Читать книгу Monolith - Max Kauer - Страница 9
6.
Оглавление„Wer war das?“ Eine unangenehme Stimme durchschnitt das Volksgemurmel, das nach dem Sirenenlärm zögernd wieder losgepätschert war und das durch diese Stimme abrupt und nachhaltig wieder zum Verstummen gebracht wurde. Die Frage war ungeduldig, quasi fingertrommelnd vorgetragen. Die unangenehme Stimme gehörte einer Person, die das Kunststück zu Stande brachte, noch unangenehmer zu sein, als ihre Stimme. Die Person stand in der großen Flügeltür, von deren beträchtlicher Breite sie physisch nur einen kleinen Teil einnahm, einen Beistrich quasi. Der Rest wurde aber locker vom Ego der unangenehmen Person ausgefüllt und damit jegliche Fluchtmöglichkeit blockiert. Betretenes Schweigen erfüllte angstvoll den Raum. Die Spurensucher starrten beklommen auf ihre Schuhe, die Mutigeren starrten auf die Schuhe der Dame.
„Wieder einmal niemand. Gut, das werden wir ja sehen. Ich darf dann alle Anwesenden bitten aus dem Tatort zu treten.“
Weiterhin beklommen auf Schuhe starrend, sich gegenseitig schubsend und panisch tuschelnd, verließen die Profis der Spurensicherung den Raum. Wir kamen hinter ihnen, sozusagen zum Vorschein.
„Aha die Sonderermittlungseinheit. Na dann ist ja alles klar!“ Verstohlene, hämische Blicke trafen uns.
Die unangenehme Person war Oberstleutnant Schratt. Frau Oberstleutnant Mag. Leopoldine Schratt. Die Frau Magister ist der Grund dafür, warum mir Mord lieber ist als Raub. Also verstehen Sie mich nicht falsch, ich wünsche den wenigsten Leuten einen gewaltsamen Tod, aber bei Mord hat man es mit dem Oberst Perschinger zu tun, einem gemütlichen Wandersmann, der sehr viel lieber im Frühtau zu Berge zieht, als sich die Stimmung von Mordfällen verdüstern zu lassen. Bei Raub war aber die Schratt am Ruder. Und das gab sie nicht aus der Hand. Schon gar nicht uns.
„Grüß Gott Frau Magister!“, begrüßten wir die Frau Magister unisono.
„Jaja.“, erwiderte sie.
„Wir waren's nicht!“, jammerte Phillip.
„Pscht!“, ermahnte ich ihn.
Die Frau Magister sah sich in dem nun, bis auf uns, menschenleeren, Raum um. Krümelige Glassplitter bedeckten den gesamten Boden. Wir standen mitten im Glassplittermeer.
„Dürfte ich Sie jetzt – höflichst, mit Schlagobers oben drauf - bitten ...“ Sie machte eine theatralisch einladende Geste zu ihr zu kommen. Wir knirschten aus dem Tatort. Die Frau Magister zeigte auf unsere Füße. „Die Schuhe bekommt die Spurensicherung.“
Wir sahen sie an, dann unsere Schuhe, in deren Sohlen sicher haufenweise Splitter steckten. Sie hatte einen Punkt. Das ist besonders unangenehm an der Frau Magister: sie hat oft einen Punkt. Sie ist für eine Heimsuchung, vergleichbar mit einer Wurzelresektomie, aber sie hat oft einen Punkt. Frau Oberstleutnant Schratt wandte sich an den Rest der Belegschaft: „Alle Schuhe werden bei der Spurensicherung abgeben. Mit einer exakten Angabe, wo man gestanden ist. Das gilt auch für die Spurensicherung!“ Sie sprach nicht besonders laut und ohne große Erregung. „Wenn Sie das getan haben, kommt der Verantwortliche hierher und erklärt mir ... das!“
Leise tuschelnd begannen die Spurensicherer Schuhe einzusammeln.
