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1.3. Erwerbskunst und wahrer Reichtum (4. Jh. v. Chr.)
ОглавлениеLiteratur: Koslowski 1993; Schefold 1994; Meikle 1995; Gronemeyer 2007.
Aristoteles unterscheidet in seiner staatsphilosophischen Schrift zwischen der Erwerbskunst als Teil der Haushaltsführung und dem unnatürlichem Gewinnstreben. Erstere ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Haushalt (oīkos) zusätzlicher Güter bedarf, die er selbst nicht bereitstellen kann. Die Erwerbskunst hat also das Ziel der Bedürfnisbefriedigung und daher eine Satisfaktionsgrenze. Die widernatürliche Erwerbskunst strebt dagegen nach Gewinn als Selbstzweck und ist daher grenzenlos. Seine wirtschaftsethischen Ausführungen hängen mit seiner Kritik an Geld und Handel zusammen und orientieren sich am Gemeinwohlgedanken.
Quelle: Aristot. pol. 1256 b 26–1257 b 40 (Übersetzung E. Schütrumpf)
(Diese) eine Form der Erwerbskunst (ktetikē) ist von Natur ein Teil der Kunst der Haushaltsführung (oikonomikē); denn ein reichlicher Vorrat an Gütern, die für das Leben unerlässlich und für die staatliche und häusliche Gemeinschaft nützlich sind, muss vorhanden sein – oder die Erwerbskunst muss diesen Vorrat bereitstellen, damit er vorhanden ist. In solchen Gütern scheint der wahre Reichtum zu bestehen. Denn der für ein vollkommenes Leben ausreichende Umfang eines solchen Besitzes geht nicht ins Grenzenlose, wie es Solon in seinem Gedicht meint: „Keine sichtbare Grenze des Besitzes ist den Menschen festgelegt“ – (vielmehr) ist dem Besitz, wie auch sonst fachmännischen Tätigkeiten, eine Grenze gesetzt. Denn in keiner Tätigkeit ist ein Werkzeug an Menge oder Größe unbegrenzt; Reichtum ist aber eine Vielzahl von Werkzeugen zur Führung eines Haushaltes oder eines Staates. Dass demnach für die Leiter eines Hauses und eines Staates eine bestimmte Form von Erwerbstätigkeit naturgemäß ist und aus welchem Grund das gilt, ist somit geklärt.
(1256 b 40) Es gibt aber auch eine weitere Art der Beschaffungskunst; es ist die Art, die man insbesondere – und mit Recht – gewinnsüchtige Erwerbskunst (chremastikē) nennt; sie ist verantwortlich für die Auffassung, Reichtum und Besitz sei keine Grenze gesetzt. Weil diese mit der (naturgemäßen Erwerbskunst) verwandt ist, meinen nun viele, jene sei ein und dieselbe wie die gerade besprochene Erwerbskunst. Sie ist aber weder identisch mit der beschriebenen, noch liegt sie weit ab von ihr: Die eine von ihnen war naturgemäß, während diese (gewinnsüchtige Form) nicht naturgemäß ist, sie verdankt ihre Entstehung vielmehr eher einer Erfahrung und einem fachmännischen Können. Für ihre Betrachtung wollen wir folgenden Ausgangspunkt wählen:
(1257 a 6) Jedes Stück Besitz lässt eine zweifache Weise des Gebrauchs zu; bei beiden Formen wird (der Gegenstand) als solcher benutzt, jedoch nicht in gleicher Weise als solcher, sondern die eine benutzt den Gegenstand (seiner Funktion) entsprechend, die andere nicht – ich meine z.B., dass man einen Schuh trägt oder ihn zum Tausch verwendet: Beides sind Möglichkeiten, einen Schuh zu gebrauchen; denn wer einem anderen, der einen Schuh benötigt, diesen im Tausch gegen Geld oder Nahrung gibt, gebraucht zwar den Schuh als Schuh, aber nicht zu der ihm eigenen Verwendung; denn Schuhe sind ursprünglich nicht zum Zweck des Tausches hergestellt worden. Das gleiche gilt auch für die anderen Gegenstände des Besitzes; denn (die Technik) des Warenumschlages lässt sich auf alle Güter ausdehnen.
(1257 a 15) (Dieser Handel mit jeder Art von Gütern) begann ursprünglich damit, dass Menschen naturgemäß Tausch trieben, weil sie einige Güter in größerer, andere in geringerer Menge, als (für ihre Bedürfnisse) ausreichten, besaßen. Daraus geht auch hervor, dass die Erwerbsweise durch Handel nicht (mehr) von Natur ist. Denn (um die naturgemäße Versorgung mit lebensnotwendigen Dingen sicherzustellen), waren sie gezwungen, so viel zu tauschen, bis sie hinreichend besaßen. In der ersten Gemeinschaft, dem Haushalt, gibt es offensichtlich keine Anwendung davon, sondern erst als die Gemeinschaft schon eine größere Zahl von Mitgliedern umfasste; denn jene Mitglieder des Hauses teilten untereinander noch die gleichen Dinge, diese (Mitglieder der größeren Gemeinschaften), die getrennt voneinander lebten, dagegen viele Güter von jeweils unterschiedlicher Art. Davon mussten sie nach den jeweiligen Bedürfnissen den anderen abgeben, wie es noch viele barbarische Volksstämme tun, durch Tausch: Nur nützliche Dinge tauschen sie gegen nützliche, z.B. geben und nehmen sie Wein gegen Getreide an, und ebenso jeden anderen Gegenstand dieser Art; aber darüber gehen sie nicht hinaus. Ein solcher Tauschhandel ist weder gegen die Natur, noch ist er eine Art dieser gewinnsüchtigen Erwerbskunst. Denn er diente dazu, die Mittel so zu vervollständigen, dass man naturgemäß mit allen Gütern versorgt war.
