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Wien. Wir schreiben das Jahr 2016. Dies sind die Abenteuer der Sonderermittlungseinheit, die mit ihrer zwei Mann starken Besatzung in Wien unterwegs ist, um Besonderes zu ermitteln. Logbucheintrag Oberkommissar Carl Ford: Donnerstag, fünfzehnter Mai, 5:30. Herr, erlöse mich von meinen Qualen. In Worten: Fünf Uhr dreißig. Anmerkung: ich schreibe das extra noch einmal so hin, damit Sie nicht glauben, Sie hätten sich verlesen. Die Sonderermittlungseinheit erforschte Tageszeiten, an denen Menschen zuvor gewesen sein mochten, das war aber eigentlich deren Problem, nicht meins, dachte ich mir um fünf Uhr dreißig. Um 5:30 besichtigten wir einen Tatort und bald darauf standen wir vor dem Tor zur Hölle und einem Blutsee. Immerhin. Immerhin Blutsee, das zumindest brachte wieder ein wenig Normalität ins Leben der Sonderermittlungseinheit.

Der Tatort, der es so eilig hatte, sich in meinen Tag zu drängen, dass er den Morgenkaffee um mehrere Stunden auf die Ränge verwies, war das Kunsthistorische Museum in Wien. Dort, auf den Stufen zum Haupteingang, stand ein großgewachsener, schlanker und über die Maßen vornehmer Mann. Er trug einen teuren, aber unaufdringlichen grauen Anzug mit seidenem Krawattenschal und rang mit den Händen. Doch wirklich! Ich hatte noch nie jemanden mit den Händen ringen sehen, dachte, das hätte man so ungefähr nach dem Mittelalter aufgehört. Da war Händeringen ja gang und gäbe, als die Burgfräulein diese Technik benutzten, um ihren Rittern beim Zweikampf zuzusehen. Aber heutzutage? Doch das hier war eindeutiges Händeringen, klar und deutlich, kein Zweifel. Eine Hand kämpfte richtiggehend mit der anderen um die dramatische Hauptrolle auf einer Bühne, die vom Hemd des feinen Herrn in ultraweißem Weiß bestrahlte wurde. Darüber, am Kopf des Mannes wehte, wie die Fahne am Burgturm, eine grau-blonde Föhnwelle besorgt im schwachen Wind.

„Guten Morgen!“, sagte ich.

Der elegante Herr hielt in seinem Hängeringen kurz inne und setzte ein besorgtes Lächeln auf. „Es tut mir sehr leid, wir haben heute geschlossen. Etwas Schreckliches ist passiert!“ Selbst seine Stimme wirkte teuer. Oder besser exquisit, wie ein Luxusgegenstand, nicht aufdringlich, sondern höflich, ja freundlich - und tief besorgt. Dann rang er weiter.

Ich holte meinen Ausweis hervor. „Ford, Oberkommissar Carl, Sonderermittlungseinheit.“

Der Museumsgraf, wie ich ihn bereits in Gedanken getauft hatte, befreite seine Hände aus der Möbiusschleife, zu der seine großen Sorgen sie verdammt hatten und breitete die Arme aus, wie zu einem Segen. „Ach! Da sind Sie ja! Endlich! Etwas Schreckliches ist passiert!“

„Das will ich hoffen!“ Aus nudeligen Augen, deren Funktionsfähigkeit durch Schlaf- und Frühstückskaffeeentzug grob beeinträchtigt war, musterte ich den makellosen Herrn des Museums und versuchte ihn zu hassen. Aber so sehr ich mich bemühte, ich konnte es nicht. Um fünf Uhr dreißig hätte ich gerne jemanden gehasst, doch der Museumsgraf war einfach denkbar ungeeignet als Hassobjekt. Er wirkte dafür viel zu freundlich und aufrichtig. Aufrichtig freundlich. Kurz versuchte ich ihn für seine aufrichtige Freundlichkeit zu hassen, aber das wurde auch nichts. Vielleicht sollte ich die Matuschek hassen, überlegte ich, immerhin war sie es, die mich auf diese Expedition in zurecht unerforschte Zeitzonen beordert hatte. Das tat sie in letzter Zeit überhaupt gerne – uns zu Tatorten zu zitieren, die sich dann als totaler Flopp herausstellten. Auch hier, wenn es denn ein Tatort war, hatte ich meine Zweifel. Was bitte sollte das Kunsthistorische Museum der Sonderermittlungseinheit bieten können? Ich meine Tatort-technisch. Aber die Matuschek hatte befohlen, da mussten wir ran. Und hin. Um 5:30.