„Ah da ist sie doch.“ Kniend deute Phillip in den Vitrinenraum. Die Frau Magister, welche mit erhobenen Augenbrauen die Schuhsammlung überwachte, drehte sich um.
„Wo ist wer?“
„Die Saliera – da!“ Phillip zeigte an ihr vorbei, in das Scherbenmeer. In einer Ecke des Raumes, halb unter einem Schaukasten mit einem goldenen Schiff darauf, lag ein Salzstreuer. Der Blick der Frau Oberstleutnant folgte seinem Finger, dann atmete sie einmal tief durch.
Kurz darauf trat ein kleiner Mann mit rundem Kopf, rotem Gesicht und weißem Mantel hinter ihr von einem Bein aufs andere: „Frau Oberstleutnant melde mich zum Rapport!“. Die Schratt wandte ihm ihre Aufmerksamkeit zu, so wie ein Ultraschallbohrer seine Aufmerksamkeit einer eitrigen Zahnwurzel zuwendet. Mit gesenktem Kopf begann der Kugelkopf hastig zu berichten: Die Spurensicherung hatte damit begonnen zu fotografieren, Fingerabdrücke zu nehmen und DNA Spuren zu suchen. Was man eben so macht als Spurensicherung. Dann widmeten sie sich den Schlössern der Vitrine. Äußerlich deutete nichts auf eine Manipulation hin. Der Direktor deaktivierte mittels eines Codes das elektronische Schloss. Dr. Pokorny öffnete dann das mechanische Schloss mit einem normalen Schlüssel.
„Sehen Sie?“ Der Kugelkopf zeigte zum Podest der Saliera. Dort steckte ein Schlüssel in einem Schloss. Dann, berichtete er weiter, schnitten er und zwei Kollegen, die Dichtung mit einem Stanleymesser durch. Der Kugelkopf machte eine bedeutungsvolle Pause.
„Und dann, in dem Moment, gerade als wir die Tür öffnen wollten ... PAFF!“ Er sah uns mit großen Augen an.
„Was 'PAFF'“, fragte ich. „Sie haben sie umgeschmissen?“
„Herr Kommissar, darf ich Sie bitten, mir die Befragung zu überlassen.“ Die Stimme der Schratt bohrte sich mit chirurgischer Präzision in meinen Gyrus temporalis superior und ließ mich solchermaßen abrupt verstummen. „Was 'PAFF'“, sagte sie dann. „Sie haben sie umgeschmissen!“ Bei ihr klang das nicht wie eine Frage.
„Nein, nein. Ich schwöre. Ich weiß auch nicht, wie das geschehen ist. Aber sie ist uns irgendwie zwischen den Fingern ... zerbröselt.“
Der Blick der Frau Oberstleutnant lies den armen Kugelkopf auf Stecknadelkopfgröße schrumpfen. „Zerbröselt. Aha.“ Sie wirkte alles andere als überzeugt. „Wir werden ja sehen.“
Der Spurensicherer schluckte.
Dann begann die Frau Magister die Spurensicherer neu zu organisieren. Und wie! Wie Karajan die Wiener Philharmoniker. Mit weniger Emotion vielleicht aber mit ähnlicher Eleganz und Präzision. Einer Choreographie folgend, die nur die Schratt durchschaute, dirigierte sie Leute in weißen Overalls zu verschiedenen Aufgaben in den Tatort und wieder heraus. Sie selbst blieb in der Tür stehen, bewegte sich nicht von dem Standort weg, den sie bei ihrem Eintreffen eingenommen hatte und ließ ihre Marionetten mit kaum wahrnehmbaren Gesten und leisen Befehlen tanzen. Der Leiter der Spurensicherung war weit davon entfernt sich über seine Entmachtung zu beschweren, er war froh sein Kugelköpfchen immer noch zwischen den Schultern tragen zu dürfen, denke ich. Uns würdigte Frau Mag. Schratt mit keinem Blick mehr. Wir sahen dem Tanz eine Zeit lang, nicht ohne Bewunderung, zu, bis unsere Schuhe wieder freigegeben waren. Das dauerte eine Weile. Bis dahin hatten die Spurensicherer bereits ein Raster knapp über den Boden des Tatortes gelegt und arbeiteten sich durch das Scherbenmeer. Sie photographierten jeweils ein kleines Quadrat des Bodens und packten die darin enthaltenen Scherbenkrümel dann in kleine Plastiksäckchen. Jeder Krümel ein Säckchen. Jedes Säckchen wurde mit seiner genauen Koordinate versehen. Die Koordinaten wurden mittels eines Laserentfernungsmessgeräts, in mindestens dreifacher Messung festgestellt. Die Frau Oberstleutnant war eine Heimsuchung. Aber eine äußerst genaue.
