Читать книгу Unter Briten - Melanie Ryan - Страница 8
Allein in der Seifenblase
ОглавлениеEngländer haben den Ruf, sehr reserviert zu sein. Lernt man sie auf einer Party kennen, kann man froh sein, wenn sie einem verraten, wie sie heißen. Was einer beruflich macht, ob er verheiratet ist oder Kinder hat, kommt nach stundenlangem Gespräch vielleicht einmal heraus. Aber gib ihnen ein Händi und schon erfährst du mehr als du jemals wissen wolltest.
Den Händi-Gesprächen anderer im Zug zuzuhören ist eines meiner Lieblingsärgernisse. Lauthals erzählt da eine Frau, dass sie herausgefunden hat, dass ihr Mann ihr seit Jahren fremdgeht, der perverse alte Sack. Die Scheidung wird teuer, der kann sich auf was gefasst machen. Für die Neuzugestiegenen erzählt sie das alles auch gern noch mal, denn sie hat mindestens fünf Freundinnen, denen sie dieselbe Geschichte erzählen muss.
Ebenso viele – wenn nicht mehr – Freunde und Bekannte hatte die Frau, deren Tochter demnächst in einer dieser vormittäglichen Talkshows auftritt. Sie ruft jeden an, den sie kennt, damit es bloß keiner verpasst. Dabei kann das ja eigentlich nur peinlich werden.
Eine verhandelt beim Aussteigen mit einem Handwerker. Ob er morgen vielleicht vorbeikommen könnte und den Zaun reparieren. Sie sei zwar den ganzen Tag nicht da, aber sie würde das Bargeld in einem Umschlag unter ihrer Mülltonne verstecken. Hallo? Verstecken? Wenn sie das hier so am Händi durch die Gegend schreit, kann sie den Umschlag auch mit der Aufschrift „Bargeld“ an die Tonne kleben.
Engländer sollen auch sehr bescheiden sein und zu Understatement neigen. Und doch brüllt ein Typ durch den Wagen, dass er nächste Woche ein Vorsprechen (–singen? –führen?) beim Royal Opera House hat. Eine Kampfszene. Da hat er die besten Chancen, denn schließlich hat er „Kämpfen“ als Fach auf der Schauspielschule belegt und hat das richtig gelernt. So einen wie ihn haben die da sicher noch nicht, und die anderen Aspiranten können ja gar nicht so gut sein wie er! Den Vertrag hat er im Sack.
Außerdem sind Engländer höflich. Dafür sind sie bekannt, darauf sind sie stolz. Bittet ein Mitreisender im Zug, einen dieser Händibrüller, etwas leiser zu reden oder gar, das Gespräch zu beenden, weil wir hier nämlich zufällig im „Stillen Wagen“ (Das ist jeder vierte Wagen: Bitte keine Händis, MP3-Player und laute Unterhaltungen.) sitzen kommt – englisch höflich:
„Ich kann selber lesen.“
„Kümmern Sie sich um ihren eigenen Scheiß.“
„Wenn’s Ihnen nicht passt, können Sie ja weghören.“
„Du, ich muss Schluss machen, hier sitzt so ein selbsternannter Polizist im Wagen ...“
Wenn man ein Händi am Ohr hat, dann ist das wie im Auto. Da ist man ganz allein und es kann einen keiner hören, so wie im Auto keiner sieht, dass man in der Nase bohrt.