Wir, Phillip und ich, sind die Sonderermittlungseinheit, die Matuschek ist die Chefin der Sonderermittlungseinheit. Sie können sich die Matuschek vorstellen wie Darth Sidious im Lodenkostüm. Aus der Ferne könnten Sie die dickliche Dame mit bläulichem Haar und alpenländischen Businessoutfit noch mit einer harmlosen Besucherin von Innenstadtcafés und Organisatorin von Wohltätigkeitsbällen verwechseln. Aber nur, bis sie Ihnen ihre rasiermesserscharfe, ministerialrätliche Aufmerksamkeit zuwendet. Dann wird schnell klar: Wenn die Matuschek sagt „hopp“, dann besser hopp. Die Matuschek ist mächtig, wobei mir aber unklar ist, auf welchem ihrer zahlreichen Ämter ihre Macht eigentlich genau beruht. In letzter Zeit macht sie jedenfalls freizügig davon Gebrauch, um uns im schönen Wien herumzuscheuchen. Widerrede zwecklos. Wir reden auch nicht wider. Nicht gegen die Frau Rat. Wir sind vielleicht knallharte, hartgesottene Sonderermittler aber lebensmüde sind wir nicht! Als Hassobjekt schied sie also auch aus. Das traut sich niemand, die zu hassen. So blöd ist keiner.

Um Zeit zu sparen, war ich auf die uncoolste Art angereist, die der Menschheit bekannt ist: Mit einem City-Rad. Ein City-Rad eignet sich gut zum Hassen. Ist es doch einer dieser Werbeträger auf zwei Rädern, dessen einzige Designvorgabe war, diebstahlsicher zu sein. Dieses Ziel wurde voll und ganz erreicht. Ja man kann sagen übererfüllt, also wenn das Ziel war, im potentiellen Dieb das maximale Nichtbegehren zu erzeugen, Abscheu vielleicht sogar, die aber nicht so weit gehen durfte, in Zerstörungswut zu münden. Bei Betrachtung des Rades sollte ein ephemeres Gefühl des Unbehagens, vielleicht der Wunsch, ein schickes Designerrad zu erwerben, aber keinesfalls das Bedürfnis, spontan aufzusitzen und wegzufahren, entstehen. Das war sehr gut gelungen. Wegtragen kam auch nicht in Frage, denn ein City-Rad wiegt eine Tonne. Dessen Krönung aber ist das Körberl. Sinnreich und gewitzt vorne am Lenker angebracht, induziert das Körberl bei Beladung unerwartete Lenkmanöver und ist der Grund dafür, dass nur die härtesten der harten Ökofaschisten, und diese auch nur in großer Zeitnot, zu diesem Hoffnungsträger der Klima-Neutralbewegung auf zwei Rädern greifen. Man kann das City-Rad durchaus mit Recht sowie mit Nachdruck hassen. Leider finde ich es eigentlich ganz praktisch. Vielleicht muss ich der grausamen Wahrheit in die blauen Kinderaugen blicken und erkennen: ich bin einfach nicht so der hassende Typ. Ein wenig kann ich mich dafür selber hassen – immerhin.

„He Phillip!“, rief ich, als ich gerade den letzten Tretvorgang hinter mir hatte und Richtung City-Rad-Docking-Station ausrollte. Viele City-Räder haben nur einen Gang, weswegen man die Wahl hat, entweder mit 1 km/h dahinzueiern oder immer wieder ordentlich zu treten und dann zu rollen, bis man durch Treten wieder Kraft übertragen kann. Letztere Fortbewegungsweise erinnert frappant an den Fahrstil von Vorschulkindern und ist unter den uncoolen Fahrtechniken die Uncoolste. Insbesondere wenn der Fahrer sich während des Tretens vor Ehrgeiz auf die Zunge beißt, deren Spitze rosig aus dem Mundwinkel leuchtet.

