Читать книгу Cybionic – Der unabwendbare Anfang  - Meike Eggers - Страница 18

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Die drei Katzen warteten ungeduldig drängelnd hinter der Haustür. Antonia schob sie mit ihrem Fuß vorsichtig zur Seite und sammelte die Post von der Fußmatte ein, auf der in geschwungener roter Schrift welcome darling stand. Sie steckte den Tagesspiegel in ihre Tasche, legte die Briefe auf den Küchentisch und öffnete drei Dosen mit einer undefinierbar riechenden braunen Masse.

Das denkmalgeschützte Haus am Rande der Waldsiedlung Zehlendorf war teuer und geschmackvoll eingerichtet. Ich sah den Esstisch im Wintergarten, an dem also diese berüchtigten Netzwerkessen stattfanden. Heute stand er verlassen im morgendlichen Sonnenlicht, das durch das frisch geputzte Glasdach fiel.

Der Garten war nicht besonders breit, dafür umso länger, mit Gemüsebeeten und japanischen Zierbäumen. In Holzkübeln wucherten Erdbeerpflanzen, die roten, überreifen Früchte hingen über den Rand bis auf den gepflasterten Weg. Im Nachbargarten erklang klassische Musik.

Hinter dem Garten begann ein Trampelpfad, der direkt in den Grunewald führte. Antonia sprang mit unermüdlicher Energie über heruntergefallene Äste und hochstehende Baumwurzeln. Der Sauerstoff und die Bewegung sorgten dafür, dass ich langsam wach wurde. Die Sonne schien durch die Baumkronen, hin und wieder huschte ein Eichhörnchen über den Weg. Außer einem grauhaarigen Mann mit einem ebenso grauhaarigen Pudel begegnete uns kein Mensch.

Bei einem Baum, der schräg über den See wuchs, blieb Antonia stehen. Ein altes Tau hing wie eine Liane von einem dicken Ast herab. Am Ende des Taus war ein breiter Knoten, der kurz über der Wasseroberfläche baumelte. Sie schleuderte ihre Sandalen von den Füßen und steckte die Zehen ins grünbraune Wasser.

»Hier haben sie mal einen über zwei Meter langen Wels gefangen«, sagte sie, ohne sich umzudrehen. »Ein Nachbar hat ein Foto von dem Viech gemacht. Der hatte Silikonlippen, dagegen ist Donatella Versace nichts! Nur dass bei dem Viech auch noch Hakenantennen aus den Lippen wuchsen.« Sie schüttelte sich. »Mit zehn war ich hier einmal mit meinem Opa zum Schwimmen. Ich hatte gerade meine Schuhe ausgezogen, da sagte mein Opa plötzlich: ›Stopp!‹ Ganz hinten im See schwamm eine seltsame Silhouette. Mein Opa meinte, es wäre ein Karpfen, der sich an der Oberfläche sonnt. Als ob man Kindern jedes Märchen auftischen könnte!« Sie lachte und stieg aus ihrem Rock. »Das Ding war so was von riesig! Bestimmt drei Meter lang, mit einem schlangenförmigen Hals. Loch-Ness-mäßig, ganz sicher kein Fisch! Mein Opa fand das Wasser dann plötzlich viel zu kalt zum Schwimmen.« Antonia warf den Rest ihrer Kleidung über einen Ast und lief nackt ins Wasser. »Aber keine Sorge, das ist ja schon eine Weile her. Ich denke nicht, dass das Vieh noch lebt.«

Hinter ihr wirbelte der Schlamm auf, mit kräftigen Zügen schwamm sie Richtung Seemitte. Am liebsten hätte ich mich erstmal ans Ufer gesetzt und eine geraucht. Stattdessen zog ich mein T-Shirt und meine Hose aus. Die Badehose, die ich gestern Nachmittag extra noch aus meiner Wohnung in Neukölln geholt hatte, ließ ich in meiner Tasche. Ich warf meine Unterhose auf den Ast und ging bis zu den Knöcheln ins Wasser. Der Boden war mit einem glitschigen Belag bedeckt, der durch die Lücken zwischen meinen Zehen quoll. Ich sprang ins Wasser, mein Körper verschwand in der braunen Flüssigkeit. Es war eiskalt, nur die oberste Wasserschicht war von den ersten Sonnenstrahlen etwas erwärmt worden.

Antonia trieb regungslos auf dem Rücken. Als ich einige Meter von ihr entfernt war, drehte sie sich wie ein Aal und verschwand unter der Oberfläche. Kurz danach fühlte ich einen festen Griff an beiden Beinen, das Wasser klatschte über meinem Kopf zusammen. Als ich prustend wieder an die Oberfläche kam, schlug mir eine Welle ins Gesicht und das Schlammwasser lief in meinen Mund. Ich hustete krampfhaft, die Haare hingen wie ein schwarzer Müllsack vor meinen Augen. Antonia konnte sich vor Lachen kaum noch über Wasser halten.

»Oh, sorry, ich wollte dich nicht gleich ertränken!«, rief sie und schwamm weiter. Mit unbeholfenen Bewegungen folgte ich ihr.

Am gegenüberliegenden Ufer waren einige Bäume vom Hang abgerutscht, die Kronen hingen halb im Wasser. Antonia wies auf eine dicke Eiche. »Komm, ich zeige dir was!«

Bevor ich etwas erwidern konnte, war sie unter Wasser verschwunden.

Die Blätter der Baumkrone bildeten eine grüne blickdichte Mauer. Ich tauchte ebenfalls unter und riss die Augen auf. Vor mir fielen Sonnenstrahlen ins Wasser. Kleine hellgrüne Partikel leuchteten auf wie der Sternenschwarm einer Miniaturgalaxie. Unter mir war das Wasser finster und kalt. Ich bewegte meine Arme und Beine in der Hoffnung, dass ich mich zufällig in die richtige Richtung bewegte, mein Orientierungssinn funktionierte nicht mehr. War ich zwei Meter getaucht oder erst ein paar Zentimeter?

