Читать книгу Allgemeines Verwaltungsrecht - Michael Frey - Страница 42
3.Die einzelnen Rechtsquellen in ihrer Rangfolge
Оглавление65 a) Europäisches Unionsrecht . Dem Bund ist durch Art. 23 I S. 2 GG die Möglichkeit gegeben, Teile seiner Hoheitsrechte durch Gesetz auf die EU zu übertragen.
Der EU-Vertrag und der AEU-Vertrag (zuvor EWG- und später EG-Vertrag) stellen das sog. primäre Unionsrecht dar, gewissermaßen das materielle Verfassungsrecht der EU. Die von den Unionsorganen auf der Grundlage dieser Verträge, d. h. im Rahmen der ihnen eingeräumten Hoheitsrechte, erlassenen Rechtsnormen – Verordnungen und Richtlinien – bezeichnet man als sekundäres Unionsrecht. Es besteht eine Pflicht zur Umsetzung der Richtlinien ins nationale Recht sowie zur Ausführung und Beachtung des EU-Rechts. Beide, das primäre und das sekundäre Unionsrecht, beanspruchen Geltung im innerstaatlichen Bereich der Mitgliedstaaten und haben ihren Rang grundsätzlich vor dem innerstaatlichen Recht der einzelnen Mitgliedstaaten (EuGH, EuZW 1999, 405). Näheres dazu findet sich im folgenden Kapitel dieses Lehrbuchs, besonders in den Rn. 127, 129 ff.
66 b) Die Verfassungen . Die Verfassungen des Bundes und der Länder bilden die rechtliche Grundlage des Staates, sie stehen deshalb an der Spitze der Hierarchie staatlicher Rechtsnormen. Den Inhalt der Verfassungstexte nennt man das Verfassungsrecht im engeren oder formellen Sinne. Zum Verfassungsrecht im weiteren (materiellen) Sinne gehören darüber hinaus alle Normen, die verfassungsrechtliche Rechtsbeziehungen regeln; hierfür wird auch der Begriff des Staatsrechts verwendet.
Beispiele: Das auf Art. 21 GG basierende Parteiengesetz, die Wahlgesetze des Bundes und der Länder sowie das Bundesverfassungsgerichtsgesetz stellen materielles Verfassungsrecht dar.
Bei Kollisionen zwischen Grundgesetz und Landesverfassungen bestimmt Art. 31 GG, dass Bundesrecht Landesrecht bricht. Dieser Geltungsvorrang umfasst darüber hinaus das gesamte Bundesrecht gegenüber dem gesamten Landesrecht. Der Geltungsvorrang führt dazu, dass die verdrängte Vorschrift ihre Geltung verliert, also außer Kraft tritt. Seine Anwendung setzt jedoch voraus, dass sie Normen überhaupt kompetenzmäßig in zulässiger Weise zustande gekommen sind (vgl. Art. 70 ff. GG).
67Der Begriff „Verfassungsrecht“ wird mitunter auch auf die Regelungen für rechtlich verselbstständigte Verwaltungsträger angewandt, wie z. B. im Falle des „Kommunalverfassungsrechts“ (vgl. z. B. „Kommunalverfassungsgesetz“ in Niedersachen und Sachsen-Anhalt) oder des „Hochschulverfassungsrechts“. Hierbei handelt es sich jedoch um einfach-gesetzliche Regelungen, die nicht die Rechtsverhältnisse staatlicher Verfassungsorgane zum Gegenstand haben.
68 c) Das Völkerrecht . Das Völkerrecht regelt die Rechtsbeziehungen der Staaten untereinander. Es ist eine eigene Rechtsordnung, die selbstständig neben den Rechtsordnungen der einzelnen Staaten steht. Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts wie beispielweise den Satz „pacta sunt servanda“ („Verträge sind einzuhalten“) hat das GG zu einem Bestandteil des Bundesrechts gemacht (inkorporiert); solche allgemeinen Regeln stehen der Verfassung im Rang nach, haben aber den Rang vor den staatlichen Gesetzen (vgl. Art. 25 S. 2 GG). Alle anderen Normen des Völkerrechts, z. B. völkerrechtliche Verträge, erlangen innerstaatliche Geltung erst durch die sog. Transformation (Umwandlung) in innerstaatliches Recht (Ratifizierungsgesetz – Art. 59 II GG). Innerstaatlich teilen sie dann den Rang des Ratifizierungsgesetzes.
