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Meister des belanglosen Gesprächs - Smalltalk
ОглавлениеEngländer sind Meister des Smalltalk. Deutsche tun sich damit manchmal schwer. Mancher, der länger hier ist, hat sich dran gewöhnt, andere können sich nie damit anfreunden.
So eine Fahrstuhlfahrt ist mitunter lang, und es wäre nicht auszudenken, wenn man sich minutenlang schweigend gegenüberstehen müsste. Man muss sprechen. Freitags oder montags bietet sich das Thema „Wochenende“ an. Jeden Montag fragt mich irgendein Kollege im Aufzug (natürlich erst, nachdem er sich pflichtschuldigst nach meinem Befinden erkundigt hat): „Und? Was hast du am Wochenende gemacht“
Jeden Freitag, wenn mich einer nach den Plänen fürs Wochenende fragt, und jeden Montag, wenn ich berichten soll, was ich am Wochenende gemacht habe, bricht mir der Schweiß aus, obwohl mich manchmal der Eindruck beschleicht, dass die Gestaltung meines Wochenendes den fragenden Briten im Grunde genauso wenig interessiert, wie er wissen will, wie es mir geht oder was ich vom derzeit vorherrschenden Wetter halte.
Es gibt natürlich mehrere mögliche Antworten:
Die Unfreundliche: „Das geht dich gar nichts an.“ Die Möglichkeit verwerfe ich meistens, und das würde ich wohl sogar, wenn ich den Fragenden nicht ausstehen könnte.
Die Lüge: „Mein Mann und ich haben ein romantisches Wochenende in Prag verbracht.“ Lügen ist verlockend, denn ich müsste nicht enthüllen, was ich alles nicht gemacht habe. Andererseits könnte es ja sein, dass der Fragende schon mal in Prag war und mich mit weiteren Fragen als Lügnerin entlarvt. Sollten wir aber wirklich einmal ein romantisches Wochenende in Prag verbringen, dann ginge das meine Kollegen wirklich nichts an.
Die Wahrheit: „Nichts.“ Aber nein, von mir aus sollen die Kollegen ruhig denken, bei uns ginge jedes Wochenende die Post ab und eine sportliche Aktivität jagt ein kulturelles Ereignis, Naturerleben gefolgt von einem Verwöhnprogramm. Aber dann müsste ich doch lügen.
Das Detail: „Also, am Samstagmorgen habe ich erst einmal ausgeschlafen und dann gemütlich im Bett Kaffee getrunken und die Zeitung gelesen. Dann sind wir in den Supermarkt gefahren und danach an die Tankstelle zum Auto waschen. Zwischendurch haben wir noch den Glasmüll zum Container gebracht. Nachmittags habe ich geputzt und gebügelt, eine Stunde mit meiner Schwester telefoniert und abends bei ein oder zwei Gläschen Wein „Happy Feet“ geguckt.“ Ja, so genau wollen sie es ja dann auch wieder nicht wissen, nicht wahr?
Ich bin immer froh, wenn an einem meiner Wochenenden mal etwas passiert. Wenn jemand Geburtstag hatte, wenn wir Besuch hatten – mit dem man ja zwangsläufig mal vor die Tür kommt –, wenn wir in Deutschland waren, wenn wir auf einer Hochzeit waren, wenn wir einen Wasserrohrbruch hatten … Dann hopse ich am Montagmorgen vergnügt zur Arbeit und warte, dass mich einer fragt, was ich am Wochenende gemacht habe.
Und was ist? Ich steh’ ganz allein im Aufzug.
Nachtrag:
Ich hab’s ja schon immer geahnt: Wenn die Kollegen Montagmorgens im Fahrstuhl damit prahlen, was sie am Wochenende gemacht haben, dann kann man getrost mindestens die Hälfte abziehen. Ich bin doch nicht die einzige Langweilerin im Land.
Laut einer Umfrage der Budget-Hotelkette Travelodge lügen die meisten, wenn es um die Freizeitgestaltung am Wochenende geht. Ein Drittel gibt (fälschlich) an, am Samstagabend ausgegangen zu sein, ein Viertel hat imaginäre Freunde besucht.
Es soll sich dabei um ein Phänomen handeln, dass „Wochenendneid“ heißt. Keiner will zugeben, dass er in Wirklichkeit Lebensmittel eingekauft, gebügelt und Post abgeheftet hat und abends auf dem Sofa ferngesehen, wenn anscheinend ja alle anderen richtig was losmachen, feiern, verreisen und sich vergnügen.
Meiner Meinung nach ist ja die Unsitte des Smalltalks daran schuld. Wenn man einfach morgens mürrisch im Aufzug stehen dürfte, ohne sprechen zu müssen, dann müsste man auch nicht lügen.