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Griechenland
ОглавлениеVon den als findige Fernhändler berühmten Phöniziern übernahmen die Griechen um 800 v. Chr. nicht nur das Alphabet, das sie als Lautschrift der griechischen Sprache anpassten, sondern sie machten sich auch ihre nautische Expertise zu eigen. Die Seefahrt gehört daher zur Lebenswelt derjenigen Gesellschaft, die den Entstehungskontext der homerischen Epen um 700 v. Chr. bildet: Die Odyssee ist im Grunde die Erzählung von den Abenteuern eines Seefahrers, dessen Geschichte in den trojanischen Sagenkreis eingefügt wurde. Gleichzeitig tritt uns in der Ilias und Odyssee eine zutiefst bäuerlich geprägte Elite entgegen. Der Vater des Odysseus hatte sein Landstück noch selbst urbar gemacht, der Wert von Gegenständen wurde in Vieh bemessen und die Anzahl der Herden verdeutlichte den Reichtum der Aristokratie (Q 3.3.1.). Raubzüge in die Nachbarschaft waren eine gängige Einnahmequelle; hier konnten sich die jungen Männer ihre ersten Meriten im Kampf erwerben und den Besitzstand der Familie mehren (Q 2.4.1 u. 2.4.2.). Der Reichtum wurde gerne zur Schau gestellte; er bewies kriegerische Tüchtigkeit und legitimierte einen Führungsanspruch. Daher präsentierte die Elite ihre kostbaren Gegenstände in Empfangsräumen und lagerte weitere kunstvoll gestaltete Erzeugnisse in entsprechenden Vorratskammern. Derartige qualitätvolle Objekte wanderten zwischen den überregional vernetzten Angehörigen der Aristokratie, die durch den Austausch von Geschenken ihre Beziehungen untereinander festigten. Dem Adel stand das Volk gegenüber, das sich vorwiegend aus Bauern zusammensetzte. In den Epen Homers lässt sich jedoch bereits eine Vorstufe der Polis greifen. Noch handelte es sich nur um Siedlungszentren ohne ausgeklügelte politische Institutionen, aber immerhin differenzierten sich bereits verschiedene Handwerksberufe aus. Gleichzeitig bildete sich auch das heraus, was die gesamte Antike mentalitätsgeschichtlich prägen sollte: die Geringschätzung von Handel und Handwerk sowie die Landwirtschaft als ideale Betätigung eines freien Mannes (Q 3.3.2.).
In dieser Zeit entwickelte sich nicht nur die Polis als charakteristisches politisches System, sondern ab etwa 750 v. Chr. siedelten Griechen in nahezu allen Teilen des Mittelmeerraumes: im griechischen Mutterland, an der Westküste Kleinasiens, rund um das Schwarze Meer, in der Levante, an der Nordküste Afrikas, in Unteritalien und Sizilien und sogar auf der Iberischen Halbinsel und an der Südküste des heutigen Frankreich. Die verschiedenen Apoikien („Pflanzstädte“) festigten auch den ökonomischen Austausch zwischen den Regionen des Mittelmeerraumes; sogar „echte“ Handelszentren wurden gegründet (Q 2.3.6.).
Einen Beweggrund, sich in der Ferne eine neue Existenz aufzubauen, bildeten sozioökonomische Verwerfungen in der Heimat: Auseinandersetzungen innerhalb der Gruppe der Aristokraten um Macht und Einfluss, Akkumulation von Landbesitz und Emporkömmlinge aus nichtadligen Kreisen zeichnen die Archaik als Krisenzeit aus. Gerade das Selbstbewusstsein einer neureichen Bevölkerungsgruppe, die nicht dem Adel angehörte und trotzdem politisches Mitspracherecht verlangte, forderte die Polisgemeinschaften heraus. Zusätzlich barg die ökonomische Lage der Armen und Ärmsten, die in die Schuldknechtschaft getrieben wurden, soziale Sprengkraft. Die Lösungen waren unterschiedlich; am umfassendsten sind wir über die „Reformen“ Solons informiert (Q 3.2.5.). Die Einteilung der Athener in vier Vermögensklassen setzte an die Stelle einer durch Geburt definierten Aristokratie eine Timokratie – der erste Schritt in Richtung Demokratie war getan.
