Читать книгу Unter Briten - Melanie Ryan - Страница 16
Das kleinere Übel
ОглавлениеLondon ist umgeben von einer Ringautobahn, der M25 oder auch „London Orbital”. Das deutsche Wort für „Orbit” ist – wenn mich meine Erinnerung an den Chemieunterricht nicht täuscht – „Aufenthaltswahrscheinlichkeitsbereich” und in der Tat halten sich während der Stoßzeiten morgens und abends die meisten im Südosten Englands angemeldeten Autos mit größter Wahrscheinlichkeit in diesem Bereich auf.
Über kaum eine Autobahn in England wird so viel gemeckert und gestöhnt wie die M25. Sie zerstörte viele Quadratkilometer reizender Natur, sieht selbst nicht schön aus und ist ein Quell nicht enden wollenden Frusts für ihre Benutzer. Die Autobahn ist berühmt-berüchtigt für ihre kilometerlangen Staus und die Vielzahl von Unfällen. Jeden Morgen befassen sich die Verkehrsdurchsagen im Radio fünf Minuten lang mit der M25, und im Volksmund wird diese Straße auch gern als „der größte Parkplatz der Welt“ bezeichnet. Bei dem überraschenden Wintereinbruch im Januar 2009 lagen Autofahrer 17 (!) Stunden lang auf der M25 fest und wurden vom Roten Kreuz mit Decken und Tee versorgt. Schließlich ist mit Tee alles nur noch halb so schlimm.
Die M25 ist umgeben von riesigen Kreisverkehren mit mehreren Spuren. Fast jede Auf- und Abfahrt führt durch einen solchen Kreisverkehr. Stellt man sich die M25 als Uhr vor, dann ist unsere Auffahrt auf 3 Uhr. Vor ein paar Jahren, kurz nach dem Erwerb unseres Autos, wollte ich eine Freundin besuchen. Dazu musste ich über die M25 und ungefähr bei 1 Uhr abfahren.
Unser kleiner Peugeot und ich näherten uns also zum ersten Mal der berüchtigten M25, von der wir beide schon so viel gehört hatten. Ich hatte Schweiß auf der Stirn und meine feuchten Patschehändchen umklammerten das Lenkrad, als ich zum ersten Mal auf den Kreisverkehr zu fuhr, der mich auf die Autobahn schwingen sollte. Zu spät, erst als ich vor der letzten Ampel vor dem Kreisverkehr stand, merkte ich, dass ich mich in die falsche Spur eingeordnet hatte. Zum Spurwechsel war es zu spät, dazu war zu viel Verkehr, und ich musste deshalb, sobald die Ampel auf grün sprang, sehenden Auges in einen Stau einfahren, der in der falschen Richtung (im Uhrzeigersinn) unterwegs war. Es blieb mir nichts anderes übrig als auf- und bei der nächsten Abfahrt wieder abzufahren, um dann die Richtung zu wechseln. So stand ich dann im strahlenden Sommersonnenschein auf dem größten Parkplatz der Welt. 30 Minuten lang kroch ich bis zur nächsten Ausfahrt. Für den Rückweg von dort zu „unserer“ Auffahrt brauchte ich drei Minuten.
Autofahrer versuchen, die M25 so gut es geht zu meiden. Und doch ... Was täten wir ohne sie? Wir haben Freunde in Henley-on-Thames (9 Uhr). Wenn wir die besuchen, fahren wir im Halbkreis um die M25. Gäbe es die Autobahn nicht, müssten wir mitten durch London: 40 km Hölle. Da bleibt man doch lieber zu Hause. Dank M25 nehmen wir dann doch lieber 100 km Fegefeuer in Kauf. Da kommt man wenigstens am Ende wieder raus.