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Einleitung

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Die Initialmotivation meiner Beschäftigung mit dem Thema Eigentum erwuchs aus meiner Tätigkeit als Verantwortlicher für den Onlinebereich in einem deutschen Anime-Verlag. In einem Verlag, der japanische Zeichentrickfilme (Animes) als DVD, BD und Video-on-Demand (VoD) auf den deutschen Markt bringt, ist man so intensiv und vielfältig wie nirgendwo sonst in der Contentwirtschaft mit eigentumsrechtlichen Fragen des Urheberrechts konfrontiert. Japanische Rechteinhaber, die Fankultur, Piraterie und Unternehmen, die Nutzungsrechte für Animes erwerben wollen, machen das Urheberrecht in diesem Verlagsgeschäft allgegenwärtig.

Japanische Rechteinhaber. Die Urheberrechte von Animes werden in der Regel von Gremien verwaltet, in denen viele Personen Mitspracherechte haben (Mangazeichner, Manga-Verlag, Charakter-Designer, Produktionsstudio, Investoren) und gern und intensiv Gebrauch davon machen. Lizenzverhandlungen und Genehmigungsverfahren, sogenannte Approvals, sind deshalb langwierig und kommunikationsaufwendig.

Fankultur. Fast alle Fanprodukte, die Animes und Mangas bei jungen Menschen so beliebt machen (Fanart, Cosplay, Dōjinshi, Fansubs, Anime-Music-Videos) und damit auch die Basis für den wirtschaftlichen Erfolg der Verlage sind, verletzen das geltende Urheberrecht. Mit den Fansubbern gibt es in der Anime-Kultur eine große und gut organisierte Community, die eifrig im Graubereich des Urheberrechts agiert (vgl. Thordsen 2013: The Law of Anime).

Piraterie. Animes gehören im Internet zu den meistgefragten Produkten auf den Schwarz(kopie)märkten. In keiner anderen Contentbranche gibt es eine so eifrige und vielgestaltige Onlinepiraterie wie in der Anime-Szene.

Die in allen Contentbranchen beklagte Gratismentalität der Nutzer veranlasste mich, über den Tellerrand des Verlagsgeschäfts hinauszuschauen und grundlegend über Eigentumsbeziehungen nachzudenken.

Viele junge Menschen halten es heute für normal und beinahe für ihr Grundrecht, dass es Contentgüter im Internet gratis gibt. Ganz selbstverständlich und arglos erwarten sie, dass auch gewerbliche Contentanbieter ihre Produkte gratis ins Netz stellen. Mit flehentlichen Bitten oder dreisten Forderungen versuchen uns junge Menschen immer wieder dazu zu bewegen, unsere Animes kostenlos ins Netz zu stellen. Diesen jungen Menschen würde es nie und nimmer in den Sinn kommen, einen Verkäufer im Mediamarkt zu bitten, ihnen eine DVD gratis zu überlassen.

Filme und Musik kostenlos zu bekommen, ist natürlich für junge Menschen, die über wenig Geld verfügen und noch nicht wissen, was es heißt, vom Lohn eigener Arbeit leben zu müssen, sehr verlockend. Doch der Gratisvirus grassiert längst in allen Bevölkerungsschichten. In Großbritannien gehören Frauen über 35 Jahren zu den eifrigsten Nutzern von E-Book-Piraterie-Angeboten (vgl. Henderson 2011: Grannies turn to piracy). Und die Mehrzahl der Verfasser der unzähligen bissigen Kommentare, die sich Künstler einhandelten, die 2012 öffentlich die Gratismentalität kritisierten und ihren Anspruch auf Bezahlung ihrer Leistungen verteidigten, war schon einige Lebensjahre jenseits der Pubertät.

Selbst von den Menschen, die am Kiosk oder per Abo ganz selbstverständlich für Zeitungen und Zeitschriften bezahlen, sind nur sehr wenige bereit, Geld für Onlineformate journalistischer Produkte auszugeben. Dabei hat das Onlineformat klare Vorteile gegenüber dem Printformat: Beiträge können schneller veröffentlicht werden, es gibt attraktive multimediale Darstellungsmöglichkeiten und Links zu weiterführenden Informationen, man kann gezielt nach Informationen suchen und an andere Personen weiterleiten, Leser können direkt mit den Redakteuren und untereinander in Kontakt treten und ihre eigene Meinung öffentlich kundtun, alte Ausgaben sind schnell zur Hand und es werden keine Naturressourcen verbraucht. Das Onlineformat hat unstrittig einen höheren Gebrauchswert. Wenn Nutzer nicht einmal bereit sind, für diese Produkte einen geringeren Preis als für Zeitungen auf Papier zu bezahlen, ist hier offenbar der Normalmodus der Kaufrationalität ausgeschaltet.