Praktisch bedeutsam ist dies etwa im Ausländerwesen, wo bei der Anwendung ausländerrechtlicher Vorschriften zwischenstaatliche Abkommen, wie z. B. die Genfer Flüchtlingskonvention, im Rang eines Bundesgesetzes zu beachten sind.
Auch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) hat formell den Rang eines einfachen Bundesgesetzes und wird bei der Auslegung inhaltlich vergleichbarer Grundrechte des GG oder über das Rechtsstaatsprinzip herangezogen. Durch diese völkerrechtsfreundliche Interpretation erhält die EMRK damit aber de facto mittelbaren Verfassungsrang, steht also zwischen Verfassungsrecht und einfachem Bundesrecht.
69 d) Die formellen Gesetze . Unter formellen Gesetzen versteht man die Rechtsnormen, die von den verfassungsrechtlich vorgesehenen Gesetzgebungsorganen in dem verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Gesetzgebungsverfahren erlassen worden sind (auch als sog. „förmliche“ Gesetze bezeichnet). – Gesetze im materiellen Sinne sind unabhängig hiervon alle abstrakt-generellen Regelungen mit Außenwirkung.
Normalerweise haben formelle Gesetze zugleich auch materiellen Gesetzescharakter. Nur ausnahmsweise trifft dies nicht zu, wie z. B. bei den Haushaltsgesetzen des Bundes und der Länder. – Materielle Gesetze hingegen umfassen – bei entsprechendem abstrakt-generellem Inhalt – insbesondere auch Rechtsverordnungen und Satzungen; diese stehen aber als „nur“ materielle Gesetze im Rang unterhalb der formellen Gesetze.
70 e) Die Rechtsverordnungen . Rechtsverordnungen unterscheiden sich von den formellen Gesetzen zunächst hinsichtlich des Normgebers: Sie sind Akte der vollziehenden Gewalt (Exekutive), werden also von der Regierung oder Verwaltung erlassen. Inhaltlich haben sie regelmäßig materiellen Gesetzescharakter, was die Frage aufwirft, wie die Aufgabe der Rechtsnormsetzung inhaltlich zwischen gesetzgebender und vollziehender Gewalt aufgeteilt ist.
Formal betrachtet, steht die Befugnis der Exekutive, Rechtsverordnungen zu erlassen, durchaus im Einklang mit dem in Art. 20 II S. 2 GG verankerten Prinzip der Gewaltenteilung, denn diese Befugnis gilt nicht allgemein, sondern muss der Exekutive jeweils durch formelles Gesetz verliehen werden. Außerdem bedeutet Gewaltenteilung nicht (strenge) Trennung der Gewalten, sie lässt vielmehr „Durchbrechungen“ zu, soweit nicht der Kernbereich der jeweiligen Gewalt, hier also der Legislative, angetastet wird (was der Fall wäre, wenn eine pauschale Übertragung gesetzgebender Tätigkeit auf die Exekutive vorgenommen werden würde).
71Art. 80 I GG (für den Bereich der Landesgesetzgebung: Art. 61 I Verf.BW) verlangt, dass die gesetzliche Ermächtigung an die Exekutive zum Erlass von Rechtsverordnungen nach Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmt ist. Deshalb haben die Organe der Legislative die wesentlichen Grundentscheidungen selbst zu treffen. Dem Verordnungsgeber bleibt die Regelung weniger wichtiger, oft technischer Detailfragen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben („Dekonzentration“). In dieser Funktion spielen die Rechtsverordnungen eine wichtige Rolle: Sie entlasten die Legislative von der Regelung von Randfragen, sie ermöglichen wegen des einfacheren Verfahrens eine raschere Anpassung an veränderte Verhältnisse, und sie bieten die Möglichkeit, regionalen Besonderheiten Rechnung zu tragen.
