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aa) Qualitativer Selektivvertrieb („Metro“-Kriterien)
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Nach den „Metro-Kriterien“ ist ein selektives Vertriebssystem unter folgenden Voraussetzungen nicht tatbestandsmäßig:
– | Die Auswahl der Händler muss anhand objektiver Kriterien qualitativer Art erfolgen, die einheitlich festzulegen, allen potenziellen Wiederverkäufern zur Verfügung zu stellen und unterschiedslos anzuwenden sind.[381] |
– | Die Produkteigenschaften müssen einen selektiven Vertrieb bedingen, d.h. der Selektivvertrieb muss zur Wahrung der Qualität und zur Gewährleistung des richtigen Gebrauchs der Produkte erforderlich sein. |
– | Die Selektionskriterien dürfen schließlich nicht über das zur Qualitätssicherung und Gewährleistung des richtigen Gebrauchs der jeweiligen Produkte erforderliche Maß hinausgehen. |
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Beispiele: qualitative Selektionskriterien
– | Zu prima facie unbedenklichen, qualitativen Selektionskriterien zählen insbesondere sämtliche Bedingungen, die die Aufrechterhaltung des Fachhandels bezwecken.[382] Dies umfasst etwa die Kundenberatung durch qualifiziertes Personal, dessen fortlaufende Schulung, eine angemessene Ausstattung und Erscheinung der Geschäftsräume, eine angemessene Warenpräsentation oder die Fähigkeit, bestimmte Garantie- und Kundendienstleistungen anbieten zu können.[383] |
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Die Selektionskriterien müssen zur Wahrung der Qualität und zur Gewährleistung des richtigen Gebrauchs der Produkte erforderlich sein.[384] Entscheidend dürfte insoweit sein, dass plausibel dargelegt werden kann, dass die Produkte aufgrund ihrer Charakteristika händlerseitige Zusatzleistungen erfordern, die die Kundenbedürfnisse sinnvoll adressieren.[385]
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Zunächst ist ein sich aus der Natur des Produkts ergebendes Bedürfnis für eine qualitative Selektion bisher insbesondere für langlebige, hochwertige und technisch anspruchsvolle Erzeugnisse anerkannt worden: Der EuGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass derartige Produkte ein qualitatives selektives Vertriebssystem rechtfertigen können, weil die qualitative Beratung des Kunden einen Mehrwert begründet, der bei „Allerweltsprodukten“, die ohne vertiefte Auseinandersetzung erworben werden, nicht gegeben ist.[386]
Beispiele: Produkte, die Selektivvertrieb erfordern
– | In der jüngeren Entscheidungspraxis wurden selektive Vertriebssysteme z.B. für Nahrungsergänzungsmittel, Kosmetika,[387] hochwertige Uhren (im Gegensatz zu Massenprodukten), Feinkeramik (Villeroy & Boch),[388] Schmuck aus Edelmetall sowie Funktionsrucksäcke (Deuter)[389] und Schulranzen (Scout)[390] akzeptiert. |
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Ob jenseits der Kategorie „langlebiger, hochwertiger und technisch anspruchsvoller Produkte“ auch die herstellerseitig intendierte Erzeugung sowie Aufrechterhaltung eines Produkt- oder Luxusimage die Einrichtung eines selektiven Vertriebssystems rechtfertigen kann, wird bisher uneinheitlich beantwortet. Dagegen spricht, dass die Qualität eines Produktes nicht auf materiellen Eigenschaften, sondern dem Prestigecharakter beruht. Während sich der EuGH insoweit zunächst nur zurückhaltend äußerte, hat er in dem „Coty“-Urteil nunmehr ausdrücklich anerkannt, dass Produkte der Luxuskategorie – auch wenn kein produktinhärenter Beratungsbedarf besteht – die Einrichtung eines selektiven Vertriebssystems rechtfertigen können.[391] So sei die „luxuriöse Ausstrahlung“ eines Produkts aus Sicht der Verbraucher ein maßgebliches Unterscheidungsmerkmal und deren Schädigung geeignet, die Qualität der Ware selbst zu beeinträchtigen.