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Eine viertel Stunde später klopfte es. Schnell ging ich zur WG-Tür und öffnete sie. Antonia grinste mich fröhlich an, sie trug eine durchsichtige gelbe Strumpfhose, ein ärmelloses gelbes T-Shirt, einen kurzen grünen Rock und dieselben zehn Zentimeter hohen Plateauschuhe, mit denen sie über das umgeknickte Stoppschild balanciert war. Ihre braunen Haare hatte sie zu einem wirren Knoten mitten auf ihrem Kopf zusammengesteckt. Noch immer außer Atem ging sie an mir vorbei und verschwand in Ksens Zimmer. Ich schloss die Tür und folgte ihr.

»Wie bist du überhaupt hier reingekommen?«, fragte sie.

»Der Blonde hat mir aufgemacht. Der geht am frühen Morgen manchmal joggen. Jetzt schläft er wieder.«

Sie nickte und schritt langsam durch das Zimmer. Vor den alten Porträtfotos blieb sie stehen, nach einer Weile drehte sie sich zu mir um.

»Wer ist das?«

Ich zog meine Schultern hoch. »Ich hatte gehofft, dass du das weißt.«

»Ich habe das Foto noch nie vorher gesehen.«

»Vielleicht hat Ksen die Bilder abgenommen, wenn Besuch kam. Der Tesafilm ist voll mit Farbresten.«

Antonia drehte sich wieder zur Wand und musterte den Tesafilm. Ich hob Ksens Galaxy auf, tippte 82762 und suchte das Foto. »Sie hat es auch auf ihrem Handy. Und nicht nur einmal.«

Ich hielt das Galaxy in Antonias Richtung. Die fettigen Schlieren auf dem Display wirkten im Sonnenlicht dreidimensional. Antonia drehte sich ruckartig zu mir um.

»Fucking Christ!«, sagte sie leise und sah das Galaxy an, als ob ich soeben eine Heiligenfigur entweiht hätte. »Das findet Ksen garantiert nicht lustig. Du weißt doch, dass sie ausflippt, wenn man das Ding auch nur etwas zu lange anguckt!«

»Normalerweise kann man sich in Ksens Handy spiegeln. Als ich es fand, war es mit Fingerabdrücken und Streifen überzogen. Sie hat etwas ganz hektisch gesucht.«

»Ja und?«

»Außerdem lässt Ksen es niemals zu Hause liegen.«

»Dann hat sie es wohl ausnahmsweise einmal vergessen, Sala.«

Antonia sah ein paar Sekunden auf den Bildschirm, dann richtete sie ihren Blick wieder auf mich. Ihre Mundwinkel zuckten leicht. In ihren Augen lag auf einmal Besorgnis. Ich war mir nicht sicher, ob diese Sorge mir galt, Ksens Verschwinden oder dem alten Foto.

»Was hast du bisher unternommen?«, fragte sie.

»Ich habe die Polizei angerufen.«

»Und was haben die gesagt?« Sie sah mich an, als ob ich den Verstand verloren hätte.

»Ich soll mich in zwei oder drei Tagen nochmal melden.«

»Ksen ist erwachsen, Sala. Sie ist zwar deine kleine Schwester, aber mittlerweile vierundzwanzig Jahre alt. Sie kann tun und lassen, was sie will. Sogar einen Tag offline bleiben, ohne sich vorher bei dir abzumelden.«

»Ich habe kein gutes Gefühl, Antonia. Ksen hat seit Freitagnachmittag keine E-Mails gelesen!«

»Hast du etwa in ihren Mails rumgeschnüffelt?«

Ich nickte schuldbewusst.

»Meinetwegen darf sie auch zwei Tage wegbleiben, ohne uns vorher zu informieren. Es ist Wochenende. Sie ist wahrscheinlich verreist, oder sie hat jemanden kennengelernt und ist einfach nur dortgeblieben. Darf ich mal das Handy haben?«

Ich reichte ihr das Galaxy.

Antonia sah abwechselnd auf das Display und an die Wand. »Im Handy sieht die Frau irgendwie mysteriöser aus, findest du nicht?«

Sie gab mir das Galaxy zurück. Ich verglich die Gesichter: Antonia hatte recht. Die junge Frau wirkte auf dem Bildschirm nicht nur hübscher, auf den Papierausdrucken hatte sie auch einen anderen Gesichtsausdruck. Die Unterschiede waren so subtil, dass ich sie nicht einmal benennen konnte. Vielleicht waren es die Kontraste in den Augen. Das Weiß war weißer und das Schwarz dunkler. Auf jeden Fall erschien sie im Handy lebendiger. Ich schaltete das Galaxy aus und steckte es in meine Hosentasche.

»Ksen war Freitag in der Uni, Sala. Sie suchte nach ihrem Schließfachschlüssel. Seit ich Ksen kenne, sucht sie mindestens einmal pro Monat nach irgendeinem Schlüssel. Diesmal war ihre Suche höchstens einen Tick hektischer. Ich bin davon überzeugt, dass sie einfach übers Wochenende weggefahren ist. Ich sehe ihre schwarze Jeansjacke und die grauen Turnschuhe nirgends.«

Sie ging zu dem Kleiderhaufen, der sich neben dem Schrank auftürmte, und hob einen schwarzen Rock hoch.

»Bist du eigentlich auch so ein Chaot? Ksen meinte, eure Wohnung in Bonn sah immer aus wie kurz nach einem Bombenangriff.«

»Unsere Mutter hatte hin und wieder Phasen, in denen alles etwas außer Kontrolle geriet.«

»Und bei dir?« Sie drehte sich zu mir um. »Alles unter Kontrolle?«

»Klar«, log ich.

»Da ist das Mistvieh ja!« Antonia sah zu dem Nagel neben dem Schrank, an dem der kleine Schlüssel mit der eingestanzten 39 hing. »Ksen hat den Schließfachschlüssel also wiedergefunden. Wusste ich es doch!«

»Oder er hing die ganze Zeit da am Nagel unter dem Haustürschlüssel. Den habe ich gerade eingesteckt.«

»Weißt du, was, Sala? Am besten fährst du zu dir nach Hause und legst dich noch mal eine Runde aufs Ohr. Heute Abend oder spätestens morgen früh ist Ksen ganz sicher zurück. Sie erscheint zu jeder Vorlesung pünktlich. Das mag ich übrigens sehr an ihr. Deine Schwester weiß, was sie will. Soll ich dich morgen früh anrufen? Bis dahin hat sich vermutlich alle Aufregung in nichts aufgelöst.«

»Ja, ist gut«, sagte ich, obwohl ich mir sicher war, dass es nicht so sein würde, und begleitete Antonia zur Tür.

Cybionic – Der unabwendbare Anfang 

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