Phillip sah sich um, erstarrte und hastete weiter. Speed-walkend und, ohne sich noch einmal umzusehen, verschwand er hinter einem kugeligen Busch im Vorpark des Museums. Ich klickte das City-Rad in seine Halterung und lief ihm hinterher. Als ich um die Ecke bog, packte mich eine Hand an der Schulter. Jahrelanges Training in Spezialeinheiten sagte mir, dass das die Hand eines Menschen war, der sich aufs Kämpfen verstand. In solchen Fällen höre ich dann immer die Stimme meines Lieben Herrn Ausbildners, des LHA, der mir sagt, was zu tun ist und das tue ich dann auch. Im Bruchteil einer Sekunde hatte ich die Hand gepackt und mich so positioniert, dass ich den Angreifer elegant von dannen werfen konnte, nicht ohne ihm vorher noch schön ein paar Rippen zu brechen. Damit hatte die Hand aber offensichtlich gerechnet und leitete ein Gegenmanöver ein. Ein Profi, ganz klar. Ich drehte mich um und sah in die wutentbrannte Fratze des Angreifers. „Was soll das Phillip? Was hast du denn überhaupt? Rennst weiter ohne Hallo zu sagen ...“

„Bist - du – glücklich - ja?“, spuckte mir Phillip jedes Wort einzeln ins Gesicht. „Stehst du in der Früh auf und fragst dich: Hm, wie könnte ich meinen Sonderermittlungspartner heute wieder bis aufs Blut blamieren? Oh! Ich weiß! Ich komme, wie der letzte Dorfdepp auf einem ... Ding ...“, er spie das letzte Wort förmlich aus, als hätte er sich den Mund daran verätzt, „... daher gefahren, das meiner Tante Annegret aus Brotterrode-Trusetal die Verbannung aus der Dorfgemeinschaft einbringen würde, würde sie damit eine Runde um den Löschteich fahren, und kompromittiere so meinen Sonderermittlungspartner, der mir regelmäßig das Leben rettet und auf meinen verzärtelten Ösi-Arsch aufpasst. Und das direkt vor den Augen seiner super-heißen Freundin, die voll darauf abfährt, dass er in einer ultracoolen Sonderermittlungseinheit arbeitet ...“

Phillip hatte offensichtlich kein solches Problem mit Hassen wie ich. Er redete sich immer mehr in Rage, schwarze Schatten bildeten sich um seine Augen. Ansonsten war er natürlich trotz der frühen Stunde wie aus dem Ei gepellt: Designerjeans in einer modischen Version von Türkisblau, ein ebenfalls blaues Jackett, das Hemd strahlend weiß, beige-graue Accessoires. Farblich erinnerte er mich an einen Traumstrand am Mittelmeer. Wirkte sicher bei den Frauen. Alles was Phillip macht, wirkt irgendwie bei Frauen. Bei den Superheißen. Dazu eine, mit gerade der richtigen Menge Gel sorgfältig in Unordnung gehaltene Trendfrisur und ein nicht minder sorgfältig gepflegter Dreitagesbart. Sie können sich Phillip vorstellen wie Johnny Depp in jüngeren Jahren. Mehr oder weniger eins-zu-eins Kopie, allerdings zwei, drei Nummern größer. Phillip konnte man sicher gut hassen, aber leider mochte ich auch ihn ganz gerne. Wenn auch aus anderen Gründen als das City-Rad.

„Azurro!“, kommentierte ich sein Outfit, als er eine Belferpause machte. „Geht’s wieder?“

„Trendfarbe Blau.“, erklärte er aggressiv. „Und du?“ Ich sah an mir hinunter. Ausgewaschene Jeans, die sich in Fußhöhe bereits auflöste, Converse, altes schwarzes T-shirt, alte Lederjacke. Immerhin war mein Dreitagesbart erst zwei Tage jung. Stellen Sie sich mich ruhig vor wie ihren Lieblingsschaupieler. Warum nicht?

