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II.Jüdisches Bekenntnis in Reaktion auf Kulturantisemitismus

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Gleichwohl ging es Cohen stets auch um Fragen der Ethik. Als einziger bekennender jüdischer Professor im Deutschen Reich mußte sich auch ein Wissenschaftstheoretiker wie er von den antisemitischen Ausfällen des bedeutenden nationalliberalen Historikers Heinrich von Treitschke getroffen fühlen, der im Jahr 1879 – mitten in der Gründerkrise des Bismarckreiches – den christlich sozialen Antisemitismus des Berliner Hofpredigers Adolf Stoecker mit dem schriftlich fixierten Ruf „Die Juden sind unser Unglück“ unterstützte.2

Treitschkes rassenantisemitisch unterfütterter Angriff galt allen Beteuerungen zum Trotz indessen nicht nur den aus Mittel- und Osteuropa zuwandernden Juden, sondern eben auch jenen wenigen deutschen Juden, denen es mühsam gelungen war, öffentliche Anerkennung und Reputation zu finden. „Unter den führenden Männern der Kunst und Wissenschaft“ – so hetzte Treitschke – „ist die Zahl der Juden nicht sehr groß, umso stärker die betriebsame Schaar der semitischen Talente dritten Ranges.“3

Hermann Cohen, der sich aufgrund seines einzigartigen Status und seiner fraglosen Anerkennung in der deutschsprachigen Wissenschaftlergemeinschaft jedenfalls nicht persönlich geschmäht fühlen mußte, kam Treitschke in einer persönlichen Entgegnung in einer heute unverständlichen Konzilianz entgegen: „Nicht als Sprecher einer jüdischen Partei, sondern als Vertreter der Philosophie an einer deutschen Hochschule und Bekenner des israelitischen Monotheismus“4 stellte Cohen in seinem Bekenntnis zur Judenfrage zunächst fest, daß Rassenfragen ohnehin nicht argumentativ lösbar seien und es daher nur darum gehen könne, Treitschkes Meinung, das Judentum sei lediglich die Nationalreligion eines fremden Stammes, zu widerlegen. Auf dieser Basis nämlich, so Cohen, sei „dem hartnäckigsten, zudringlichsten Verlangen nach Verständigung der Boden entzogen“.5

Indem Cohen im folgenden dennoch, seinem mutigen Bekenntnis zum Trotz, argumentativ auf Treitschke einging, kam er dem Kontrahenten weiter entgegen, als es der Sache nach geboten war. Indem Cohen als naturwissenschaftlich interessierter Philosoph die Triftigkeit der Rassentheorie nicht gänzlich in Abrede stellen wollte, blieb ihm nur noch der Ausweg, den wahren Universalismus des Judentums herauszustellen. Insofern kann Cohens Antwort auf Treitschke aus dem Jahr 1880 zugleich als Urfassung der posthum 1919 erschienenen Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums gelten. In diesem Sinne stellt Cohen den historischen israelitischen Monotheismus als eine durch die Idee der Geistigkeit Gottes und der messianischen Verheißung geprägte Religion dar, als historische Urgestalt eines menschheitlichen Projekts geschichtsphilosophischer Art. Die achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren freilich in Deutschland seit etwa 1830 durch die Ablehnung jener, vor allem der hegelschen Geschichtsphilosophie gekennzeichnet.

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