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Das Dingwort „Eigentum“ bringt sprachlich zum Ausdruck, dass bei der alltäglichen Wahrnehmung von Eigentumsbeziehungen ähnliche Fehlwahrnehmungen stattfinden, wie sie Marx mit den Begriffen ‚Verdinglichung‘ und ‚Warenfetischismus‘ beschrieben hat: „Es ist nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt.“ ( MEW 23, S. 86) Ursache der verdinglichten Wahrnehmung von Eigentumsbeziehungen sind jedoch keine „ideologischen Verblendungszusammenhänge“, sondern charakteristische kognitive Prozeduren des Alltagsbewusstseins (vgl. Almasi 1977: Phänomenologie des Scheins, Heller 1978: Das Alltagsleben).

Eigentumsbeziehungen werden im Alltag und einschlägigen Theoriemodellen vornehmlich aus der Eigentümerperspektive reflektiert. Die für Eigentumsbeziehungen konstitutive Rolle der Nichteigentümer bleibt weitgehend unbelichtet. Dass Nichteigentümer ihre Nichtverfügungsgewalt über das betreffende Gut erkennen, akzeptieren und respektieren, wird als selbstverständlich vorausgesetzt. In der Offlinewelt spielen die Nichteigentümer auch, bis auf Ausnahmen, geräuschlos mit. In der Onlinewelt machen viele Nichteigentümer das nicht. Darum geraten die Nichteigentümer jetzt ins Blickfeld sozialer Aufmerksamkeit. Eine Schlüsselfrage meines Forschungsprojekts lautet deshalb: Warum akzeptieren und befolgen Nichteigentümer stofflicher Gebrauchs- und Contentgüter klaglos die Normen und Regeln ihrer sozialen Rolle und warum tun das Nichteigentümer bei Con­tentgütern in der Onlinewelt massenhaft nicht?

Eigentümer und Nichteigentümer agieren und interagieren in reziprok-komplementären sozialen Rollen. Mit sensiblen Sensoren und praxiserprobtem Wissen über die Rechte und Pflichten von Eigentümern und Nichteigentümern beobachten, fühlen, denken, werten, kommunizieren und handeln wir permanent abwechselnd in beiden Rollen.

Soziale Rollen basieren auf dem Zusammenspiel von Regelwissen, Erwartungen und Handlungen. Der Rollenträger handelt in der jeweiligen sozialen Situation nach den Regeln seiner sozialen Rolle und die anderen erwarten, dass er so handelt. Hier gibt es keinen strengen Determinismus. Jeder Rollenträger hat auch die Freiheit, die Regeln seiner Rolle nicht zu befolgen, zumal es viele soziale Situationen gibt, in denen man gleichzeitig in zwei oder mehr sozialen Rollen steckt, deren Handlungsoptionen kollidieren können. Der Eigentümer vollzieht im Umgang mit seinem Eigentum Handlungen, zu denen ihn die Eigentümer-Rolle berechtigt, und die Nichteigentümer erwarten, dass der Eigentümer mit seinem Eigentum nach den Regeln der Eigentümer-Rolle umgeht. Umgekehrt erwartet der Eigentümer, dass sich die Nichteigentümer beim Umgang mit seinem Eigentumsgut nach den Regeln der Nichteigentümer-Rolle verhalten. Mit diesen reziproken Rollenerwartungen (Perspektivenübernahmen) reduzieren Eigentümer und Nichteigentümer die Komplexität sozialer Situationen und damit auch das Konfliktpotenzial ihrer Interaktion, denn beide können vorhersehen, wie sich der andere verhalten wird, und dies bei der Planung und Steuerung ihres eigenen Handelns berücksichtigen. Beide Effekte – die kognitive Reduktion von Komplexität und die Reduzierung sozialer Konfliktpotenziale – sind unverzichtbare Voraussetzungen für die Orientierung menschlicher Individuen im gesellschaftlichen Alltag und für das Funktionieren sozialer Systeme. Damit sind Eigentumsbeziehungen ein Grundbaustein sozialer Ordnung.

Soziologen beschreiben diese Funktion von Eigentumsbeziehungen mit dem Begriff der Institution: „Mit Institutionen sind ‚kollektive Handlungsregeln‘, ‚handlungsleitende Regeln‘, ‚Spielregeln‘ oder ‚symbolische Ordnungen‘ gemeint, wodurch soziale Beziehungen und Formen des Umgangs mit materiellen und kulturellen Artefakten typisiert, standardisiert und stabilisiert werden. Institutionen wie das Eigentum stellen ‚übergreifende und verfestigte gesellschaftliche Erwartungsstrukturen‘ dar, die soziales Handeln sowohl bestimmen als auch ermöglichen. […] ‚Eigentum‘ gehört in modernen arbeitsteiligen und differenzierten Gesellschaften und Rechtssystemen zu den zentralen Ordnungsprinzipien und Institutionen, womit der Umgang mit materiellen und immateriellen Gütern sowie soziale Beziehungen und Hierarchien geregelt werden.“ ( Siegrist 2006: Die Propertisierung von Gesellschaft und Kultur, S. 18).

Sinnfälliges Beispiel einer institutionalisierten Interaktion zwischen Eigentümern und Nichteigentümern ist der Verkauf/Kauf von Gütern als Waren. Warenbesitzer (Verkäufer) und Käufer interagieren hier in Doppelrollen als Eigentümer und Nichteigentümer von Gütern. Der Warenbesitzer ist Eigentümer eines Gebrauchsguts und (noch) Nichteigentümer des monetären Guts (Geld), das er für die Ware haben möchte. Der Käufer ist (noch) Nichteigentümer der Ware und Eigentümer des Geldes, mit dem er die Ware bezahlen kann. Vergleichsbasis beider Güter ist ihr ökonomischer Wert. Durch den Verkaufsakt tauschen beide Akteure ihre Rollen in den Eigentumsbeziehungen. Handelt es sich bei der Ware um ein dingliches Gebrauchsgut, so ist der Käufer nach dem Tausch dauerhaft Eigentümer des Gebrauchsguts und Nicht(mehr)eigentümer des Gelds, das er für das Gut bezahlt hat. Der Verkäufer ist dann Eigentümer des Gelds, das er für sein Gebrauchsgut bekommen hat, aber nicht (mehr) Eigentümer dieses Guts. Bei einer Dienstleistung, erwirbt der Käufer kein dauerhaftes Eigentumsrecht, sondern nur ein zeitlich befristetes Nutzungsrecht an diesem Gut – nämlich das Recht, die betreffende Dienstleistung in Anspruch zu nehmen. Der Verkäufer (= Erbringer) der Dienstleistung bleibt Eigentümer der Ressourcen (Arbeitskraft und/oder stoffliche Güter), mittels derer die Dienstleistung erbracht wird, und ist Eigentümer des Gelds, das er vom Kunden für seine Ware (Dienstleistung) bekommen hat.

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