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Anmerkung
ОглавлениеDie Eigentumsbeziehungen menschlicher Individuen zum eigenen physischen, geistigen und sozialen Ich sind ebenso wie die zu dinglichen und geistigen Gütern stark durch den jeweiligen historischen Kontext geprägt. Im Mittelalter sahen diese Eigentumsbeziehungen ganz anders aus als heute in westlichen Gesellschaften, in denen die Eigentumsrechte am eigenen Ich juristisch und sozial als Persönlichkeitsrechte entfaltet und etabliert sind.
Kommen wir nun noch einmal auf die eingangs gestellte Frage zurück: „Wer ist der Eigentümer neu geschaffenen Eigentums?“. Wenn wir darauf historisch universell gültig – also auch für Eigentumsbeziehungen bei Tieren gültig (vgl. nachfolgend) – antworten wollen, müssen wir neben der vorgehend ausgeführten Begründung von Eigentumsrechten an neu produzierten Gütern auch die Konstituierung von Erst-Eigentumsrechten an Naturgütern, die nicht von Menschenhand geschaffen wurden, berücksichtigen.
Hier treffen wir auf den realen Gehalt der oben erwähnten Okkupationstheorie. Diese besagt: Das Individuum, das als Erstes Anspruch auf ein „herrenloses“, noch nicht mit Eigentumsrechten besetztes Gut geltend macht, wurde/wird von seinem sozialen Umfeld als dessen Eigentümer akzeptiert. Diese Art der Konstituierung von Eigentumsbeziehungen wurde von Menschen bei der geschichtlichen Ersteroberung der Welt praktiziert. Heute gibt es kaum noch Naturgüter, die nicht fest vereigentumt sind. Aber es kommt hin und wieder vor, dass (Erst-)Eigentumsrechte an Naturgütern durch Okkupation konstituiert werden, wenn neue Möglichkeiten der Nutzung (= Gebrauchswerte) dieser Naturgüter ge- bzw. erfunden werden.
Im Alltag treffen wir diese Art der Begründung von Eigentumsrechten bei einigen Naturgütern, die Gemeineigentum sind. Wenn ich mit einem Korb voller Pilze aus dem Wald komme, wird jeder Mensch der mir begegnet, ganz selbstverständlich anerkennen, dass ich Eigentümer dieser Pilze bin. Im Streitfall würde mir dieses Eigentumsrecht auch gesetzlich zugebilligt werden. Wenn mir jemand den Korb voller Pilze aus der Hand reißen und damit flüchten würde, würde man diese Handlung juristisch als Eigentumsdelikt „Raub“ bewerten.
Das Prinzip der Eigentumsbegründung durch Okkupation spielt heute auch noch eine wichtige Rolle, um Rivalitäten um knappe Güter – im Sinn des zweiten Grundgesetzes des Eigentums – konfliktarm zu halten. In modernen Gesellschaften gibt es nämlich ein Gut, das notorisch knapp ist und deshalb ein hohes Rivalitätspotenzial hat: Platz in öffentlichen Räumen. Den Rivalitäten um dieses knappe Gut wurde nachhaltig Konfliktpotenzial entzogen, indem die Konvention der Eigentumsbegründung per Okkupation im Laufe der Kulturgeschichte zu einer Höflichkeitsregel wurde. So kann man in vielen gesellschaftlichen Situationen ein zeitlich befristetes Besitzrecht (privilegiertes Nutzungsrecht) für einen bestimmten Platz in öffentlichen Räumen geltend machen, indem man einen bis dato noch freien Platz okkupiert und den eigenen Rechtsanspruch an diesem Platz für alle potenziellen Rivalen sichtbar kenntlich macht. Lege ich Dinge, die eindeutig als Privateigentum erkennbar sind, auf diesen Platz – ein Handtuch auf eine Sonnenliege am Strand oder eine Jacke auf einen Zuschauersitz in einem Vortragssaal –, signalisiere ich anderen Menschen: „Das ist mein Platz!“. Durch diese Okkupation wird für den betreffenden Platz eine Eigentumsbeziehung als zeitlich befristetes Nutzungsprivileg konstituiert. Ich mache alle anderen Personen in diesem Raum bezüglich dieses Platzes zu Nichteigentümern und kann mich darauf verlassen, dass sie sich rollenkonform als Nichteigentümer verhalten und mir diesen Platz nicht streitig machen (vgl. dazu auch Erving Goffmans Beobachtungen über „Die Territorien des Selbst“ in: Goffman 1982: Das Individuum im öffentlichen Austausch, S. 54–96).