Mein Telefon klingelte. Sedlar war dran: „Hier ist Blut!“
Kurz darauf folgte ich Sedlar wieder hinunter in den Verwaltungstrakt, Phillip verfolgte oben das Geschehen weiter. Der Sicherheitschef berichtete, er hätte einen Kollegen beauftragt, den verschwundenen Wächter zu suchen. Den Wächter fand er nicht, dafür aber die Bluttropfen. Wir passierten die Kommandozentrale, sein Büro und die Kaffeeküche, bogen noch um zwei Ecken und stoppten dann vor einer offenstehenden schäbigen Tür.
„Hier!“ Sedlar zeigte in den Raum hinter der Tür. Ich spähte hinein. Es war eine enge Abstellkammer, in der sich Besen, Putzmittel und Gerümpel drängten. Sedlars Finger zeigte anklagend auf den weißen Plastikboden der Kammer. Fünf größere und ein paar kleinere zinnoberrote Tropfen bildeten ein Zickzack Muster auf dem Boden.
Ich sah die Tropfen an, dann Sedlar: „Fünf Tropfen - das ist alles?“
„Eigentlich sind es neun Tropfen - ich hab sie gezählt.“ Sedlar fuhr mit dem Finger das Tropfenmuster nach.
„Neun Tropfen, das ist alles?“ Ich fand als Sonderermittlungseinheit hat man mehr als ein paar Tröpfchen Blut verdient. Immerhin hatten wir es normalerweise mit ganzen Blutseen tun. Verstehen sie mich nicht falsch, ich finde es schon besser, wenn sich jemand nur in den Finger geschnitten hat, anstatt ausgeblutet zu werden. Aber nichtsdestotrotz, wenn einmal Latte gelegt ist, dass will man sich ungern verschlechtern. Sozusagen.
„Wer war das?“ Eine unangenehme Stimme durchschnitt das Volksgemurmel, das nach dem Sirenenlärm zögernd wieder losgepätschert war und das durch diese Stimme abrupt und nachhaltig wieder zum Verstummen gebracht wurde. Die Frage war ungeduldig, quasi fingertrommelnd vorgetragen. Die unangenehme Stimme gehörte einer Person, die das Kunststück zu Stande brachte, noch unangenehmer zu sein als ihre Stimme. Die Person stand in der großen Flügeltür, von deren beträchtlicher Breite sie physisch nur einen kleinen Teil einnahm, einen Beistrich quasi. Der Rest wurde aber locker vom Ego der unangenehmen Person ausgefüllt und damit jegliche Fluchtmöglichkeit blockiert. Betretenes Schweigen erfüllte angstvoll den Raum. Die Spurensucher starrten beklommen auf ihre Schuhe, die Mutigeren starrten auf die Schuhe der Dame.
„Wieder einmal niemand. Gut, das werden wir ja sehen. Ich darf dann alle Anwesenden bitten, aus dem Tatort zu treten.“
Weiterhin beklommen auf Schuhe starrend, sich gegenseitig schubsend und panisch tuschelnd, verließen die Profis der Spurensicherung den Raum. Wir kamen hinter ihnen, sozusagen zum Vorschein.