„Du bist so eine Tussi.“, goss ich Öl ins Feuer. „Apropos - was für eine Freundin überhaupt?“

„Dort!“, Phillips Arm bohrte sich anklagend durch die Luft. Sein Finger zeigte auf das Heck eines sich rasch entfernenden mattschwarzen Cabrios.

„Ah ja. Sehr hübsch!“ Vielleicht konnte ich ihn ja doch ein wenig hassen. Ich kam mit dem City-Rad daher, er im Cabrio einer reichen, superheissen Tussi. Das charakterisiert uns leider ziemlich treffend.

Während Phillip weiter vor sich hin schmollte, gingen wir durch den Park zu dem monumentalen, klassizistischen Sandsteinbau mit Kuppel.

„Brotterrode-Gruseltal? Im Ernst?“, höhnte ich. Immerhin konnte ich höhnen, wenn schon nicht hassen. Phillip ist aus Thüringen, das ist in Deutschland, da gibt es schon komische Ortsnamen. Ich sah aus dem Augenwinkel, wie er die Faust ballte. „Trusetal!“, zischte er zwischen den Zähnen hindurch, dass der Speichel nur so sprühte.

„Say it don't spray it!”

Phillip kam aber nicht mehr dazu, mir eine reinzuhauen, weil wir am Museumseingang angekommen waren.

Womit wir wieder beim Museumsgrafen wären. „Leopold Palffy, ich bin der Direktor dieses Hauses.“, sagte der Direktor dieses Hauses, nachdem ich mich vorgestellt hatte. Er schüttelte uns die Hände, wobei er dem Händedruck mit der anderen Hand noch eine extra herzliche Note verlieh. Trotz seiner augenscheinlich übergroßen Sorgen, vermittelte er mir das aufrichtige und ehrliche Gefühl willkommen zu sein. Obwohl ich sonst nicht so auf Schnösel stehe, konnte ich nicht anders, als den Grafen zu mögen. Höflichkeit ist eine großartige Tugend, da hat der Herr Konfuzius schon Recht gehabt. Man sollte diesen Mann zur Befriedung in Kriegsgebiete schicken und ihn nicht seine Zeit händeringend auf Museumsstufen vergeuden lassen, dachte ich mir. Auch Oberkellner könnten sich etwas von ihm abschauen. Diese Überlegungen ließen meine Gedanken einen kleinen Abstecher Richtung versäumten Morgenkaffee nehmen.

„Eine Melange bitte!“, sagte der koffeinkranke Teil meiner Selbst schneller, als es der Rest von uns es begriff. Soviel zu Konfuzius. Der Graf zuckte mit keiner Wimper. „Das lässt sich sicher machen, Herr Oberkommissar! Sicherlich machen. Kommen Sie bitte. Sie erlauben, dass ich voraus gehe.“

„Oh entschuldigen Sie vielmals ... ich wollte nicht ... es ist nur so ... ich habe heute noch keinen ...“

„Aber bitte, Herr Oberkommissar. Wir sind alle verstört heute. So ein Unglück!“

Er nannte mich Oberkommissar! Niemand nannte mich jemals Oberkommissar! Und jetzt führte mich das Schicksal mit diesem wunderbaren Menschen zusammen, der mich Oberkommissar nannte, und ich Koffein-Junkie behandelte ihn wie einen Kellner! Ich setzte zu einem weiteren entschuldigenden Stammeln an.

„Haben Sie auch Leberkäsesemmeln?“, fragte Phillip.

Der Graf stolperte. Es war eigentlich kein Stolpern, mehr eine winzige Unebenheit in des Grafen geschmeidigen Bewegungen, ein leichtes Wanken. In weniger als dem Bruchteil einer Sekunde hatte er sich aber wieder gefangen.

„D ... Da muss ich fragen ... „

„Cool! Noch besser wäre Leberkäse-Hotdog.“

„Phillip bitte! Entschuldigen Sie, Herr Graf, äh, Herr Direktor ...“ Phillip kicherte.

Resignierend sagte ich: „Also, was ist denn passiert?“

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