Beispiel: § 32 IfSG des Bundes ermächtigt die Landesregierungen zum Erlass von Verordnungen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. § 48a BImSchG berechtigt die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates zum Erlass von Rechtsverordnungen über Emissions- und Immissionswerte.
Verordnungsgeber sind aber nicht allein Regierungen und Ministerien, vielfach wird die Zuständigkeit auch auf nachgeordnete Behörden übertragen.
Beispiele: Polizeiverordnungen durch Gemeinden nach §§ 17, 18 PolG; Rechtsverordnungen durch höhere Naturschutzbehörden (Regierungspräsidien) gem. §§ 23 III, 36 II NatSchG und untere Naturschutzbehörden (Landratsämter und Stadtkreise) nach § 23 IV, V NatSchG. Siehe aber auch die Übertragungsmöglichkeit der Ermächtigung zum Erlass von Infektionsschutz-Verordnungen auf „andere Stellen“ wie etwa Fachministerien durch Rechtsverordnung nach § 32 S. 2 IfSG.
72 f) Die Satzungen . „Satzungen sind Rechtsvorschriften, die von einer dem Staat eingeordneten juristischen Person des öffentlichen Rechts im Rahmen der ihr gesetzlich verliehenen Autonomie mit Wirksamkeit für die ihr angehörenden und unterworfenen Personen erlassen werden“ (BVerfGE 33, 125). Satzungen haben mit den Rechtsverordnungen gemeinsam, meist Gesetze im materiellen Sinne zu sein (vgl. Rn. 69). Sie unterscheiden sich jedoch von den Rechtsverordnungen ganz wesentlich durch das erlassende Organ. Während die Rechtsverordnung von einer „Stelle der bürokratisch-hierarchisch organisierten staatlichen Exekutive“ erlassen wird, wird durch das Satzungsrecht „ein bestimmter Kreis von Bürgern ermächtigt, durch demokratisch gebildete Organe ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln“ (BVerfGE 33, 125). Bei Satzungen wird deshalb der Gewaltenteilungsgrundsatz nicht durchbrochen. Sie werden von Gremien, beispielsweise Gemeindevertretungen, beschlossen. Auch wenn es sich bei solchen Gremien nicht um echte Parlamente handelt, so sind sie doch „als demokratisch gewähltes Beschlussorgan“ insoweit dem Bereich der Legislative zuzuordnen. Es wird also durch Gesetze, die zum Erlass von Satzungen ermächtigen, die Rechtsetzungsbefugnis innerhalb der Legislative nur auf andere demokratische Gremien („Dezentralisation“) und nicht auf die Exekutive verlagert“ (BVerfGE 32, 346).
Wichtigste Beispiele sind die Satzungen kommunaler Selbstverwaltungsträger wie Gemeinden und Landkreise: Abgabensatzungen, Benutzungssatzungen für öffentliche Einrichtungen, Bebauungspläne (§ 10 BauGB). – Daneben finden sich Satzungen (teilweise mit anderen Bezeichnungen) in allen Selbstverwaltungsbereichen wie Studien- und Prüfungsordnungen im Hochschulbereich oder Satzungen der berufsständischen Kammern.
73Wegen der – im Unterschied zu den Rechtsverordnungen – anders gearteten Qualität der Satzungen (Rn. 72) bedarf es für die Verleihung des Satzungsrechts nicht der strengen Anforderungen des Art. 80 I GG, auch nicht analog. Die gesetzliche Verleihung der Autonomie räumt dem jeweiligen Selbstverwaltungsträger die Befugnis ein, im Rahmen dieser Verleihung seine eigenen Angelegenheiten durch Satzung zu regeln. Soll jedoch in Freiheit oder Eigentum der Bürger eingegriffen werden, bedarf auch der Selbstverwaltungsträger einer speziellen Ermächtigung des parlamentarischen Gesetzgebers (BVerfGE 33, 125).
Beispiel: Für eine Satzung über den Anschluss und Benutzungszwang für kommunale Einrichtungen wie etwa Wasserversorgung ist eine ausdrückliche gesetzliche Regelung erforderlich, wie sie in § 11 GemO erfolgt ist.