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IX.Eine neue Sozialphilosophie: Der Mensch als Mitmensch

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Hätte es Hermann Cohen dabei belassen, wüßten wir nicht zu sagen, wo die Abweichung zu Hegels Rechts- und Geschichtsphilosophie, wo genau der spezifische Beitrag seines Denkens aus den Quellen des Judentums läge.

Die Vermittlung zwischen Individuum und Menschheit in der Gestalt des Staates übergeht den für Cohen ganz offensichtlichen Umstand, daß das einzelne Individuum neben der gleichsam vertikalen Vermittlung zur Menschheit hin noch einer zweiten Vermittlung bedarf, einer Vermittlung, in der der Mensch nicht nur als autonomes Individuum, sondern als vom Leiden betroffener, sinnlicher, konkreter Mitmensch auftritt, als ein Wesen, dessen sittliche Bildung und Entwicklung unter Voraussetzungen steht, über die es selbst nicht verfügt. Hier entdeckt Hermann Cohen lange vor der Dialogphilosophie Martin Bubers, lange vor Franz Rosenzweigs sprachlicher Philosophie der Existenz den „Menschen als Mitmenschen“.30

Durch eine Reflexion auf das Problem der Theodizee, der metaphysischen Realität des Leidens und des Wesens der Sprache gelingt es Cohen, das Judentum als eine Ethik der Intersubjektivität zu konzipieren. Daß dabei das Werk Schopenhauers ebenso Pate gestanden hat wie Hegel oder der nicht namentlich aufgeführte Fichte – der noch vor Hegel in seiner Grundlage des Naturrechts nach den Principien der Wissenschaftslehre aus dem Jahr 1796 eine intersubjektive Theorie der Anerkennung entworfen hat31 –, ist ebensowenig zu übersehen wie die radikale Originalität von Cohens Einsatz an der menschlichen Sprache. Die unverhüllte und unverkürzte Form der Intersubjektivität wird nämlich erst durch eine Analyse der Sprache und ihrer Personalpronomina deutlich, eine Überlegung, die später Martin Buber in seinem Werk Ich und Du wieder aufnehmen sollte. Am Leitfaden der Sprache, an der dort angelegten Differenz von Teilnehmer- und Beobachterperspektiven gewinnt Hermann Cohen einen Gedanken der Intersubjektivität, der das kantische Instrumentalisierungsverbot in bezug auf andere Menschen begründet:

„Neben dem Ich erhebt sich, und zwar im Unterschiede vom Es, der Er: ist er nur das andere Beispiel vom Ich, dessen Gedanke daher durch das Ich schon mitgesetzt wäre? Die Sprache schützt vor diesem Irrtum: sie setzt vor das Er das Du. Ist auch das Du nur ein anderes Beispiel für das Ich und bedürfte es nicht einer eigenen Entdeckung des Du, auch wenn ich bereits meines Ich gewahr geworden bin? Vielleicht verhält es sich umgekehrt, daß erst das Du, die Entdeckung des Du mich selbst auch zum Bewußtsein meines Ich, zur sittlichen Erkenntnis meines Ich zu bringen vermöchte.“32

Vernunft und Offenbarung

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