(1257 a 30) Aus jener Erwerbsweise entstand diese gewinnsüchtige Erwerbskunst erwartungsgemäß. Denn da man zur Abhilfe (des unausgeglichenen Warenangebotes) durch Einfuhr von Waren, die man benötigte, und Ausfuhr derer, woran man überreichlich besaß, in immer weitere Ferne vorstieß, wurde notwendigerweise der Gebrauch des Münzgeldes eingeführt; denn nicht alle von Natur notwendigen Güter waren leicht (über so weite Strecken) zu transportieren. Deswegen trafen sie untereinander die Übereinkunft, zur (Erleichterung des) Handels einen Gegenstand herauszugeben und entgegenzunehmen, der selber zu den für das Leben nützlichen Objekten gehört und eine vielfältig brauchbare Verwendung im täglichen Leben erlaubt, ich meine Eisen, Silber und anderes, sofern es diese Eigenschaften besitzt. (Sein Wert) wurde zunächst einfach nach Größe und Gewicht festgelegt, schließlich schlugen sie auch ein Prägezeichen ein, damit dies das Wiegen überflüssig mache. Denn der Prägestempel wurde als Zeichen der Gewichtsmenge aufgeprägt.
(1257 b 1) Nachdem nun das Münzgeld eingeführt war, entstand aus dem Tauschhandel in lebensnotwendigen Dingen die zweite Art der Erwerbstätigkeit, die in der Form des gewerbsmäßigen Handels, die zunächst wohl einfach ausgeübt wurde, danach aber aufgrund von Erfahrung schon eine Fachkenntnis darüber, von wo und wie sie durch Warenumschlag den größten Gewinn erzielt, anwandte. Deswegen entsteht auch der Eindruck, die Erwerbskunst habe es hauptsächlich mit Geld zu tun und ihre Aufgabe liege in der Fähigkeit herauszufinden, woher sich möglichst viel Geld gewinnen lässt; denn sie produziert Reichtum und Geld. Deswegen versteht man häufig unter Reichtum die Menge Geld, (das man besitzt,) weil die gewinnsüchtige Erwerbskunst und Handelstätigkeit sich darum drehen. Bisweilen erscheint dagegen Geld als leeres Wort und von willkürlich gesetzter Geltung, in keiner Weise aber von Natur; denn wenn diejenigen, die es benutzen, (ihre Währung) ändern, ist es nichts wert und nicht für (den Erwerb) irgendeines der lebensnotwendigen Dinge brauchbar, und es geschieht häufig, dass einem, der viel Geld besitzt, doch die notwendige Nahrung fehlt. Es ist jedoch ungereimt, dass Reichtum, mit dem man gesegnet ist, die Auswirkung haben soll, dass man an Hunger zugrunde geht. So soll es nach der Sage auch dem Midas ergangen sein, als alles, was ihm vorgesetzt wurde, wegen der Unersättlichkeit seines Wunsches zu Gold wurde. Deswegen sucht man auch eine andere Bestimmung von Reichtum und Erwerbskunst – mit Recht: Denn Erwerbskunst und Vermögen, die naturgemäß sind, bilden eine eigene Form, sie fallen unter die Kunst der Haushaltsführung, diese andere aber, die nach Art des gewerbsmäßigen Handels ausgeübt wird, bringt Besitz hervor – nicht mit allen Mitteln, sondern durch Handel mit Besitz. Und dieser gewinnsüchtigen Erwerbsweise scheint es um das Geld zu gehen, denn das Geld ist notwendiger Bestandteil und Zweck des Handels.
(1257 b 23) Bei dieser Form von Reichtum, der durch die gewinnsüchtige Erwerbsweise aufgehäuft wird, gibt es keine Begrenzung. Denn auch die Medizin zielt auf eine unbegrenzte Herstellung der Gesundheit ab und überhaupt lassen sich alle fachmännischen Tätigkeiten bei der Festlegung ihres Zweckes keine Grenze setzen, denn sie wollen ihn ja so gut wie möglich verwirklichen – bei den Mitteln zum Zweck gehen sie jedoch nicht bis zum Grenzenlosen, denn der beabsichtigte Zweck setzt allen die Grenze – genau so nimmt auch diese gewinnsüchtige Erwerbskunst bei der Festsetzung ihres Zieles keine Begrenzung hin: Ihr Ziel ist diese bestimmte Form von Reichtum, der Besitz von Geld. Eine Begrenzung besteht jedoch bei der Erwerbskunst, die in den Bereich der Haushaltsführung fällt; denn solchen (unbegrenzten Reichtum zu gewinnen), ist nicht die Aufgabe der Oikonomik. Deswegen entsteht auch von diesem Standpunkt her der Eindruck, jedem Reichtum müsse eine Grenze gesetzt sein, in Wirklichkeit geschieht aber, wie wir sehen, das Gegenteil: Alle, die sich gewinnbringender Tätigkeit verschreiben, versuchen Geld bis ins Unendliche zu vermehren. Ursache dafür ist die enge Verwandtschaft (beider Formen von Erwerbskunst): Denn ihre Anwendung richtet sich auf die gleichen Gegenstände und überlagert sich somit; sie nutzen die gleiche Art von Besitz, aber nicht in der gleichen Weise, sondern bei der einen liegt der Zweck (der Nutzung) außerhalb (des Besitzerwerbs), bei der anderen ist dagegen seine Vermehrung der Zweck der Erwerbstätigkeit. Daher meinen einige, dies sei die Aufgabe der Oikonomik, und halten beharrlich an der Auffassung fest, man müsse das Vermögen an Geld entweder im Umfang bewahren oder bis zum Unendlichen steigern.