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2.Abgrenzungstheorien
Оглавление44Fehlt eine solche ausdrückliche Regelung, so muss für die Zuordnung von Rechtssätzen eine der Abgrenzungstheorienherangezogen werden, die im Laufe der Zeit zu dieser Problematik entwickelt wurden. Diskutiert werden heute im Wesentlichen die folgenden Theorien:
45 a) Interessentheorie . Die auf das römische Recht zurückgehende Interessentheorie stellt auf die Interessenrichtung des Rechtssatzes ab: Dient der Rechtssatz dem öffentlichen Interesse, also der Allgemeinheit, so gehört er dem öffentlichen Recht an, dient er dem privaten Interesse, also dem Einzelnen, gehört er dem Privatrecht an. Im konkreten Fall erweist sich dies jedoch kaum als taugliches Zuordnungskriterium, da Träger öffentlicher Verwaltung bei Verwendung privatrechtlicher Rechtsformen auch öffentliche Interessen verfolgen können, wie das auch bei Privaten der Fall sein kann. Außerdem sind öffentliche und private Interessen keine unbedingten Gegensätze.
Beispiel: Eine Gemeinde oder eine gemeinnützige Stiftung des privaten Rechtes baut und vermietet Wohnungen an bedürftige Familien. Das Mietrecht ist auch in diesem Falle privates Recht, selbst wenn das Vermieten öffentlichen Interessendient.
46 b) Subjektions- oder Subordinationstheorie . Die klassische Subjektions- oder Subordinationstheorie stellt auf das Verhältnis der Beteiligten ab, indem sie Rechtssätze, die ein Verhältnis der Über-/Unterordnung zwischen Staat und Bürger zugrunde legen, dem öffentlichen Recht zuweist. Sie entspricht dem Denken des 19. Jahrhunderts, das die Aufgabe der öffentlichen Verwaltung ausschließlich in der Gefahrenabwehr und damit in der Eingriffsverwaltung sah. Entsprechend lassen sich mit ihrer Hilfe Rechtssätze, die Hoheitsträger zum Eingriff in Rechte des Bürgers ermächtigen, ohne Weiteres dem öffentlichen Recht zuordnen.
Beispiel: Wenn § 43 BGB dazu ermächtigt, einem Verein die Rechtsfähigkeit zu entziehen, so ergibt sich aus dieser Eingriffsbefugnis ein Verhältnis der Über-/Unterordnung zwischen Hoheitsträger und Verein, das diese Norm dem öffentlichen Recht zuweist (auch wenn sie im BGB enthalten ist).
Kein taugliches Kriterium liefert diese Theorie, wenn es um Rechtssätze geht, die dem Staat eine Leistungspflicht auferlegen, dem Bürger also einen Anspruch einräumen.
Beispiele: § 7 StVG verpflichtet die Verwaltung als Halter von Kraftfahrzeugen zum Schadensersatz. – § 19 I SGB XII verpflichtet den örtlichen Träger der Sozialhilfe zur Hilfe zum Lebensunterhalt. – Ein Verhältnis der Über-/Unterordnung liegt beiden Normen nicht zugrunde.
Eine weitere Schwäche dieser Theorie besteht darin, dass sie die Existenz öffentlich-rechtlicher Verträge, bei denen sich Staat und Bürger als gleichrangige Partner begegnen, nicht erklären kann, ebenso wenig wie die Gleichrangigkeit von Staaten als Völkerrechtssubjekte im internationalen öffentlichen Recht.
47 c) Sonderrechts- oder modifizierte Subjektstheorie . Die Sonderrechtstheorie oder modifizierte Subjektstheorie stellt darauf ab, ob ein Rechtssatz ausschließlich Träger öffentlicher Verwaltung als Hoheitsträger (und nicht jedermann) berechtigt bzw. verpflichtet. Trifft dies zu, so gehört der Rechtssatz dem öffentlichen Recht an. Anders gesagt: Wenn einer derjenigen, die aus einem Rechtssatz Rechte oder Pflichten zugewiesen bekommen (einer der Adressaten des Rechtssatzes) Hoheitsträger ist, ist dieser Rechtssatz Teil des öffentlichen Rechts. Das öffentliche Recht ist danach das „Sonderrecht“ des Staates, während das Privatrecht das „Jedermanns-Recht“ darstellt, das auch für die Träger öffentlicher Verwaltung (dann als Privatrechtssubjekte) gilt.
In den o. g. Beispielen verpflichtet § 7 StVG nicht nur die Verwaltung, sondern jeden Kfz-Halter zum Schadensersatz. Es handelt sich also um eine Rechtsnorm des Privatrechts (in einem ansonsten dem öffentlichen Recht zuzurechnenden Gesetz). – Eine Verpflichtung zur Leistung von Hilfe zum Lebensunterhalt aus § 19 I SGB XII trifft jedoch nur die Träger der Sozialhilfe, so dass diese Norm öffentliches Recht darstellt.
Die Sonderrechtstheorie ist also die umfassendere Lehre, da sie Eingriffs- wie Leistungsfälle gleichermaßen erfasst. Sie führt bei der Zuordnung fast aller Rechtsnormen zu einem schlüssigen Ergebnis. Die anderen beiden Theorien haben, wie gezeigt, erhebliche Schwächen und können daher allenfalls zusätzliche Argumente liefern.
48 d) Sachzusammenhangstheorie . Im Ergebnis ist die Zuordnung von Rechtssätzen meist einfach und unumstritten. Die schwierigeren Fälle ergeben sich dann, wenn das zuzuordnende Verwaltungshandeln nicht gesetzlich geregelt ist. Hier versagen die für die Zuordnung von Rechtssätzen anwendbaren Abgrenzungstheorien notwendigerweise.