Doch dies war nur ein Lösungsansatz unter vielen. Die Siedler auf den Liparischen Inseln erprobten beispielsweise eine Gütergemeinschaft (Q 4.1.2.), und die Spartaner gingen wiederum ihre Probleme anders an: Die messenischen Kriege hatten das Gemeinwesen überstrapaziert und deutlich gemacht, dass die helotisierte Bevölkerung ihren sklavenähnlichen Zustand nur unter äußerstem Druck akzeptieren würde (Q 4.4.1.). Die Spartaner entwickelten sich daher ab der Mitte des 6. Jh. zu einer auf den Krieg ausgerichteten Gesellschaft, in der (angeblich) Luxus und Geld nichts zählten und Handel und Handwerk den Perioiken („Umwohnende“ ohne politische Mitspracherechte) überlassen wurden. Das Bild einer armen, ökonomisch unterentwickelten Polis, wie es vor allem die athenischen Quellen zeichnen, bemüht sich die Forschung seit einigen Jahren zu modifizieren.10
Trotz aller Quellenkritik: Sparta war in vielerlei Hinsicht anders als Athen. Neben der als Notwendigkeit eingeschätzten Unterdrückung der messenischen Bevölkerung war es ein ökonomischer Grund, der Sparta eine andere Richtung einschlagen ließ. Während sich auf spartanischem Gebiet keine Edelmetallvorkommen befanden, verfügte Athen über eine der lukrativsten Silberquellen der griechischen Welt. Themistokles hatte die Athener überzeugt, die Einnahmen aus dem attischen Silberabbau im Südosten Attikas nicht unter den Bürgern zu verteilen, sondern in den Schiffbau zu investieren (Q 2.1.6.). Dieser Entschluss hatte weitreichende Konsequenzen: Athen konnte mit den rund 200 Trieren wesentlich zum Sieg über die Perser beitragen und so den Grundstein für den Delisch-Attischen Seebund legen (Q 3.5.2.). Die einfache Bevölkerung, die nicht in die Hoplitenphalanx integriert werden konnte und daher auch von wesentlichen politischen Funktionen ausgeschlossen war, hatte als Ruderer ihren Beitrag zum militärischen Erfolg der Griechen geleistet. Sie forderten nun eine breitere politische Partizipation und stießen eine Entwicklung an, die für die klassische Zeit Athens prägend war: die sukzessive Formung einer Demokratie. Finanziert wurden die teuren demokratischen Strukturen, wie beispielsweise die Aufwandsentschädigung bestimmter Ämter und Funktionen, nicht zuletzt durch die Einnahmen aus dem Seebund. Mit der Zeit entwickelte sich das antipersische Kampfbündnis zu einem Machtinstrument Athens, das die Höhe der Tribute eigenmächtig festlegte und widerspenstige Poleis mit Strafaktionen zur Räson brachte. Die Einnahmen aus dem Seebund flossen nicht nur in die militärische Rüstung oder in die demokratischen Institutionen, sondern auch in die noch heute zu bewundernden Bauwerke Athens. Der Ausbau der Akropolis setzte daher auch einen ökonomischen Aufschwung für Handwerker und Händler in Gang. Gleichzeitig avancierte der Peiraieus zum wichtigsten Handelshafen des östlichen Mittelmeerraumes (Q 2.3.9.).
Daran änderte auch der Peloponnesische Krieg (431–404 v. Chr.) nichts; das Handelsnetz war nicht zusammengebrochen, und auch sonst erholte sich die athenische Wirtschaft recht schnell. Dazu trug neben der Verfügbarkeit von Handelskrediten (Q 2.5.3.) auch bei, dass die in Attika betriebene Landwirtschaft nicht von wartungsintensiven Bewässerungssystemen abhängig war, sodass die Felder innerhalb weniger Jahre wieder gute Erträge hervorbrachten. Allerdings hatte sich während dieser Zeit die Einnahmequellen der Elite wesentlich geändert (Q 4.1.4.). Landwirtschaft war nur noch eine Erwerbsform unter vielen; Land diente sogar als Investitionsobjekt (Q 2.1.8.). Personen wie der Vater des berühmten Redners Demosthenes besaßen verschiedene Werkstätten mit ausgebildeten Sklaven. Überhaupt waren Sklaven in allen Bereichen tätig und aus dem Alltag nicht wegzudenken (Q 4.4.3. u. 4.4.4.).
Wir müssen für Athen im 4. Jh. mit einer ganzen Bandbreite an wirtschaftlichen Handlungsoptionen rechnen; die Polis besaß daher eine große Anziehungskraft auch für Fremde, die sich als Metoiken hier dauerhaft niederließen. Wie im 5. Jh., so besaß Athen im 4. Jh. (wieder) eine so große Bevölkerung, dass Attika nicht mehr alle Einwohner ernähren konnte. Die Getreideversorgung war daher ein wichtiges politisches Anliegen, das wir in vielen Maßnahmen greifen können: Es galten Exportverbote für Korn, die Kreditvergabe für Getreidehandelsfahrten folgte bestimmten Regeln (Q 3.2.7.) und die auswärtigen Besitzungen (Kleruchien) mussten einen gewissen Anteil der Weizenund Gerstenerträge abliefern (Q 3.5.5.). Eine wichtige Rolle spielten dabei die Könige des Bosporanischen Reiches an der Nordküste des Schwarzen Meeres, die über Generationen hinweg Athen mit dem begehrten Brotweizen belieferten (Q 4.1.5.). Kein anderer Zweig der athenischen Verwaltungsstruktur weist eine derartige Differenzierung auf, wie die mit der Getreideversorgung zusammenhängenden Bereiche (Q 3.1.1.).
In der Mitte des 4. Jh. geriet der athenische „Finanzhaushalt“ allerdings erneut in Schieflage: Der Zweite Attische Seebund hatte sich wiederum zu einem Herrschaftsinstrument der Athener entwickelt; mehrere Bündner sagten sich los. Dem folgte ein kurzer, aber äußerst kostenintensiver Krieg (357–355 v. Chr.), an dessen Ende der Seebund faktisch nicht mehr existierte. Um die leeren öffentlichen Kassen wieder zu füllen, wurden verschiedene Vorschläge vorgebracht – der eindrucksvollste sicherlich von Xenophon (Q 1.5.). Konsequenterweise vollzogen die Athener unter Eubulos einen außenpolitischen Strategiewechsel: Sie verabschiedeten sich realpolitisch von der Idee der Hegemonie und verfolgten eine defensiv ausgerichtete Linie. Dies war in Anbetracht der enorm gestiegen Kriegskosten letztlich unumgänglich. Der regelmäßige Einsatz von Söldnern in weit entfernten Gebieten und neue Kriegstechniken überstiegen die finanziellen Möglichkeiten einzelner Poleis. Dies konnte der Makedonenkönig Philipp II. nutzen, der auf die Gold- und Silbervorkommen im Norden Griechenlands zurückgreifen konnte. Aber auch diese waren nicht unbegrenzt; ein Feldzug gegen den persischen Großkönig, dem unermesslicher Reichtum nachgesagt wurde, stellte enorme Beutegewinne in Aussicht.