Читать книгу Monolith - Max Kauer - Страница 3
Prolog
ОглавлениеVor langer Zeit ereignete sich ein Unfall. Nicht hier in der Gegend, genaugenommen ziemlich weit weg sogar. Zumindest für unsere Verhältnisse. Mehr in der Gegend des Jupiters. Eine Notlandung mit katastrophalen Folgen. Die Besatzung des Raumschiffs, eine symbiontische Wissenschaftler-Spezies, die sich „die Reisenden“ nannten, musste seine sterbenden Wirte verlassen und ging in Dauerstadien über. Mit letzter Anstrengung wurde ein Team losgeschickt, um die Gegend zu erkunden und Hilfe zu suchen. Würde die nicht kommen, würde das Volk bis in alle Ewigkeit schlafen. Das Rettungsteam machte sich mit dem, was vom ursprünglichen Schiff gerettet werden konnte, auf die Suche - vielleicht gab es ja doch intelligentes Leben in diesem Quadranten?
Sie hatten Pech, sie kamen hierher zur Erde. Es war sofort klar, dass hier nichts zu holen sein würde. Man wollte schon weiterfliegen, vielleicht hätte man auf dem hübschen grünlichen Planeten nebenan mehr Glück? Aber dann gesellte sich zu Pech noch mehr Pech. Das nicht mehr ganz zurechnungsfähige und deswegen ein wenig unaufmerksame Raumschiff wurde von einem Kometen getroffen. Wie groß wahr wohl die Wahrscheinlichkeit für so einen Mist, dachte sich die Mannschaft, als sie der hellblauen Kugel entgegen trudelte. Offensichtlich nicht Null, so viel wurde schnell klar, als Komet und Schiff gemeinsam auf der Erde einschlugen. An einem Ort, den weder der eine noch das andere jemals freiwillig besucht hätten, beziehungsweise eingeschlagen wären. Im dritten Wiener Gemeindebezirk. Der war damals noch kein Gemeindebezirk, sondern nur Vorort einer Habsburgerresidenz. Das machte die Sache jetzt aber auch nicht besser.
Das Pech der Rettungsmannschaft wurde in weiterer Folge durch Missverständnisse, Rückschläge und Glücklosigkeit zur Katastrophe abgerundet. Die Missverständnisse betrafen die Kommunikation mit der lokalen Bevölkerung. Gegen alle Hoffnung und wider besseren Wissens, versuchte man eben doch mit derselben in Verbindung zu treten - mit schauerlichen Resultaten. Dem Dahindämmern ihrer äffischen Vorfahren gerade erst einen evolutiven Schritt entkommen und als Wirte deswegen vollkommen ungeeignet, entwickelten die Menschen nach der Kontaktaufnahme bizarre Verhaltensmuster. Die Kontaktaufnahme wurde in der herkömmlichen und oft erprobten Art und Weise bewerkstelligt: durch Besiedlung des Nervensystems und telepathischer Verschmelzung mit dem Wirten. Das funktionierte sonst immer, logisch, was sollte da auch schief gehen. Hier auf diesem Planeten aber nicht. Hier auf diesem Planeten funktionierte rein gar nichts. Das erstaunlich wenig entwickelte Denkzentrum der Primaten hatte nicht das geringste telepathische Potenzial, etwas das, nach Wissen der Reisenden, ansonsten im Alpha-Quadranten dieser Galaxie nur die Darmflora des zorbardautischen Säuremonsters nicht hatte. Nicht mehr hatte, muss man sagen - die Darmflora des zorbardautischen Säuremonsters wollte nämlich gar nicht so genau wissen, wo und vor allem auf welche Art und Weise das zorbardautische Säuremonster seine Nahrung so herbekam. Deswegen, um nämlich in Ruhe und ohne moralische Bedenken verwerten zu können, was im zorbardautischen Säuremonsterdarm so dahergeschwommen kam, unternahm seine Darmflora seit einigen tausend Jahren Anstrengungen, sich evolutiv zurückzuentwickeln und die telepathische Verbindung zu kappen. Mit dieser – verständlichen - Ausnahme, konnten die Reisenden aber noch mit allen Bewohnern dieses Quadranten Kontakt aufnehmen. Auch mit dem zorbardautischen Säuremonster. Letzteres wurde seitdem inbrünstig bereut, aber so war die Wissenschaft eben.