„Aha, die Sonderermittlungseinheit. Na dann ist ja alles klar!“ Verstohlene, hämische Blicke trafen uns.
Die unangenehme Person war Oberstleutnant Schratt. Frau Oberstleutnant Mag. Leopoldine Schratt. Die Frau Magister ist der Grund dafür, warum mir Mord lieber ist als Raub. Also verstehen Sie mich nicht falsch, ich wünsche den wenigsten Leuten einen gewaltsamen Tod, aber bei Mord hat man es mit dem Oberst Perschinger zu tun, einem gemütlichen Wandersmann, der sehr viel lieber im Frühtau zu Berge zieht, als sich die Stimmung von Mordfällen verdüstern zu lassen. Bei Raub war aber die Schratt am Ruder. Und das gab sie nicht aus der Hand. Schon gar nicht uns.
„Grüß Gott Frau Magister!“, begrüßten wir die Frau Magister unisono.
„Jaja.“, erwiderte sie.
„Wir waren's nicht!“, jammerte Phillip.
„Pscht!“, ermahnte ich ihn.
Die Frau Magister sah sich in dem nun, bis auf uns, menschenleeren Raum um. Krümelige Glassplitter bedeckten den gesamten Boden. Wir standen mitten im Glassplittermeer.
„Dürfte ich Sie jetzt – höflichst, mit Schlagobers oben drauf - bitten ...“ Sie machte eine theatralisch einladende Geste, zu ihr zu kommen. Wir knirschten aus dem Tatort. Die Frau Magister zeigte auf unsere Füße. „Die Schuhe bekommt die Spurensicherung.“
Wir sahen sie an, dann unsere Schuhe, in deren Sohlen sicher haufenweise Splitter steckten. Sie hatte einen Punkt. Das ist besonders unangenehm an der Frau Magister: sie hat oft einen Punkt. Sie ist wie eine Heimsuchung, vergleichbar mit einer Wurzelresektomie, aber sie hat oft einen Punkt. Frau Oberstleutnant Schratt wandte sich an den Rest der Belegschaft: „Alle Schuhe werden bei der Spurensicherung abgegeben. Mit einer exakten Angabe, wo man gestanden ist. Das gilt auch für die Spurensicherung!“ Sie sprach nicht besonders laut und ohne große Erregung. „Wenn Sie das getan haben, kommt der Verantwortliche hierher und erklärt mir ... das!“
Leise tuschelnd begannen die Spurensicherer Schuhe einzusammeln.
„Ah, da ist sie doch!“ Kniend deute Phillip in den Vitrinenraum. Die Frau Magister, welche mit erhobenen Augenbrauen die Schuhsammlung überwachte, drehte sich um.
„Wo ist wer?“
„Die Saliera – da!“ Phillip zeigte an ihr vorbei in das Scherbenmeer. In einer Ecke des Raumes, halb unter einem Schaukasten mit einem goldenen Schiff darauf, lag ein Salzstreuer. Der Blick der Frau Oberstleutnant folgte seinem Finger, dann atmete sie einmal tief durch.
Kurz darauf trat ein kleiner Mann mit rundem Kopf, rotem Gesicht und weißem Mantel hinter ihr von einem Bein aufs andere: „Frau Oberstleutnant, melde mich zum Rapport!“. Die Schratt wandte ihm ihre Aufmerksamkeit zu, so wie ein Ultraschallbohrer seine Aufmerksamkeit einer eitrigen Zahnwurzel zuwendet. Mit gesenktem Kopf begann der Kugelkopf hastig zu berichten: Die Spurensicherung hatte damit begonnen zu fotografieren, Fingerabdrücke zu nehmen und DNA Spuren zu suchen. Was man eben so macht als Spurensicherung. Dann widmeten sie sich den Schlössern der Vitrine. Äußerlich deutete nichts auf eine Manipulation hin. Der Direktor deaktivierte mittels eines Codes das elektronische Schloss. Dr. Pokorny öffnete dann das mechanische Schloss mit einem normalen Schlüssel.
