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Rot – na und?

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Rote Ampeln scheinen in Großbritannien nur für Auto- und Motorradfahrer bindend zu sein. Fußgänger und Radfahrer machen, was sie wollen. Fußgänger überqueren die Straße auch rot. Man nennt das „jaywalking“, und das ist ganz normal. In London wälzen sich stets ganze Menschenmassen über rote Fußgängerampeln. Ob da Kinder stehen oder nicht, ist unerheblich. Nicht nur kümmern sich Fußgänger nicht darum, ob Kinder sehen, wie Erwachsene bei Rot die Straße überqueren, nein, sogar Eltern gehen mit ihren Kleinen bei Rot.

Vor Jahren, als ich noch in Deutschland wohnte, hatte ich einen englischen Freund zu Besuch. Wir kamen spätabends zu einer roten Fußgängerampel und blieben stehen. Die Straße war leergefegt und die Bürgersteige bereits weitestgehend hochgeklappt. Als wir da so standen, fragte er: „Willst du warten, bis ein Auto kommt?“ Für ihn war es unvorstellbar, an einer Straße zu warten, auf der kein Auto fährt, während ich einfach bei rot ganz automatisch stehen geblieben war.

Hier hingegen wird man als Verkehrshindernis betrachtet und links und rechts angerempelt, wenn man an roten Fußgängerampeln stehen bleibt. Ich habe mich also bis zu einem gewissen Maße angepasst und auch ich überquere jetzt Einbahnstraßen oder solche mit Verkehrsinseln, auf die man sich zur Not retten kann, gelegentlich bei rot. Andere sind da abgebrühter und schrecken nicht davor zurück, sich während der Rush Hour über vierspurige Verkehrsadern (ohne Insel) zu kämpfen. Das ist wirklich nicht ganz ungefährlich, und es besteht eine realistische Chance, von einem Londoner Wahrzeichen plattgefahren zu werden. Die Fahrer roter Doppeldeckerbusse und schwarzer Taxen kennen kein Pardon und halten drauf, und man kann es ihnen fast nicht verdenken. Wenn die bei jedem Fußgänger, der ihnen in den Weg rennt, bremsen wollten, kämen sie niemals pünktlich ans Ziel (obwohl, wenn ich so drüber nachdenke, kommen Londoner Busse sowieso nie pünktlich …).

Wozu jedoch diese Eile? Ganz besonders morgens fehlt mir das Verständnis für Jaywalker: Setzen die ihr Leben aufs Spiel, um früher im Büro anzukommen? Abends ist das vielleicht etwas anderes, denn da geht es darum, den Zug nach Hause zu erwischen. Da ist jede Minute kostbar. Trotzdem: Ich schätze, dass die Ampeln auf meinem ca. zwanzigminütigen Fußweg mich nur um maximal 30 Sekunden entschleunigen. Aber natürlich kann man einen Zug auch wegen nur 10 Sekunden verpassen. In meinem Fall wäre das nicht so furchtbar schlimm, denn in 10 Minuten fährt der nächste. Sicherlich gilt das für Züge woandershin auch, denn der Personennahverkehr um London herum ist viel besser als sein Ruf. Besser, 10 Minuten später zu fahren, als sich von einem schwarzen Taxi abknibbeln zu lassen. Das würde einen möglicherweise noch wesentlich mehr verspäten.

Während Taxifahrer Fußgänger hassen, ärgern diese sich schwarz über Radfahrer. Selbst die Feiglinge oder Ausländer unter den Fußgängern, die auf Grün warten, können sich darauf verlassen, dass der Straßenverkehr inklusive Bussen und Taxen vor der roten Ampel stehen bleibt. Man tritt also arglos vom Bürgersteig auf die Straße und erleidet fast einen Herzinfarkt, weil einem ein Radfahrer mit 50 Sachen beinahe die Nase oder sonstige hervorragende Körperteile abfährt. Wie oft habe ich mich deshalb schon nach Luft ringend im Rinnstein wieder gefunden?

Laut Highway Code darf man in Großbritannien alle Straßen außer Autobahnen zu Fuß überqueren. Das gilt also auch für vierspurige Schnellstraßen mit „baulicher Trennung“, also einer Leitplanke in der Mitte. An der A127 (Geschwindigkeitsbegrenzung 70 Meilen, ca. 110 km/h) zwischen Southend-on-Sea und Rayleigh steht ein Schild, das vor straßenüberquerenden Fußgängern warnt. Ich frage mich immer, wo diese Lebensmüden wohl herkommen sollen. Denn rechts und links ist Wald, in der Mitte nicht nur eine Leitplanke, sondern ein Zaun! Durchschneidet die A127 einen beliebten Wanderweg? Müssen Spaziergänger unbedingt über diese Straße? So unbedingt, dass sie sogar den Zaun in der Mitte überklettern – vorausgesetzt, sie kommen überhaupt so weit?

Noch besser war ein Schild, das dort früher einmal an dieser Straße stand: „Vorsicht, Dachse!“ Dachse! Das ist jetzt weg. Wahrscheinlich seit der letzte Dachs irgendwann doch überfahren worden ist. Vielleicht kamen die Dachse auch so schlecht über den Zaun. Schade.

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