Wie schon erwähnt, funktionierte hier auf diesem Planeten rein gar nichts. Die besiedelten Menschen neigten im besten Fall zum Verfassen verworrener Manifeste, meist aber zum Wahnsinn in verschiedenen, immer wieder aufs neue erstaunlichen Formen, bis hin zum Kannibalismus. So etwas hatte man noch nicht erlebt. Die Reisenden konnten nicht vermitteln, dass sie eigentlich nur ein wenig Hilfe mit ihrem Quantenantrieb, eine Tachionenquelle und ein paar kräftige Körper brauchen würden, um das ganze zusammenzuschrauben - und weg wären sie wieder. Aber wie bitte, sollte man das kommunizieren, wenn die Gesprächspartner ständig ihre Zähne grunzend in die Eingeweide von Artgenossen versenkten?
Das Missverständnis nahm, was Missverständnisse mit Vorliebe tun, nämlich seinen unheilvollen Lauf. Ein Geheimbund wurde gegründet. Eine üble fremdenfeindliche Organisation, welche die Reisenden mit Nachdruck verfolgte und ihre vordringlichste Aufgabe darin sah, die vermeintlichen Usurpatoren auf maximal invasive Weise wieder von den so unglücklich besiedelten Wirtskörpern zu trennen, um nicht zu sagen, denselben den Kopf abzuhauen. Man entwickelte sogar spezielle Waffen, die ein Entkommen aus den Wirten unmöglich machte. Die Häupter wurden dann verbrannt oder in Säure aufgelöst. Von Willkommenskultur keine Rede! Das Rettungsteam musste sich nun also selbst retten. Es wurde zurückgedrängt. Viele wurden getötet. Verzweifelt sprangen die Reisenden von Wirt zu Wirt, ohne Erfolg. Keine der irdischen Arten schien kompatibel zu sein. Zu guter Letzt, als jedes Schiff der Hoffnung schon unter dem Horizont der Resignation versunken war, fand man eine Spezies, mit der ein halbwegs vernünftiger Gedankenaustausch möglich war. Die Betonung liegt auf halbwegs, aber immerhin konnte man ohne letale Folgen kommunizieren. Eigentlich wurden vielmehr die Reisenden von Angehörigen dieser nachtschwärmerischen Spezies gefunden, als sie auf einer ihrer Zechtouren aus Jux, Tollerei sowie wissenschaftlichem Interesse einen der abgehackten Köpfe entführten.