„Sehen Sie?“ Der Kugelkopf zeigte zum Podest der Saliera. Dort steckte ein Schlüssel in einem Schloss. Dann, berichtete er weiter, schnitten er und zwei Kollegen die Dichtung mit einem Stanleymesser durch. Der Kugelkopf machte eine bedeutungsvolle Pause.
„Und dann, in dem Moment, gerade als wir die Tür öffnen wollten ... PAFF!“ Er sah uns mit großen Augen an.
„Was 'PAFF'“, fragte ich. „Sie haben sie umgeschmissen?“
„Herr Kommissar, darf ich Sie bitten, mir die Befragung zu überlassen.“ Die Stimme der Schratt bohrte sich mit chirurgischer Präzision in meinen Gyrus temporalis superior und ließ mich solchermaßen abrupt verstummen. „Was 'PAFF'“, sagte sie dann. „Sie haben sie umgeschmissen!“ Bei ihr klang das nicht wie eine Frage.
„Nein, nein. Ich schwöre. Ich weiß auch nicht, wie das geschehen ist. Aber sie ist uns irgendwie zwischen den Fingern ... zerbröselt.“
Der Blick der Frau Oberstleutnant ließ den armen Kugelkopf auf Stecknadelkopfgröße schrumpfen. „Zerbröselt. Aha.“ Sie wirkte alles andere als überzeugt. „Wir werden ja sehen.“
Der Spurensicherer schluckte.
Dann begann die Frau Magister, die Spurensicherer neu zu organisieren. Und wie! Wie Karajan die Wiener Philharmoniker. Mit weniger Emotion vielleicht, aber mit ähnlicher Eleganz und Präzision. Einer Choreographie folgend, die nur die Schratt durchschaute, dirigierte sie Leute in weißen Overalls zu verschiedenen Aufgaben in den Tatort und wieder heraus. Sie selbst blieb in der Tür stehen, bewegte sich nicht von dem Standort weg, den sie bei ihrem Eintreffen eingenommen hatte und ließ ihre Marionetten mit kaum wahrnehmbaren Gesten und leisen Befehlen tanzen. Der Leiter der Spurensicherung war weit davon entfernt sich über seine Entmachtung zu beschweren, er war froh, sein Kugelköpfchen immer noch zwischen den Schultern tragen zu dürfen, denke ich. Uns würdigte Frau Mag. Schratt mit keinem Blick mehr. Wir sahen dem Tanz eine Zeit lang nicht ohne Bewunderung zu, bis unsere Schuhe wieder freigegeben waren. Das dauerte eine Weile. Bis dahin hatten die Spurensicherer bereits ein Raster knapp über den Boden des Tatortes gelegt und arbeiteten sich durch das Scherbenmeer. Sie photographierten jeweils ein kleines Quadrat des Bodens und packten die darin enthaltenen Scherbenkrümel dann in kleine Plastiksäckchen. Jeder Krümel ein Säckchen. Jedes Säckchen wurde mit seiner genauen Koordinate versehen. Die Koordinaten wurden mittels eines Laserentfernungsmessgeräts in mindestens dreifacher Messung festgestellt. Die Frau Oberstleutnant war eine Heimsuchung. Aber eine äußerst genaue.
Mein Telefon klingelte. Sedlar war dran: „Hier ist Blut!“
Kurz darauf folgte ich Sedlar wieder hinunter in den Verwaltungstrakt, Phillip verfolgte oben das Geschehen weiter. Der Sicherheitschef berichtete, er hätte einen Kollegen beauftragt, den verschwundenen Wächter zu suchen. Den Wächter fand er nicht, dafür aber die Bluttropfen. Wir passierten die Kommandozentrale, sein Büro und die Kaffeeküche, bogen noch um zwei Ecken und stoppten dann vor einer offenstehenden schäbigen Tür.
