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IV.

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Der reaktionäre späte Schelling verbindet so spekulativen Antisemitismus auf höchstem Niveau mit einem eindeutigen Eintreten für die Menschenrechte der Juden. Der Demokrat, Positivist, Aufklärer und Kantianer Steinheim wollte wider diese Formen des Antijudaismus den klaren Rückgang auf Kant und war damit Nachfolger und Vorläufer all jener liberalen deutschen Juden, die von Marcus Herz bis zu Hermann Cohen bei Kant das Wesen des Judentums als einer vernünftigen Religion freier Sittlichkeit angelegt sahen.

Die letzte Phase deutsch-jüdischer Philosophie – das Werk Franz Rosenzweigs – ist dann, wie die neuere Forschung zeigen konnte,53 von Schelling inspiriert und interessierte sich für Kant und den orthodoxen Offenbarungspositivismus zunehmend weniger. Das führt uns endlich zu der Frage, ob Steinheims Offenbarungspositivismus, auf den sich zum Beispiel Hans-Joachim Schoeps und Jakob Petuchowski unter den neueren jüdischen Denkern bezogen, dem Wesen des Judentums überhaupt gerecht werden kann. Entgegen dem Titel von Steinheims Werk Die Offenbarung nach dem Lehrbegriff der Synagoge bezieht sich Steinheim gut protestantisch vor allem auf die Bibel und bemüht – soweit ich sehe – kaum oder nur sehr wenig das talmudische Schrifttum. Ihm mochte daher auch jene Passage entgehen, die ihm als naturwissenschaftlichem Positivisten ohnehin fremd vorkommen mußte, jene Passage im Traktat Bawa Mezia,54 in der erzählt wird, daß die Rabbiner sich bei ihrer Interpretation der Thora auch durch eine göttliche nicht beeindrucken ließen, da sie aus dem Deuteronomium wußten, daß die Weisung nicht im Himmel, sondern nah bei den Menschen ist. Das deuteronomistische und rabbinische Judentum hat im Prinzip – und das unterscheidet es jedenfalls vom Protestantismus – das Problem der Vermittlung von Gottes Wille und geschichtlicher Welt nicht auf die Offenbarung eines Messias als des menschgewordenen und als Mensch gestorbenen Gottes geschoben, sondern dort angesiedelt, wo die Vermittlung tatsächlich geschieht: in der Mitte jener, die die Lehre im geschichtlichen Prozeß empfangen, aufnehmen, um- und fortbilden, also in dem Prozeß der Tradition einer ebenso verbindlichen wie dem geschichtlichen Prozeß gegenüber offenen Interpretation.

Nun ist mit dem Verweis auf die Inkompatibilität von rabbinischem Judentum und Offenbarungspositivismus noch nichts über das Recht religiöser Spekulation gesagt - ob ein Jude nach Auschwitz ohne sie auskommt, darf indessen bezweifelt werden.

Vernunft und Offenbarung

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