[392] Überdies nimmt der EuGH Bezug auf seine bisherige Rechtsprechung zunächst zum Markenrecht, wonach bereits eine bestimmte Form der Darbietung von Waren zu ihrem Ansehen und somit zur Wahrung ihrer luxuriösen Ausstrahlung beitragen könne.[393] Wichtiger ist allerdings die Klarstellung, dass diese Schlussfolgerung nicht durch die (kartellrechtliche) Entscheidung in der Rechtssache Pierre Fabre[394] entkräftet werde.[395] Damit hat der EuGH der gegenteiligen Interpretation[396] eine endgültige Absage erteilt, sodass mittlerweile unzweifelhaft ist, dass nach der Rechtsprechung des EuGH auch das Image eines Produkts den Selektivvertrieb erfordern kann.[397]
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Höchstrichterlich ungeklärt ist allerdings noch die Frage, ob bereits hochwertige Markenprodukte – im Gegensatz zu „Luxusprodukten“ – einen selektiven Vertrieb rechtfertigen können. In diese Richtung tendieren die Europäische Kommission in einer jüngst veröffentlichen Stellungnahme, das OLG Hamburg sowie das OLG Karlsruhe.[398]
Rechtsprechungsüberblick – Selektivvertrieb bei Markenprodukten:
– | Die Europäische Kommission sowie das OLG Hamburg haben mit guten Gründen dargelegt, dass eine Differenzierung zwischen Produkten der Luxusklasse und hochwertigen Markenprodukten mit erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten verbunden und nicht sinnvoll durchführbar sei. Überdies bestehe auch bei hochwertigen Markenprodukten ein rechtlich anerkennenswertes Interesse des Herstellers, den Charakter des Produkts durch seine Marktpositionierung und besondere Vertriebsleistungen zu unterstreichen. |
– | Für die Praxis hat diese Auslegung den Vorteil, dass die Abgrenzung zwischen Luxusgütern und „einfacher“ (aber hochwertiger) Markenware entfiele.[399] Eine „griffige“ Definition von Luxus existiert gerade nicht. Dem Verständnis von Luxus wohnt stets ein subjektiv-wertendes und emotionales Moment inne. Greifbar werden die definitorischen Schwierigkeiten im Lichte der Rechtsauffassung des OLG Frankfurt, wonach es primär in der Entscheidungskompetenz des Markeninhabers liege, für bestimmte Marken einen Luxusanspruch zu formulieren und zu fördern.[400] |
– | Eine Gleichstellung von „Luxusware“ und hochwertigen Markenprodukten überzeugt: Das Image eines Produkts ist auch bei Markenware ein wertbildender Faktor, für den die Abnehmer zu bezahlen bereit sind.[401] Die Monopolkommission führt an, dass es ohnehin weniger um echte Luxuswaren gehe, die nur für eine kleine, besonders finanzstarke Kundschaft erschwinglich sind, als vielmehr um eine „Aura von Luxus“[402], mit der sich auch vergleichsweise günstige Produkte besonders vermarkten ließen.[403] Die Monopolkommission hält es nicht einmal für zwingend erforderlich, dass einem Produkt überhaupt ein Luxusimage anhaftet: Ein Lifestyle- oder Sportimage könne für den Verbraucher sogar vorzugswürdig sein.[404] |
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Die Selektionskriterien dürfen nicht über das zur Qualitätssicherung und Gewährleistung des richtigen Gebrauchs erforderliche Maß hinausgehen.[405] Sie müssen also in einem angemessenen Verhältnis zum jeweiligen Produkt stehen, um vom Kartellverbotstatbestand ausgenommen sein zu können.
Werden die Selektionskriterien schließlich im laufenden Geschäft nicht konsequent diskriminierungsfrei angewendet, etwa indem Händler aufgenommen werden, die bestimmte Kriterien nicht erfüllen, oder umgekehrt Händler nicht aufgenommen werden, obwohl sie allen Voraussetzungen gerecht werden, ist ein selektives Vertriebssystem grds. insgesamt nicht (mehr) vom Anwendungsbereich des Art. 101 Abs. 1 AEUV ausgenommen und insoweit freistellungsbedürftig.