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aa) Freistellung nach Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO
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Um in den Genuss einer Freistellung nach Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO zu kommen, sind bei der Einrichtung und Ausgestaltung selektiver Vertriebssysteme insbesondere die Grenzen nach Art. 4 Vertikal-GVO zu beachten.
Verkaufsbeschränkungen, Art. 4 lit. c Vertikal-GVO
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Zunächst stellt es nach Art. 4 lit. c Vertikal-GVO eine Kernbeschränkung dar, wenn der (aktive oder passive) Verkauf an Endverbraucher durch Mitglieder eines selektiven Vertriebssystems beschränkt wird. Diese Regel soll die selektiven Vertriebssystemen inhärente Gefahr des Verlustes von markeninternem Wettbewerb begrenzen.[411] Gegenüber Art. 4 lit. b Ziff. i Vertikal-GVO (wonach Beschränkungen des aktiven Verkaufs in Gebiete oder an Kundengruppen ausnahmsweise zulässig sind) geht Art. 4 lit. c als lex specialis vor.[412]
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Auch der Anbieter im Selektivvertrieb ist, wie die Händler, Mitglied des Systems.[413] Allen Mitgliedern dürfen insoweit, wenn sie auch auf der Einzelhandelsstufe tätig sind, keine Beschränkungen beim Verkauf an Endverbraucher auferlegt werden. Der Begriff „Endverbraucher“ ist dabei weit zu verstehen: Neben Privatverbrauchern sind auch „institutionelle“, also gewerbliche Verbraucher (wie öffentliche Bildungseinrichtungen, Krankenhäuser oder Unternehmen) sowie Einkaufsmittler erfasst, die auf fremde Rechnung tätig werden.[414] Soweit die Vorschrift eine Tätigkeit auf der Einzelhandelsstufe voraussetzt, sind vertragliche Verbote, überhaupt auf der Einzelhandelsstufe tätig zu sein, keine Kernbeschränkung.[415] Wie sämtliche Kernbeschränkungen (vgl. den Einleitungssatz in Art. 4) ist auch Art. 4 lit. c Vertikal-GVO als umfassendes Verbot ausgestaltet, das sämtliche Beschränkungen des aktiven und passiven Verkaufs an Endkunden – mittelbar wie unmittelbar – untersagt. Beim Verkauf an Einzelhandelskunden sollen die auf der Einzelhandelsstufe tätigen Mitglieder eines selektiven Vertriebssystems also völlig frei sein.[416]
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Als wichtige Ausnahmeregelung zu diesem Verbot sieht Art. 4 lit. c zweiter HS Vertikal-GVO die sog. Standortklausel vor. Demnach kann den zum selektiven Vertrieb zugelassenen Händlern verboten werden, Geschäfte von nicht zugelassenen Niederlassungen aus zu betreiben.[417] Vertragshändler dürfen die Vertragsprodukte demnach nur von solchen Standorten aus vertreiben, die im Vertriebsvertrag als Geschäftsadresse angegeben sind.[418] Möchte der Händler umziehen oder an einem anderen Ort – in einer anderen Stadt oder in einem anderen Land – eine weitere Filiale eröffnen, so ist dies nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Anbieters möglich.[419] Handelt es sich um eine mobile Verkaufsstätte („Laden auf Rädern“), so kann ein Gebiet festgelegt werden, außerhalb dessen die mobile Verkaufsstätte nicht betrieben werden darf.[420]
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Mit Blick auf Art. 4 lit. c Vertikal-GVO sollten die aus der Einführung eines selektiven Vertriebssystems resultierenden Vorteile stets mit den (strategischen) Nachteilen abgewogen werden, die sich daraus ergeben, dass gewisse Gestaltungsoptionen in der Folge nicht mehr zur Verfügung stehen. So liegt in der Entscheidung für einen selektiven Vertrieb etwa auch eine Entscheidung gegen den Alleinvertrieb[421] in derselben Region: „In einem Gebiet, in dem der Anbieter einen selektiven Vertrieb betreibt, darf dieses System nicht mit Alleinvertrieb kombiniert werden, da dies zu einer Beschränkung des aktiven oder passiven Verkaufs durch die Händler nach Art. 4 Buchstabe c Vertikal-GVO führen würde [. . .].“[422] Die mit der Ausnahmeregelung des Art. 4 lit. b Ziff. i Vertikal-GVO vorgesehenen Gebiets- oder Kundenschutzregelungen sind in selektiven Vertriebssystemen also nicht zulässig.[423] Als „Alternative“ zu Alleinvertriebsgebieten in diesem Sinne besteht allerdings die bereits erwähnte Möglichkeit, Standortklauseln i.S.v. Art. 4 lit. c zweiter Halbsatz Vertikal-GVO zu vereinbaren.[424] Das Nebeneinander von selektivem Vertrieb und Alleinvertrieb ist dabei nur in der Region/dem Gebiet, in dem das selektive Vertriebssystem betrieben wird, unzulässig. Für andere Gebiete gilt diese Einschränkung nicht.
Beschränkungen von Querlieferungen, Art. 4 lit. d Vertikal-GVO
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Auch die Beschränkung von Querlieferungen unterliegt besonderen Restriktionen. Querlieferungsverbote im Verhältnis der Händler innerhalb eines selektiven Vertriebssystems sind als Kernbeschränkung zu qualifizieren (Art. 4 lit. d Vertikal-GVO). Zweck der Vorschrift ist es, die Austauschmöglichkeiten zwischen den Händlern offen zu halten, um insbesondere Parallelimporte zu ermöglichen und die Abschottung nationaler Märkte zu verhindern.[425]
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Für die Anwendung von Art. 4 lit. d Vertikal-GVO kommt es nicht darauf an, ob die Händler auf derselben oder auf unterschiedlichen Handelsstufen tätig sind.[426] Der Begriff der „Querlieferungen“ zwischen Händlern ist umfassend zu verstehen.[427] Nicht beschränkbare Querlieferungen sind Lieferungen[428]
– | zwischen Händlern derselben Handelsstufe; |
– | zwischen Händlern verschiedener Handelsstufen, etwa des Einzelhändlers zurück an den Großhändler (Rücklieferungen) oder umgekehrt; |
– | zwischen Händlern verschiedener Handelsstufen unter Auslassung der dazwischen liegenden Stufe wie Lieferungen des Importeurs an den Einzelhändler unter Umgehung des Großhändlers (Sprunglieferungen). |
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Eine Beschränkung der Querlieferungsfreiheit der Vertragshändler liegt auch dann vor, wenn die Querbezugsfreiheit der Händler eingeschränkt wird.[429] Ein selektives Vertriebssystem kann also nicht mit anderen vertikalen Beschränkungen kombiniert werden, „mit denen die Händler gezwungen werden sollen, die Vertragsprodukte ausschließlich aus einer bestimmten Quelle zu beziehen.“[430] Die Kombination eines selektiven Vertriebssystems mit einer Alleinbezugsverpflichtung zulasten des Vertragshändlers (gleich welcher Handelsstufe) stellt demnach eine Kernbeschränkung i.S.d. Art. 4 lit. d Vertikal-GVO dar.[431] Unzulässig ist es damit, wenn zugelassene Händler Ware nur beim Anbieter oder einem durch den Anbieter bestimmten Großhändler beziehen dürfen.[432]