Der Drang, einzuatmen, trieb mich Richtung Licht. Alle Bewegungen spielten sich im Zeitlupentempo ab, aber das Wasser wurde langsam wärmer. Mit einem letzten Beinschlag kam ich an die Oberfläche. Mein Kopf stieß gegen etwas Hartes, das mich wieder unter Wasser drückte, bevor es widerwillig zur Seite wich. Ich schnappte nach Luft. Über mir leuchtete es hellgrün, ich griff nach einem Ast neben meinem Kopf und zog mich hoch.

Antonia saß ein paar Meter von mir entfernt auf einer Erhebung, das Wasser reichte ihr bis zu den Schulterblättern.

»Wenn ich beide Augen zudrücke, hättest du damit vielleicht dein Seepferdchen bestanden.« Sie kicherte und streckte mir eine Hand entgegen. »Hier ist ein Ast unter Wasser.«

Das Holz war mit einer Schleimschicht überzogen. Ich rutschte zweimal ab, bevor es mir gelang, mich hinaufzuziehen.

Ich hätte sie warnen sollen, dass ich kein einziges Schwimmabzeichen besaß. Das Schwimmbad in unserem Stadtteil in Grosny war eines der ersten Gebäude gewesen, die sich zu Beginn des Krieges in ein siebähnliches Gebilde verwandelt hatten. In den Straßen hatte, auch noch Tage nachdem das Wasser schon lange versickert war, ein penetranter Chlorgeruch gehangen. Ich rieb mir die vom Schlammwasser brennenden Augen. Antonia rutschte ein Stück zu mir rüber, ich fühlte die warme Haut ihrer Oberschenkel. »Schön, dass du nicht ertrunken bist.« Diesmal kicherte sie nicht. Vermutlich war ihr inzwischen auch aufgefallen, dass ich nicht gerade der beste Schwimmer der Welt war.

»Ich rutsche.« Antonia griff mit übertriebener Dramatik nach meinem Arm. Der Ast, auf dem wir saßen, sackte langsam tiefer ins Wasser. Ihre Schulter und ihre Hüften berührten mich leicht, während die Schatten der Blätter über das Wasser sprangen.

»Da drüben sieht es stabiler aus.« Ich wies auf einen Ast am anderen Ende der Höhle, aber Antonia beachtete meine Hand nicht. Sie drehte sich zu mir um. Ihre weichen Brüste drückten gegen meinen Oberkörper. Das Wasser schwappte in kleinen Wellen zwischen uns hoch. Ich fühlte ihre Hände an meinem Rücken und von da aus langsam hochwandern bis zu meinem Nacken.

»Kannst du die Welt da draußen nicht einfach einmal für einen Moment vergessen?«, fragte sie.

»Du meinst Ksen?«

Antonia sah mich ernst an. »Nein, ich meine die Welt. Wir tun alles, um Ksen zu finden. Alles, was in unserer Macht liegt. Ksen lebt. Glaub mir.«

»Und wenn sie unsere Hilfe braucht, gerade jetzt in diesem Augenblick?«

»Wir tun alles, was wir können«, wiederholte Antonia und nahm mein Gesicht in ihre Hände. Im Braun ihrer Iris waren kleine gelbe Flecken. Ich fühlte ihre Lippen auf meinen, ließ den Ast los, an dem ich mich bisher festgehalten hatte, und griff nach ihrer Taille. Unter Wasser knackte es dumpf. Das glitschige Holz war unter unserem Gewicht zerbrochen und sackte langsam tiefer. Antonias Körper drückte gegen meinen. Dann schwappte das Wasser über unseren Köpfen zusammen.

Mit jedem Zentimeter, den wir tiefer sanken, wurde es kälter. Antonias Körper war die letzte Wärmequelle. Meine Lunge verlangte nach Luft. Durch die Planktonteilchen hindurch sah ich ihre geöffneten Augen. Ihre Hände umklammerten noch immer meinen Kopf. Ich wartete darauf, dass sie mich losließ oder nach oben schwamm, aber Antonia rührte sich nicht. Als meine Füße den modrigen Grund berührten, riss ich mich los und stieß mich vom Boden ab. Antonia blieb auf dem Seeboden zurück. Die Haare hingen wie dicke Kabel um ihren Kopf.

Die Oberfläche schien unerreichbar weit weg. Für einen Moment dachte ich, dass ich den Drang, einzuatmen, nicht länger unterdrücken konnte. Ein Sonnenstrahl leuchtete neben mir auf, das Wasser wurde wärmer. Auf einmal war ich mir ebenfalls sicher, dass Ksen noch lebte. Der Gedanke gab mir Energie.

Die Wasseroberfläche riss auf. Ich schnappte nach Luft, klammerte mich an einen Ast und sah nach unten. In der Tiefe schimmerten die Umrisse von Antonias regungslosem Körper. Ihre Haut leuchtete blassblau durch das grünbraune Wasser. Ich fühlte Panik in mir aufkommen. Noch einmal nach unten tauchen würde ich nicht schaffen. Endlich bewegte Antonia sich, langsam wurde ihr Körper größer, bis ihr Kopf durch die Oberfläche brach. Sie prustete wie ein Seehund. Die Haare hingen glänzend und glatt an ihrem Kopf. Mit einem Schütteln beförderte sie die nassen Strähnen aus dem Gesicht und schwamm lachend zu mir herüber.

Cybionic – Der unabwendbare Anfang 

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