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In Reih und Glied

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Briten sind berühmt für ihre Perfektion im Schlangestehen. Oder ist das wieder nur ein Klischee?

Im Vereinigten Königreich gab es schon Zickzackschlangen (eine Schlange vor mehreren Kassen), als ich bei der Bundespost immer noch hinter genau der Oma in der Schlange stand, die sich das Guthaben ihres Postsparbuchs in bar zeigen lassen musste. Meine erste Zickzackschlange habe ich vor zwanzig Jahren in Belfast gesehen und dachte: „Was für eine geniale Idee!“

In England ist es wichtig, dass es immer der Reihe nach geht. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Normalerweise stellt man sich deshalb schön ordentlich in eine Schlange und wartet, bis man dran ist. Natürlich gibt es immer wieder einmal Vordrängler. Das sind entweder Ausländer, die keine Probleme mit Vordrängeln haben und sich nicht in Grund und Boden schämen, abgehärtete Briten oder aber Menschen, die ganz einfach die Schlange nicht gesehen haben (vielleicht weil diese nur aus einem Menschen bestand).

Drängelt sich jemand vor, geht beinahe ein kollektives Lufteinsaugen durch die Reihe. Die Wartenden sehen sich verwirrt um, suchen eine Antwort in den Gesichtern ihrer Mitmenschen. Zuerst gucken alle fragend („Hab’ ich da jetzt was verpasst, oder hat der sich da gerade vorgedrängelt?“) und wenn sie den gleichen Ausdruck in den Gesichtern der anderen wiederfinden, verwandelt sich dieser in wissend („Hab’ ich mir’s doch gedacht! Der hat sich vorgedrängelt.“).

Das nächste kollektive Sentiment ist Ärger, der sich explosiv Luft verschafft: durch Kopfschütteln, Seufzen, mit der Zunge schnalzen, vielleicht sogar murmelnd „Also, manche Leute …“. Verständlicherweise fühlt sich der Vordrängler dadurch nicht besonders eingeschüchtert, verteidigt seine Position mit Leichtigkeit und wird zuerst bedient.

Nur selten meldet sich einer der Wartenden hörbar zu Wort: „Entschuldigen Sie bitte, aber wir warten hier alle.“ Meistens ist die Reaktion darauf (sofern es sich bei dem Vordrängler um einen Briten oder assimilierten Ausländer handelt) erröten und eine Entschuldigung: „Oh, das tut mir leid. Hab’ ich gar nicht gesehen“ und der Angeklagte stellt sich beschämt hinten an. In selteneren Fällen tut der Vordrängler so, als habe er die Beschwerde nicht gehört und lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Eine englische Kollegin fasste sich einmal ein Herz und konfrontierte einen Vordrängler: „Entschuldigen Sie, aber hier ist eine Schlange.“ Der drehte sich um und antwortete: „Tough!“ Meine Kollegin hat sich von dem Affront immer noch nicht ganz erholt.

In Flughäfen, Banken, Postämtern und Supermärkten ist die Schlangengestaltung meist durch Bänder vorgegeben. Anderswo arrangiert sie sich unter Umständen etwas freier, was aber nicht heißt, dass es hier keine geordnete Reihenfolge gäbe. An Pubtheken beispielsweise steht man eigentlich nicht hintereinander. Trotzdem weiß in der Regel nicht nur der Gast, sondern auch das Bedienungspersonal, wer als nächster dran ist. Normalerweise wendet sich der Barkeeper immer in der richtigen Reihenfolge an den nächsten Gast. Irrt er sich einmal, dann wird (im Optimalfall) der Gast sagen: „Nein, ich glaube, die Dame hier war vor mir dran.“ Die Dame wird das Angebot, zuerst zu bestellen nur annehmen, wenn sie wirklich vorher da war. Ansonsten wird sie sagen: „Nein, nein, SIE waren vorher da.“ Wie gesagt ist das der Idealfall. Es gibt natürlich immer wieder mal Leute, die von der Etikette entweder nichts wissen oder denen diese piepegal ist.

Auch an Bushaltestellen – zumindest in London – stehen Briten längst nicht mehr schön ordentlich hintereinander. Man steht lässig irgendwo in Sichtweite des Buswartehäuschens herum und bewegt sich in loser Folge auf die Bustür zu, sobald der Bus angehalten hat. Dabei kann es gelegentlich auch schon mal zu Gedränge kommen. Der Grund für diese unordentliche Buswarterei ist möglicherweise, dass eine Bushaltestelle für gewöhnlich mehrere Buslinien bedient. Da man nicht weiß, welcher Wartende mit welcher Linie fahren will, wüsste man gar nicht, wo man sich anstellen soll, deshalb wartet man hier im Pulk.

Nur einmal habe ich in London eine geordnete Warteschlange an einer Bushaltestelle gesehen. Dies hat mich so verblüfft, dass ich stehen bleiben und sie betrachten musste. Wie das wohl passiert ist? Haben sich die ersten zwei zufällig hintereinander gestellt und danach hat sich keiner mehr getraut, aus der Reihe zu tanzen?

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