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Die psychē als Form des natürlichen Körpers

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Aristoteles erkannte jedem lebenden Organismus eine psychē zu. Er dachte die psychē als die Form eines natürlichen Körpers, der Leben hat.1 Sie wurde von ihm auch als erste Wirklichkeit [Vollendung] eines natürlichen Körpers, der Organe hat, charakterisiert (DA 412b5–6). Aristoteles’ Terminologie muss erläutert werden.

Dem gewöhnlichen Verständnis nach bedeutet ‚Psyche‘ ‚Atem‘ oder ‚Lebensatem‘ (den man im Augenblick des Todes oder wenn man ohnmächtig wird ‚ausatmet‘), so wie der ältere lateinische Ausdruck ‚anima‘ auch, mit dem er übersetzt wurde und der mit der Vorstellung des Windes und vitaler Lebenskraft verknüpft ist. Die psychē von solchen Assoziationen frei zu machen, war eine prä-aristotelische philosophische Innovationsleistung. Aristoteles brachte sie erstmals ausdrücklich mit allen Organismen in Verbindung, als das Lebensprinzip, das jedes lebendige Wesen durchdringt. Obwohl ‚Psyche‘ üblicherweise mit ‚Seele‘ übersetzt wird, muss man sich klarmachen, dass ‚Psyche‘ in aristotelischer Verwendung nicht die religiösen und ethischen Konnotationen unseres Terminus ‚Seele‘ aufweist. Psychē ist das ‚Lebensprinzip der Geschöpfe‘ (DA 402a7–8), und zwar auch der pflanzlichen. Denn Pflanzen haben nicht weniger eine Psyche als Tiere. Es wäre gleichfalls irreführend, ‚Psyche‘ mit ‚Geist‘ zu übersetzen, denn der Geist und die Geistesvermögen sind anders als die psychē nicht mit Wachstum, Ernährung und Fortpflanzung, den charakteristischen Merkmalen alles Lebendigen, verknüpft. Die Psychē ist auch nicht essenziell mit dem Bewusstsein verknüpft, wie sie es in der cartesianischen Konzeption des Geistes ist. Der Terminus ‚Psyche‘, den wir in Übereinstimmung mit der Tradition im Folgenden als ‚Seele‘ übersetzen, ist ein biologischer Begriff – kein religiöser oder ethischer. Es ist wichtig, das mit Blick auf Aristoteles, aber auch hinsichtlich der neurowissenschaftlichen Debatten des 17. und 18. Jahrhunderts über die Existenz einer ‚spinalen Seele‘ zu beachten (siehe 1.4).

Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften

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