Beispiele:
Der Fahrer eines Einsatzfahrzeuges der Polizei verursacht bei einer Streifenfahrt schuldhaft einen Verkehrsunfall. Einem Kollegen passiert dasselbe, als er das Kfz zur Reparaturwerkstatt fährt.
Ein Behördenleiter spricht gegenüber einem Obdachlosen, der im Behördengebäude übernachtet hatte, ein Hausverbot aus. Dasselbe widerfährt einem Bauantragsteller, der mehrfach die Sachbearbeiter der Baurechtsbehörde beschimpft und belästigt hatte.
Ein Studierender gibt seinen Mantel a) an der Garderobe des Universitätsgebäudes ab, um anschließend eine Vorlesung zu besuchen; b) an der Garderobe der Staatsoper ab, um eine Oper zu besuchen.
In diesen Fällen gelangt man durch die Frage nach dem Sachzusammenhang, in dem die zu qualifizierende Verwaltungstätigkeit steht, zu einer plausiblen Zuordnung:
49Tatsächliches Verwaltungshandeln (sog. Realakte), das selbst nicht gesetzlich geregelt ist, steht meist in einem engen Zusammenhang mit einer als öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich zuzuordnenden Verwaltungstätigkeit.
Beim 1. Beispielspaar steht die Streifenfahrt und damit auch der Verkehrsunfall in engem Zusammenhang mit der öffentlich-rechtlich geregelten Aufgabenerfüllung des Polizeivollzugsdienstes und lässt sich dadurch dem öffentlichen Recht zuordnen. Teilweise wird im Schrifttum jedoch zusätzlich verlangt, dass die Teilnahme am Straßenverkehr als Ausübung hoheitlicher Befugnisse nach außen hin erkennbar wird, dass also Sonderrechte nach § 35 StVO (Blaulicht oder Martinshorn) ausgeübt werden. Dagegen steht die Fahrt zur Reparaturwerkstatt in engem Zusammenhang mit dem dort abzuschließenden privatrechtlichen Werkvertrag (fiskalisches Hilfsgeschäft, Rn. 14) und kann deshalb als privatrechtliches Verwaltungshandeln angesehen werden.
50Auch ein Hausverbot, das sowohl privatrechtlich als auch öffentlich-rechtlich sein kann, da Träger öffentlicher Verwaltung als Eigentümer oder Mieter eines Hauses ein privatrechtliches Hausrecht besitzen, daneben aber auch die öffentlich-rechtlichen Befugnisse haben, die sich aus der öffentlich-rechtlichen Zweckbestimmung des Hauses als Verwaltungsgebäude ergeben (Rn. 1092), ist mit Hilfe des Sachzusammenhanges qualifizierbar.
Beim 2. Beispielspaar steht das Hausverbot für den Bauantragsteller im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung des störungsfreien Dienstbetriebes in dem Verwaltungsgebäude, also dessen öffentlich-rechtlicher Zweckbestimmung, und ist damit öffentlich-rechtlich, während das Hausverbot für den Obdachlosen nicht einen solchen Zusammenhang aufweist und damit dem privatrechtlichen Bereich zuzuordnen ist. Zum selben Ergebnis gelangt man in diesen Fällen, wenn man mit einer in der Rechtsprechung (BVerwGE 35, 103 ff.; BGHZ 33, 230 ff.; VGH BW, NJW 1994, 2500 f.) vertretenen Auffassung darauf abstellt, zu welchem Zweck der Betroffene das Verwaltungsgebäude aufgesucht hat.
51Ein weiterer Anwendungsbereich für den Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs ist die Zuordnung von Nebenrechtsverhältnissen insbesondere in Bezug auf Benutzungsverhältnisse bei öffentlichen Einrichtungen, die kraft des oben beschriebenen Wahlrechtes sowohl öffentlich-rechtlich wie auch privatrechtlich sein können. Das Nebenrechtsverhältnis ist danach demselben Rechtsbereich zuzuordnen wie das Hauptrechtsverhältnis.
Beim 3. Beispielspaar (Rn. 48) geht es um Verwahrungsrechtsverhältnisse als Nebenrechtsverhältnisse. Da die Teilnahme an einer Vorlesung aufgrund der Mitgliedschaft des Studierenden in einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft erfolgt, kommt durch die Abgabe des Mantels an der Garderobe ein öffentlich-rechtliches Verwahrungsverhältnis zustande. Mit dem Besuch der Staatsoper nimmt der Studierende seine Ansprüche aus einem privatrechtlichen Werkvertrag mit mietrechtlichem Einschlag bezüglich des Sitzes wahr, also gilt auch für die Verwahrung von persönlichen Gegenständen Privatrecht.
Das Beispiel des öffentlich-rechtlichen Verwahrungsverhältnisses zeigt auch eine weitere Funktion des Sachzusammenhangs: Mangels öffentlich-rechtlicher Normen für dieses Rechtsverhältnis muss auf die analoge Anwendung der §§ 688 ff. BGB zurückgegriffen werden. Die Sonderrechtstheorie würde in einem solchen Fall der entsprechenden Anwendung privatrechtlicher Rechtsnormen im öffentlichen Recht nicht zu einem brauchbaren Ergebnis führen. Erst die Frage nach dem Zusammenhang, in dem die Anwendung der privatrechtlichen Vorschrift erfolgt, führt zu einer richtigen Zuordnung.