„Hier!“ Sedlar zeigte in den Raum hinter der Tür. Ich spähte hinein. Es war eine enge Abstellkammer, in der sich Besen, Putzmittel und Gerümpel drängten. Sedlars Finger zeigte anklagend auf den weißen Plastikboden der Kammer. Fünf größere und ein paar kleinere zinnoberrote Tropfen bildeten ein Zickzack-Muster auf dem Boden.
Ich sah die Tropfen an, dann Sedlar: „Fünf Tropfen - das ist alles?“
„Eigentlich sind es neun Tropfen - ich hab sie gezählt.“ Sedlar fuhr mit dem Finger das Tropfenmuster nach.
„Neun Tropfen, das ist alles?“ Ich fand, als Sonderermittlungseinheit hat man mehr als ein paar Tröpfchen Blut verdient. Immerhin hatten wir es normalerweise mit ganzen Blutseen zu tun. Verstehen sie mich nicht falsch, ich finde es schon besser, wenn sich jemand nur in den Finger geschnitten hat, anstatt ausgeblutet zu werden. Aber nichtsdestotrotz, wenn einmal Latte gelegt ist, will man sich ungern verschlechtern. Sozusagen.
„Hinweise auf Mord?“
„Äh - keine Ahnung. Sie sind die Polizei.“
„Sehr richtig - Mord ist also nicht auszuschließen. Dann ruf ich gleich den Perschinger an.“ Ich holte mein Handy heraus und wählte die Nummer der Mordkommission. Dann hätten wir wenigstens nicht mehr ausschließlich mit der Schratt zu tun. Sedlar warf mir einen Blick aus den Augenwinkeln zu.
„Ist was?“
„Nichts.“
„Aha. Glauben Sie mir - sie wollen lieber Mord als Raub.“ Ich schenkte Sedlar ein gütiges Lächeln. Sedlar sah mich jetzt nicht mehr zweifelnd an, sondern eher wie jemanden, mit dem er nur ungern in einem verlassenen Flur vor ein paar Bluttropfen stehen würde. Er machte einen verstohlenen Schritt Richtung Notausgang.
„Wohin wollen Sie denn?“
Perschinger meldete sich, ich wandte meine Aufmerksamkeit dem Handy zu. Ich erläuterte kurz, dass es hier einen Vermissten und Blut gäbe. Ich verschwieg, dass es sich nur um abgezählte neun Tropfen handelte. Aber Perschinger litt sowieso nicht unter größerem Blutdurst. Er war ein Naturmensch und Wanderfreund und ein rundherum sanftmütiger Mensch. Weiß Gott, was ihn in die Mordkommission verschlagen hatte. Vielleicht war er mit Mord nicht einverstanden oder so.
Nachdem ich mich von Perschinger verabschiedet hatte, machte ich mit meiner Handykamera ein paar Fotos von den Tröpfchen. „Können Sie mir noch irgendetwas zu diesem Blutbad hier sagen?“ In Ermangelung besserer Motive, machte ich auch noch ein paar Fotos vom irritiert blinzelnden Sedlar.
„Reine Routine!“, versicherte ich ihm.
Ich war am Gehen, als eine bekannte Stimme wie eine Kreissäge die stickige Luft des Flurs zerschnitt. Präzise in zwei Hälften. Eine für Raub, eine für Mord. „Wo ist denn hier der Zuständige? Wieso ist der nicht an seinem Platz?“
„Oh Gott! Was war denn das?“ Sedlar sah sich erschrocken um.
„
Das ...“, ich bedachte ihn mit einem mitfühlendem Lächeln, „... ist der Grund, warum Ihnen Mord lieber ist als Raub. Gibt’s hier noch einen anderen Weg raus?“