Die Spezies war Caprimulgus europeus, der Ziegenmelker. Angehörige dieser Art wurden nicht verrückt, wenn man ihre Neuronen ein wenig re-arrangierte, denn sie waren es bereits. Und sie freuten sich, dass hier plötzlich jemand war, mit dem sie endlich ihre, nach Selbsteinschätzung, brillianten Gedankengänge teilen konnten. Tachyonenquelle hatten sie zwar auch keine, aber die Vögel waren durchaus interessiert am Problem der Reisenden, hatten sie doch selber einige gewagte Hypothesen zur Raumzeitreise ausgearbeitet. Deren Angelpunkt, so erklärten die Nachtschwalben – Meister der Tarnung - wäre das vollkommene Verschmelzen mit Materie, wodurch - im Prinzip - eine unbeschränkte Reise durch Raum und Zeit möglich sein sollte. Und zwar durch Quantenfluktuationen virtueller Teilchen im leeren Raum zwischen den Elementarbausteinen ebendieser Materie. Eigentlich ganz logisch. So einleuchtend aber dieses Prinzip auch erscheinen mochte, zur technischen Reife konnten die Ziegenmelker ihre wissenschaftlichen Hypothesen noch nicht führen. Ein Schnabel voll Tachyonen könnte da vielleicht ganz gelegen kommen. Sie übten sich also weiter in Materienverschmelzung und immer wieder einmal kam ein etwas zerzauster Vogel von einer angeblich abenteuerlichen Reise zurück, da er zwar am Morgen noch gemütlich in einer Eiche zu Bette gegangen war, sich am nächsten Abend aber in Afrika aus der Borke eines Affenbrotbaumes geschält hätte. Diesen Berichten, so fesselnd sie auch waren, wurde im Allgemeinen nicht viel Glauben geschenkt, denn Ziegenmelker, es wurde schon angedeutet, sind irre. Und Trinker. Irre Trinker eigentlich. Sie haben ihren Namen nicht von ungefähr und vergorene Ziegenmilch ist nur eines der harmloseren Ingredienzien des über die Artgrenzen berüchtigten Capri-Shakes. Wenn also ein zerzauster übertagiger Caprimulgus daherkommt mit einer Story, die so klang, als wäre sie unter dem Einfluss halluzinogener Milchprodukte entstanden, war letzteres sehr wahrscheinlich der Fall.
So verging die Zeit. Für die Reisenden wurde es selten langweilig - Ziegenmelker konnte man beim besten Willen nicht als langweilig bezeichnen. Sie waren zuallererst Partyvögel und dann erst Wissenschaftler. Wohl ein Grund für das Missverhältnis zwischen der Zahl verwegener Theorien und konkreter Anwendungen, die sie bisher entwickelt hatten. Jahrhunderte vergingen. Die Reisenden versuchten, nicht ganz der ewigen Party der Nachtschwärmer zu erliegen, wurden aber vielleicht mit der Zeit doch ein wenig träge in den Reflexen und etwas lässig in der Abschätzung von Gefahren.
Denn sie sahen die Gefahr nicht, als sie ihr ins Antlitz blickten. Als sie ihn fanden.
Es war auf einer wissenschaftlichen Expedition zur Untersuchung des Einflusses ausgedehnter flacher Landstriche auf die Fluktuationsdichte virtueller Quantenzustände, zu der ein Team Caprimulgen in die Mongolei aufgebrochen war. In eine Gegend also, in die ein wärmeliebender Ziegenmelker nicht einfach so gereist wäre, hätte er nicht erstaunliche Berichte gehört, die sein wissenschaftliches Interesse geweckt hatten. Berichte, die zwei Spezialitäten dieses Landstriches betrafen, nämlich Kumis, die vergorene Stutenmilch und den Kamelmilchschnaps, welche von den Nomaden traditionellerweise hergestellt werden.
Dort, am Rande der Mongolei fanden sie ihn, ein Hirtenkind. Er war nicht vom Stamm der ihn aufziehenden Hirten, ein Findelkind vielleicht. Die Reisenden wussten sofort, dass der Knabe anders war als alle anderen Menschen, denen sie bis jetzt begegnet waren. Heller. Wacher. Aktiver. Sie konnten Ansätze telepathischer Fähigkeiten fühlen, wurden regelrecht von ihm angezogen. Seit Jahrhunderten mied man jeden näheren Kontakt mit Menschen. Hier aber schien ihnen das Schicksal jemanden vor den Schnabel gespielt zu haben, der ein Vielfaches des Potentials seiner Artgenossen hatte. Vielleicht war er ein Mutant, die mögliche Saat einer neuen Spezies. Man musste es probieren. Auch wenn sie sich ziemlich sicher waren, dass er keine Tachyonenquelle hatte, versuchten die Reisenden trotzdem ihr Glück. Sie konnten nicht anders. Er schien sie zu rufen.
Es war das Jahr 1994. Die Reisenden nahmen Kontakt auf.
Und er drehte den Spieß um.