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Herr Schmidt hatte die Unterlagen der Hausverwaltung wie versprochen in den WG-Briefkasten geworfen. Einer von Ksens Mitbewohnern hatte die Papiere auf dem Küchentisch abgelegt, nicht wissend, wer der Empfänger dieser seltsamen Lektüre war. Ich blätterte kurz durch die Seiten und legte den Stapel wieder auf den Tisch. Wie oft und wie lange durfte ein Hund am Tag bellen? Was war unzumutbar laut oder gerade noch tolerierbar leise? Meine Augen brannten noch immer vom Schlammwasser.

Im vierten Stock, gegenüber von Schmidts Wohnung, hatte vor ein paar Jahren eine Frau Knoblich gewohnt, die einen kompletten Monat lang vierundzwanzig Stunden am Tag notiert hatte, wie oft und wie lange Rübe kläffte. Die Liste sah sie als Beweis dafür, dass der Hund ihren Wohnkomfort nachhaltig verminderte, und darum bestand sie darauf, dass der Dackel wegmusste. Ihre Beschwerde vor der Eigentümerversammlung wurde nicht anerkannt. Am Ende war sie selbst ausgezogen.

Mir fiel nichts ein, womit ich Herrn Schmidt dazu bewegen konnte, mich in seine Wohnung zu lassen. Wenn ich ihm erzählte, dass meine Schwester seit sechs Tagen spurlos verschwunden war und dass meine einzige Spur das Foto von einem vor fünfundsiebzig Jahren ebenfalls spurlos verschwundenen Mädchen war, das in seiner Wohnung gelebt hatte, würde Schmidt mir die Tür vor der Nase zuknallen. Er würde annehmen, dass die Stasi wieder ihre Arbeit aufgenommen hatte. Oder der BND bei ihm rumschnüffeln wollte – oder das FBI, das GCHQ und die FAPSI zusammen. Oder er hielt mich für den Spitzel einer osteuropäischen Einbrecherbande. Oder für jemanden, der aus einer geschlossenen Anstalt entkommen war. Vielleicht kam das Letzte der Wahrheit noch am nächsten.

In Ksens Zimmer öffnete ich das Fotoarchiv in ihrem Galaxy und suchte das Bild von Antonia im Bikini. War das heute nur eine ihrer Launen gewesen? Ein Spiel ohne Bedeutung? Ksen wäre bestimmt nicht begeistert, wenn ich etwas mit ihrer besten Freundin hätte, dachte ich.

Ich scrollte durch die Fotos. Lachende Menschen, eine alte Badewanne mitten auf einem breiten Bürgersteig, Antonia auf dem abgeknickten Stoppschild. Ella. Ich blätterte zurück zu Antonia auf dem Stoppschild und wieder vor zu dem Bild von Ella.

Als ich das letzte Mal Ksens Fotoarchiv durchgesehen hatte, war das Bild von Antonia auf dem Stoppschild das letzte Bild gewesen. Oder hatte ich das von Ella übersehen?

Ich blätterte noch einmal zurück und wieder vor. Ich war mir so gut wie sicher: Vor drei Tagen war das Foto von Antonia noch das letzte Foto gewesen. Das Bild von Ella war neu. Es musste in den vergangenen drei Tagen auf ihr Handy gekommen sein. Über dem Bild stand weder das Datum noch der Ort oder die Uhrzeit der Aufnahme. Ellas Augen leuchteten. Ich öffnete eines der anderen Bilder von Ella. Es sah stumpfer aus, anders konnte ich es nicht beschreiben. Die Lippen schmaler. Ich blätterte noch weiter zurück; sie sah auf jedem Bild anders aus. Je weiter ich im Fotoarchiv nach hinten kam, desto unscheinbarer und zweidimensionaler wirkte sie. Platt. Leblos. Der Unterschied zwischen dem ersten und dem letzten Bild war eindeutig.

Ich schloss die Augen, das schlammige Süßwasser hatte das Salz aus meiner Tränenflüssigkeit gesaugt. Außerdem hatte ich die letzten Nächte kaum geschlafen. Wenn ich doch kurz eingenickt war, hatten mich absurde Träume befallen. Hatte ich das letzte Foto von Ella übersehen oder war es tatsächlich neu? Veränderten sich die Bilder? Wenn ich mir nur einmal bei irgendetwas hätte sicher sein können.

Ich öffnete WhatsApp, vielleicht hatte jemand das Foto geschickt. Aber Ellas Bild stammte aus keiner der neu eingegangenen Nachrichten.

Ich zog mein eigenes Handy aus der Hosentasche und tippte auf Antonias Namen. Sie hatte das Fotoarchiv ebenfalls gesehen. Es klingelte fünf Mal, dann sprang ihre Mailbox an. Antonia holte vermutlich den Schlaf der durchfeierten Nacht nach.

»Kannst du mich kurz zurückrufen?«, sprach ich auf ihre Mailbox. Dann schaute ich zu Ksens Bett. Ich brauchte es gar nicht erst zu versuchen. Diese Phasen kannte ich nur zu gut. Mein Schlaf war verseucht.

Cybionic – Der unabwendbare Anfang 

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