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V.Unsterblichkeit und Auferstehung
ОглавлениеDiese vergleichsweise frühen Stellungnahmen wurden später – in der posthum erschienenen Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums – doch so weit revidiert, daß uns der späte Cohen nicht mehr als ein Deutscher mosaischen Glaubens erscheint, sondern als das, was die zeitgenössische, zwischen Zionismus und Assimilationismus hin- und herschwankende Debatte als „Nationaljudentum“ bezeichnet hat. Auffälligerweise kommt diese Position an der Erörterung einer Frage zum Ausdruck, die es mit einer vermeintlich rein theologischen, ganz unpolitischen Thematik zu tun hat, nämlich der Thematik von „Unsterblichkeit und Auferstehung“. Es scheint unzweifelhaft, daß diese Frage einem kantianisch gesonnenen Philosophen, dem es um eine vernünftige Religion ging, besondere Schwierigkeiten bereiten würde, geht es doch hier um weder erfahrungswissenschaftlich noch moralisch einholbare Wünsche und Bekenntnisse; jedenfalls dann, wenn man sich – wie Cohen es in seinen letzten Lebensjahren tat – ernsthaft auf die biblischen und rabbinischen Quellen einließ und sich nicht mit einer einfachen Wiederholung kantischer Positionen begnügte. Nach Kant waren ja die Begriffe „Gott, Freiheit und Unsterblichkeit“ vernunftnotwendige regulative Ideen einer vom Sittengesetz geleiteten autonomen Individualität.
Cohen nimmt sich der Problematik einer vernunftgemäßen Rekonstruktion der Begriffe von Unsterblichkeit und Auferstehung zunächst dadurch an, daß er – in beinahe sprachanalytischer Manier – die bei diesem Komplex in Frage kommenden Begriffe sorgfältig voneinander unterscheidet. So ist der Begriff der „Seele“ weder historisch noch systematisch zwingend mit dem Begriff der „Unsterblichkeit“ verbunden, noch ist der Begriff der „Seele“ selbst ganz eindeutig. Zu alledem kommt noch hinzu, daß „Unsterblichkeit“ und „Auferstehung“ ebenfalls unterschiedliche Bedeutungen haben und unterschiedlichen Kontexten entstammen. Ein theoretisch interessierter Rückblick auf die allgemeine Kulturgeschichte seit der Antike ergibt zunächst, daß man unter „Seele“ sowohl das Prinzip animalen Lebens als auch das Prinzip sittlichen Lebens verstehen kann. Vor dieser Unterscheidung erscheint Cohen schon der aus dem Persischen kommende biblisch rabbinische Glaube an eine leibliche Auferstehung als eine Herabsetzung des Gedankens der Unsterblichkeit, „denn sie ist die Auferstehung des Leibes, während die Unsterblichkeit nur die der Seele ist und sein soll“.13
Läßt sich unter biblischen Voraussetzungen dann überhaupt noch von „Auferstehung“ sprechen? Ist diese Vorstellung nicht notwendig mit dem Begriff einer leiblich gebundenen Seele verknüpft? Cohen löst dieses Problem, indem er einerseits den Begriff der Unsterblichkeit der Seele strikt an die Seele des einzelnen Individuums bindet, den Begriff der „Auferstehung“ aber, ganz im Einklang mit den prophetischen Quellen, insbesondere bei Hesekiel, an den Gedanken der Auferstehung des Volkes knüpft. „Die Unsterblichkeit“, so kann Cohen dann formulieren, „gewinnt die Bedeutung des geschichtlichen Fortlebens des Individuums im geschichtlichen Fortbestand seines Volkes.“14
Dieser geschichtliche Fortbestand gewinnt sein Gewicht vor dem Hintergrund von Cohens Theorie des Messianismus, die er selbst strikt von jeder Eschatologie abhebt, um ihm eine präsentische Deutung einer immanenten, durchaus auch politischen Entwicklung zum Besseren des Menschengeschlechts zu geben. An dieser Stelle kann Cohen ganz im Einklang etwa mit Kants Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte oder den anderen kleineren geschichtsphilosophischen Schriften eine zwar wissenschaftlich und erkenntnismäßig nicht einholbare, aber doch vernünftig begründete Lehre von der sittlichen Höherentwicklung der Menschen im Laufe der Geschichte übernehmen und für seinen Messianismus, mit dem er 1914 etwa den Eintritt Deutschlands in den Krieg begründete, reklamieren. Ist mit dieser Verlagerung des Auferstehungsbegriffs auf das kollektivgeschichtliche Schicksal des jüdischen Volkes, ja mehr noch, auf die geschichtliche Versittlichung aller Völker, auch der Skandal des Todes und der Wunsch nach Unsterblichkeit erledigt? Nach Cohens eigenen Voraussetzungen nicht, da ja die Unsterblichkeit stets die Unsterblichkeit der individuellen Seele ist. Hier kommt nun alles darauf an, die „Seele“ nicht als Prinzip animalischen Lebens, sondern als Prinzip der Sittlichkeit zu betrachten. Dabei nutzt Cohen den biblischen Begriff der Heiligkeit, den er als einen Aufruf, als einen Imperativ zu einem gottgemäßen Leben liest: „Ihr sollt mir sein“, heißt es im 2. Buch Mose 19,6, „ein Reich von Priestern und ein heiliges Volk.“ Heiligkeit erscheint so als das Ideal eines sittlichen Lebens – wer heilig geworden ist, hat sich in seinem Leben den sittlichen Geboten Gottes geweiht:
„Wie aber nun die sittliche Heiligkeit zum religiösen Begriffe der Heiligkeit wird, wie denn Gott nicht mehr für das Opfer, sondern nur für die Aufgaben der Sittlichkeit zum Urbilde der Heiligkeit wird, so muß der Begriff des Lebens sich auch über die Grenzen des irdischen Lebens hinaus erweitern. Auch auf das Sterben muß sich das Menschenleben erstrecken. Der Tod kann nicht schlechthin mehr als das Ende des Lebens betrachtet werden. Er muß den Gedanken nahelegen, daß er nur ein Übergang sei zu einem anderen Leben. Denn die Heiligkeit ist ja das Ideal des Lebens geworden. Die Heiligkeit hat aber auch den Menschen als Individuum hervorgebracht. Der Mensch hat die Aufgabe und die Kraft der Buße, also der Selbsterneuerung und der Wiedergeburt. Und der heilige Gott wird demgemäß zum Gotte der Erlösung und der Versöhnung.“15
Freilich kommt Cohen alles darauf an, die Idee von der Unsterblichkeit der Seele im Rahmen einer sittlichen Wiedergeburt von allen mythischen und mystischen Vorstellungen zu reinigen. Weder stellt die postulierte Wiedergeburt der Seele eine etwas andere Fortsetzung des irdischen Lebens dar, noch geht es um eine Verschmelzung der Seele mit Gott, die ja die Differenz zwischen Gott und Mensch aufheben und damit dem Monotheismus widersprechen würde. Wenn die menschliche Seele ihre Verbindung zu Gottes Geist sucht und sich in guten Taten heiligt, in guten Taten, die zu tun Gott als Geist der menschlichen Seele auferlegt hat, wird jetzt deutlich, daß es der vom Menschen in seiner Seele angenommene Geist Gottes ist, der unsterblich ist, wobei wiederum dieser Geist Gottes als Geist von Gott, aber nicht mystisch als göttlicher Geist verstanden werden darf. Die Unsterblichkeit des Geistes hat dann aber ihren Ort im geschichtlichen Wirken eines Volkes und damit des ganzen Menschengeschlechts, gerade so wie die Seele – wenn überhaupt – in den biologischen Prozessen der Fortpflanzung und Vererbung fortdauert. Unsterblichkeit des Individuums ist daher in sittlicher Hinsicht ganz biblisch die „Einsammlung zu den Vätern“, sofern diese Väter ganz ohne Eschatologie Heilige in einem messianischen Prozeß sind:
„Dadurch ist der Mensch der Beschränkung auf das biologische Einzelwesen enthoben, nicht minder aber auch derjenigen auf das empirische Geschichtswesen. Denn der Begriff der Geschichte und der geschichtlichen Erfahrung hat sich jetzt über die Schranken der Vergangenheit und der Gegenwart hinausgehoben, und nur in die Zukunft und in die Entwicklung zu ihr ist das eigentliche Dasein, die eigentliche Wirklichkeit des Menschenlebens und der ganzen Völkergeschichte gelegt.“16
Dieser Gedanke einer Auferstehung ins geschichtlich Zukünftige, einer Weiterung ins Messianische, einer Vollendung der sittlichen Individuen in und zu „Allheitsindividuen“ erfüllt erst den Begriff der Individualität und ermöglicht erst die Vorstellung einer messianischen Menschheit. Nur in einer befreiten Menschheit erfüllen sich die Individuen, und nur durch sich sittlich höherbildende und ihre Aufgaben von Generation zu Generation lehrende Individuen kommt eine befreite und geläuterte Menschheit ihrem Begriffe nah. An genau dieser Nahtstelle hat dann die jüdische, die alttestamentliche Lehre von der Unsterblichkeit über die allgemeinen Bestimmungen der Ethik hinaus ihren Ort:
„Die Religion dagegen“ – und „die Religion“ ist für Cohen die jüdische Religion – „verwertet den ethischen Begriff des Allheitsich, den der Messianismus erfordert. Und diese Verbindung der messianischen Zukunft des Menschengeschlechts mit ihrem providentiellen Ursprung in den Erzvätern des Monotheismus bringt die jüdische Unsterblichkeitslehre zur unzweideutigen Geltung. Sie sind die geschichtlichen Vertreter des messianischen Menschengeschlechts, zugleich aber vertreten sie, als Stammvater, den biologischen Untergrund der Fortpflanzung und Vererbung.“17
Mit dieser Gedankenfigur wurde es Cohen möglich, seiner jüdischen Existenz in einem deutsch und protestantisch bestimmten Staatswesen einen guten, geschichtsphilosophisch begründeten Sinn zu geben – als Erbe einer biologisch beglaubigten messianisch-universalistischen Kultur, deren Abkömmlinge, in einem ethischen Sozialismus und einer die Welt sittlich pazifizierenden Großmacht lebend, eine hervorragende Aufgabe vertraten. Obwohl Cohen in seiner letzten Schrift den Auferstehungsglauben des Christentums stark kritisiert und obwohl er dem Judentum eine noch weniger als das Christentum auf Verdienste abzielende Glaubenshaltung zuschreibt, ist heute unübersehbar, in welchem Ausmaß er von den kantischen, den protestantischen Wurzeln der neueren deutschen Kultur zehrt. Immerhin: Einen Begriff der Erbsünde lehnt Cohen ebenso ab wie den Gedanken einer jenseitigen Strafe oder einer jenseitigen Belohnung. Daß aber die Individuen ihr Leben nicht führen sollten, um glücklich zu werden, war ihm zur unbefragbaren Voraussetzung geworden, weshalb er denn für die Todesangst und ihre Ausdrucksweisen nur wenig Verständnis hatte: „Die Hoffnung auf das Wiedersehn in jenem Leben ist das Symptom für alle jene Komplikation der empirischen Individualität.“18