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Vorwort

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In diesen Tagen, Tagen, in denen die Fertigstellung der zweiten Auflage meines Buches Vernunft und Offenbarung ihrem Ende entgegengeht, zeigt das, was gemeinhin als „Religion“ bezeichnet wird, seine wohl hässlichste Fratze. In diesem Oktober des Jahres 2014 verteidigen kurdische Milizionäre, von den USA aus der Luft unterstützt, die an der türkisch-syrischen Grenze gelegene Stadt Kobane gegen die mörderische Soldateska des „IS“. Der „IS“ aber, eine radikalislamistische Truppe, deren Anführer jedenfalls ehrlich von der absoluten Wahrheit und Gottgefälligkeit ihres Tuns überzeugt sind, verkörpert wie in einem Brennglas alle Negativa der Religion, die die moderne Religionskritik anprangerte: Intoleranz, Gewalt und Grausamkeit.

Das Vorgehen des „IS“ erinnert zum Beispiel an die sogenannten Albigenserkreuzzüge des katholischen Frankreich gegen das südfranzösische Katharertum im frühen 13. Jahrhundert. Als die von fanatischen Dominikanern aufgehetzte französische Armee dabei war, 1209 die von Katharern gehaltene Stadt Béziers zu erobern, wohl wissend, dass sich in ihren Mauern auch katholische Christen befanden, gab der die Armee begleitende päpstliche Gesandte, Abt Arnaud Amaury, folgende Parole aus: „Tötet sie alle! Gott kennt die Seinen schon“ (Caedite eos! Novit enim Dominus qui sunt eius). Daraufhin wurden sämtliche Einwohner von Béziers, Katholiken und Katharer, Männer, Frauen und Kinder, Alte und Junge, alles in allem 20.000 Menschen, erbarmungslos umgebracht.

Das Geschehen in Kobane und um den „IS“ scheint daher all jenen recht zu geben, die – wie der Ägyptologe Jan Assmann – nachweisen wollen, dass die Verbindung von Gottes- und Wahrheitsfrage, zumal im monotheistischen Gewande, aufgrund notwendiger Intoleranz mörderische Konsequenzen zur Folge hat. Tatsächlich: In Kobane und den Kurdengebieten an der türkisch-syrischen Grenze droht derzeit, im Oktober 2014, ein Genozid; neu an dieser Situation ist seine religiöse Begründung – das 20. Jahrhundert kannte zwar viele Formen des Genozids und des Politizids, Genozide aus vor allem religiösen Ursachen kamen jedoch kaum vor – die vorgebrachten Motive für massenhafte Morde waren rassistischer, ökonomischer oder nationalistischer Art.

Die Neuauflage meines Buches, in dem es um eine Sichtung emanzipatorischer Gehalte der jüdischen Tradition geht, ist um ein umfangreiches neues Kapitel, ein Nachwort, ergänzt worden, in dem ich mir darüber Rechenschaft abzulegen versuche, ob und wie „Offenbarung“ heute, im frühen 21. Jahrhundert, noch zu verstehen sei.

Vom Blick auf Kobane beinahe geblendet, ist kaum noch nachzuvollziehen, was ein Theologe und Religionsphilosoph, der Berliner Professor Friedrich Daniel Schleiermacher, meinte, als er 1799 in Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern schrieb, dass Religion „Sinn und Geschmack fürs Unendliche“ sei. Auch Karl Marx’ bekanntes Wort, „Religion“ sei „Opium des Volkes“, trifft das Phänomen digital verbreiteter Mordtaten wie das Köpfen von Menschen überhaupt nicht mehr: Hier findet sich nichts, was auch nur im Geringsten einschläfernd oder beruhigend wirken könnte. Man kann daher kaum verstehen, was es heißen soll, dass beides, sowohl diese Gräueltaten als auch das mutige Eintreten von Papst Franziskus für im Mittelmeer gestrandete Flüchtlinge, Fälle desselben Phänomens, von „Religion“, sein sollen. Hilft die vom Schweizer reformierten Theologen Karl Barth getroffene Unterscheidung von „Religion“ und „Glaube“ weiter? Und wenn ja: Wer kann, wer darf überhaupt beanspruchen, im wahren, im richtigen „Glauben“ zu sein?

Ich widme dieses Buch Freunden, denen ich aus über Jahrzehnte währenden Debatten zum Thema Religion und Theologie Wesentliches verdanke: Hauke Brunkhorst, der, seit ich ihn kenne, seit 1970, als Gesellschaftstheoretiker im Geist einer negativen Dialektik jede vorschnell ausgerufene „Transzendenz“ und damit jeden falschen Trost kritisiert; Werner Schneider-Quindeau, der mich vor mehr als drei Jahrzehnten mit dem Denken Karl Barths vertraut gemacht hat und wesentlicher Partner in der Erneuerung des jüdisch-christlichen Gesprächs war und ist; und schließlich meinem Freund und langjährigen Mitstreiter aus der „AG Juden und Christen“ beim „Deutschen Evangelischen Kirchentag“, dem Bochumer Theologen Klaus Wengst, dessen eindringliche Exegese neutestamentlicher Schriften mir neue Horizonte eröffnet hat.

Nicht zuletzt gilt mein Dank Irmela und Axel Rütters, die sich seit Jahren meiner Bücher annehmen.

Berlin, 14. Oktober 2014

Vernunft und Offenbarung

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