuschek blieb stehen und trommelte mit den Fingern auf die Lehne des anderen Sessels. „Kommen wir zur Sache. Erstens. Darf ich vorstellen: Contessa Kosić!“ Die Contessa nutzte ihre langen geschwungenen Wimpern für einen Augenaufschlag der Spitzenklasse. Ich meinte die dadurch verursachte Luftbewegung zu spüren.

„Zweitens. Die Schauspielerin, die sie meinen, Herr Kossel, ist schon über die Achtzig. Drittens. Frau Contessa, darf ich vorstellen: Herr Oberkommissar Ford und Herr Kommissar Kossel.“

Die Contessa wechselte ihr Mienenspiel von kokett zu verzweifelt-kokett: „Oh, ich bin so froh, dass sie hier sind. Ich hoffe so sehr, dass sie ihn findän!“ Sie faltete die Hände wie im Gebet unter ihrem Kinn. Klassisches Phänomen. Da sieht man etwas sein Leben lang nicht und dann plötzlich, ist es überall: das war schon das zweite Händeringen, das ich heute beobachten durfte. Musste an den gräflichen Akteuren liegen.

„Das Vergnügen ist ganz auf unserer Seite, Frau Contessa!“, schnurrte Phillip.

„Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, ich bin verwirrt“, wandte ich mich an die Dame. „Ihr Akzent klingt ein wenig ungarisch, ihr Name ... äh ... ex-jugoslawisch und Contessa sind sie auch noch ...“

Die Frau Ministerialrätin sprang ein: „Meine Schuld, ich habe sie nicht ordentlich vorgestellt. Contessa Kosić, geborene Zsupán, ist die Frau des Grafen Kosić, oder Conte Kosi, dessen Grafschaft - Monte Kosi - im Gebiet des heutigen Kroatiens, früher aber Italien, nie in irgendeinem Staatsvertrag erwähnt wurde, und deshalb strenggenommen ein eigener Staat ist. Das manifestiert sich heutzutage aber nur noch durch eine ... abweichende Steuergesetzgebung in Monte Kosi. Davon haben sozusagen alle etwas. Aus Gründen der Tradition unterhält der Conte auch offiziell diplomatische Beziehungen mit einigen Ländern, insbesondere Österreich, das die Grafschaft ja früher umschloss.“

„Conte Kosi aus Monte Kosi!“, sagte ich.

„Charmant!“, sagte Phillip.

„Wollen Sie nicht wissen, wen sie finden sollen?“, fragte die Matuschek genervt.

„Ach ja. Wen denn?“

„Meinen Mann! Er ist verschwundän!“ Die Stimme der Gräfin erbebte, ebenso ihr Dekolleté.

„Nein, wie - fürchterlich!“ Phillips Brustton der Bestürzung klang für Leute, die ihn nicht kannten, vermutlich echt. Ich wusste aber mit Sicherheit, dass seine Hauptaufmerksamkeit dem bebenden Dekolleté der Contessa galt. Das war verständlich, denn es war ein äußerst faszinierendes Naturschauspiel. Insbesondere jetzt, wo ihr Mann verschwundän war.

„Meine Herren?“, unterbrach uns die Matuschek in unserem Mitgefühl.

„Ah ja ... also seit wann ist ihr Mann denn verschwundän, ähem, verschwunden?“, fragte Phillip.

„Seit gestern!“

„Gestern? Nicht, dass ich glaube, dass das ein Fall für uns ist ... verschwundener Conte aus Monte ...“ Ich warf einen anklagenden Blick Richtung Matuschek.

„Oh - sie wollen ihn nicht suchän?“ Große Rehaugen blickten gehetzt zwischen uns hin und her.

„Also bitte! Du bringst sie noch zum Weinen. Sie müssen meinen Partner entschuldigen. Er ist so unsensibel!“ Phillip warf mir einen strafenden Blick zu und nahm dann behutsam die zarten gräflichen Hände in die seinen. Bei ihm wirkte das so natürlich. Eine flüssige Bewegung und zack, schon hielt er Händchen mit einer sexbombigen Contessa. Manch einer würde töten für solche Fähigkeiten. Allen voran Phillip selbst. Die Contessa beruhigte sich ein wenig.

„Warten Sie's ab!“, sagte die Matuschek, „Contessa?“

Die Gräfin nahm ihre Hände wieder an sich, legte sie keusch in den Schoß und fuhr fort: „Mein Mann sagte, er würde schwer zu erreichen sein, deswegen machte ich mir zunächst keine Sorgen. Er wollte ein neues Objekt erwerben. Aber seit gestern habe ich nichts von ihm gehört!“ Die Contessa bebte wieder. Matuschek warf Phillip einen strengen Blick zu, worauf dieser auf Beruhigungsversuche verzichtete. Ich für meinen Teil schüttelte den Kopf in Richtung der Ministerialrätin. Das war doch kein Fall für uns! Sie deutete mit einer Hand: abwarten.

Augenrollend fragte ich: „Was für ein Objekt wollte er denn erwerben? Und wo?“

Die Contessa fing sich diesmal auch ohne Phillips Hilfe recht schnell: „Er hat nicht gesagt. Ich glaube, er wusste es zunächst selbst nicht so genau. Vielleicht ist er auch nach Italien gefahren.“

„Conte Kosi ist ein bedeutender Kunstsammler und Händler.“, erklärte die Matuschek.“

„Und was für ein Objekt wollte er erwerben?“

„Das hat er nicht gesagt. Aber jetzt ist hier dieses Ding aufgetaucht!“

„Ding?“, fragte ich.

Die Frau Ministerialrat unterbrach mich. „Contessa. Könnten wir uns vielleicht die Sammlung ihres Mannes ansehen. Ich denke, die Kommissare werden das interessant finden.“

„Bitte sehen Sie sie an. Viel Spaß!“

„Wir finden den Weg, bemühen Sie sich nicht!“ Matuschek ging zielsicher auf eine Tür zwischen zwei Bücherschränken zu.

„Vielleicht sollte ich auf die Contessa aufpassen, immerhin verschwinden hier Menschen!“, erbot sich Phillip.

„Kommen Sie!“, knurrte Matuschek.

Wir folgten ihr. Die Contessa begleitete uns bis zur Tür. Dahinter befand sich ein Korridor, dessen Wände aus naturbelassenen Steinen gemauert waren. „Ich weiß ihr Angebot zu schätzen.“, sagte die Gräfin zu Phillip. Ihre Wimpern machten 'SWUSCH' und sie schloss die Tür hinter uns.

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