Dieselben Menschen, die stoffliche Contentprodukte selbstverständlich bezahlen, erwarten ebenso selbstverständlich, dass Content­güter im Internet gratis sind. Menschen mit ganz unterschiedlichen sozialen Profilen – die Generation der Digital Natives und die Generation ihrer Eltern, die Digital Immigrants –, Menschen mit völlig verschiedenen Mediensozialisationen, materiellen Bedingungen und Wertorientierungen haben die gleiche Einstellung: Im Internet sind Contentgüter gratis. Uploaden, Downloaden und Streamen von Contentdateien, deren Inhalt durch das geltende Urheberrecht geschützt ist, sind in allen Schichten der Gesellschaft üblich und alltäglich. Angesichts der epidemischen Ausmaße dieser Rechtsverletzungen müsste man sich fast Sorgen um den Zustand unserer Zivilgesellschaft machen.

Wie kommt es, dass die Nutzer von Contentgütern im Internet elementare Normen und Regeln des Markts ignorieren?

Erklärungen, die auf moralisches Fehlverhalten und gruppenpsychologische Nachahmungseffekte abstellen, bleiben an der Oberfläche. Sozialen Phänomenen auf den Grund gehen, heißt erkunden und erklären, warum Menschen so denken und handeln, wie sie denken und handeln. Welche gesellschaftlichen Bedingungen und Prozesse ermöglichen und befördern das betreffende Denken und Handeln? Und wie schaffen und verändern dieses Denken und Handeln gesellschaftliche Verhältnisse?

Die Suche nach Antworten auf diese Fragen motivierte mich, Fach- und Methodenwissen wiederzubeleben, das ich einst in der Philosophie und in den Sozial- und Sprachwissenschaften erworben hatte. Ich stellte fest, dass diese Denkwerkzeuge noch überraschend gut funktionieren und sich mit den empirischen Erfahrungen meiner beruflichen Praxis erkenntnisgewinnbringend ergänzen. Daraus entwickelte sich ein spannendes privates Forschungsprojekt über die Contentkultur im Onlinezeitalter, das ich seit Mitte 2010 als Freizeitbeschäftigung bearbeite. Die Debatten über die Bedrohungen und Chancen der Buchkultur im Onlinezeitalter sowie die Volksdebatte über das Urheberrecht im Jahr 2012 kamen für dieses Projekt genau zur richtigen Zeit.

Lern- und Wissensquellen meiner Forschung sind

 – die Erfahrungen meines beruflichen Alltags als Manager des Video-on-Demand-Portals Anime on Demand und Initiator/Koordinator der Anime-Copyright-Allianz,

 – Kenntnisse aus eigenen wissenschaftlichen Arbeiten und Studien über gegenständliche Bedeutungsbeziehungen, Kommunikation und Verstehen, Methodologie der Kommunikationslinguistik, Entwicklungstrends der Informationsgesellschaft und E-Learning,

 – fachwissenschaftliche Printpublikationen (vgl. Bibliografie im Anhang),

 – unzählige Publikationen und Beiträge im Netz. Ergiebige Quellen waren und sind urheberrecht.org, irights.info, carta.info, netzwertig.com.

Gegenstand der vorliegenden Studie ist die Entwicklung der Contentkultur im Onlinezeitalter.

In meinem Job bin ich gleichzeitig Teilnehmer und Beobachter der Contentkultur. Als jemand der in einem Contentunternehmen arbeitet und Verantwortung trägt, habe ich für die Mentalität der Menschen, die in Contentunternehmen tätig sind, mehr Empathie als Leute, die diese Arbeitswelt nicht kennen. Aber ich bin auch ständig Nutzer von Contentgütern im Internet und habe in meinem beruflichen und privaten Umfeld umfängliche Einblicke in die Mentalität anderer Nutzer.

Anspruch der vorliegenden Studie ist es, objektive gesellschaftliche Verhältnisse und Prozesse zu beschreiben und zu erklären. Maßgebend sind die für wissenschaftliche Texte üblichen Normen und Regeln. Dazu gehören der sorgfältige Gebrauch von Begriffen, eine stringente Argumentationsstruktur, die Begründung von Behauptungen, die Nennung von Quellen sowie eine weitgehend neutrale Sicht auf die betrachteten Verhältnisse und Prozesse.

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