Читать книгу Ein ganz böser Fehler? - Mike Scholz - Страница 17

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Freitag, 14. September. Vormittag.

Diesmal wurde ich von einer Schwester, nachdem ich erst am Fenster sitzen durfte, zum Tisch gebracht, habe Zettel und Stift vor mir liegen, übe das Schrei­ben meines Namens. Und das mit rechts; denn ich habe keine Lust, mich umzugewöhnen. Zwar muss die rechte erst wieder lernen, den Stift zu halten, doch die linke müsste erst lernen, lesbar zu schreiben, wo­mit zwischen den Schwierigkeiten ein Patt herrschen dürfte. Und außerdem will ich beide Seiten gebrau­chen können.

Bei den ersten Versuchen kann ich den Stift aber wieder nicht festhalten. Worauf irgendetwas in mir ausrastet und ich der rechten eine klatsche.

Kurz summt es ganz leicht in ihr, mehr aber kei­neswegs. Darum versuche ich mit links den Stift fest­zuhalten und mit rechts zu führen, will dabei langsam das Festhalten verringern, bis ich es ganz lasse.

Als es soweit ist, darf ich beobachten, wie mir der Stift erneut aus den Fingern rutscht.

Ich werde zur Abwechslung mal knurrig auf das Pa­pier: Scheiß-holprig ist das, bringt den Stift dazu, laufend hängenzubleiben. Doch sofort flüstert mir je­mand zu: Schiebe es nicht auf das Papier. Du bist der Schuldige selbst. Und ich muss mir eingestehen, dass es stimmt. Also muss ich mit der linken weiterhin festhalten.

So klappt es einigermaßen. Und ich fange an, mei­ne eigene Schrift wieder lesen zu können.

Das ist doch kein Kunststück. Wenn du nur deinen Namen schreibst und weißt, dass du ihn schreibst, dann kannst du sogar jauchzende Hampelmänner in rauschenden Bäumen erkennen!

Mir ist klar, dass die Unterschrift oft gebraucht wird, deswegen übe ich weiter. Schreibe sehr lang­sam, um Schönschrift hinzusetzen. Doch was eine sein soll, sieht aus wie die Schrift eines besoffenen Arztes. Auch eine Schwester, die ich über mein Ge­schreibsel urteilen lasse, befindet, dass meine Schrift manchmal unlesbar ist, sonst entzifferbar. Und mir wird klar, dass dies noch nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann. Außerdem halte ich den Stift wie ein Kleinkind, dass seine ersten Malversuche startet. Doch ich bin kein Kleinkind mehr und strichele auch nicht irgendwas aus. Deswegen gibt es nur eins: Wei­terüben.

*

Am Nachmittag lässt sich Pia wieder blicken. Sieht mich schreiben und beguckt es sich. "Nicht schlecht", meint sie dann.

"Dasisdo nur mei Nam", mindere ich das Lob ab. "Dowie wärs, wennich dir mal ee gans Satz offschreib und du sag, was geschrieb hab?" Und setze meinen Vorschlag in die Tat um, ohne erst ihr Ja–Wort abzu­warten, einen Satz, welcher mich – nicht nur derzeit – ungemein beschäftigt.

"Der erste Satz ist gut geschrieben", meint sie beim ersten Blick auf das Papier. "'Ich liebe dich!' – Stimmt das?"

Ich nicke mit sehr ernstem Gesicht.

"Danke!", bekomme ich genauso ernst zurück. "Ich dich auch! Ich werde auf dich warten!"

Dann ist ein Ruck an ihr zu erkennen, der ihr Lä­cheln wieder auf ihren Mund zaubert: "Zurück zum Zettel."

Sie gibt mir noch einen Kuss – Immer nur kleine; warum eigentlich nie große? – und konzentriert sich wieder auf das Geschriebene: "Also das erste Wort ist wieder 'ich'. Dann folgt" – sie versucht zu buchstabie­ren – "achso, "ich will mit dir". Doch das letzte Wort kann ich nicht lesen. Was soll das heißen?"

"Dadoch das Wichtigs am gans Satz!"

"Sag es mir bitte", bettelt sie.

"Na gu, weil dusist: 'schlafen'."

"Also zusammengefasst heißt das – hä, du hast zu viel Zeit hier! Aber das ist ganz typisch für dich. Dar­an sieht man, dass du dich absolut nicht geändert hast. Nur – das dürfte hier drin schlecht möglich sein."

"Ich wijaouniewig hör drin bleib. Aber fürerst werd ich Ulau beantagn."

"Kriegst du denn hier drinnen welchen?"

"Weeßchni, dopobiern gehvor studier. Unnach Hiefe schein kannimmernoch."

"Okay, ein Versuch ist es auf jeden Fall wert", be­stätigt sie. "Aber jetzt gehen wir ins Besuchszimmer. Oder willst du nicht?"

"Beiir stichswoh, wa?" – Seit gestern ist das für uns reserviert.

*

Dort angekommen, zeigt sie mir erst einmal, was sie mitgebracht hat: drei Schmöker. – Sind zwar Liebes­romane alias Mitglieder des Schnulzenkabinetts aus dem Zeitungskiosk, aber die Hauptsache ist, wenigs­tens etwas zum Lesen, zum Vertreiben der quälenden Langeweile. – Dann packt sie noch Sachen aus, wel­che sie von meiner Mutter für mich bekommen hat: einen Schlafanzug – zu Hause habe ich zwar nie ei­nen an, aber wenn ich hier die ganze Zeit nackt rum­laufen würde, so einen großen Terminkalender habe ich gar nicht –, meine Brille – die ich sofort aufsetze und dadurch wieder einen verbesserten Durchblick habe – und ein Paar Turnschuhe – Ich wusste gar nicht, dass Adidas auch solche barbarisch hässlichen herstellt. Ach ja, kann mich erinnern: Meine Mutter hat ja den Geschmack einer blinden Bergziege. – "Ich wollte auch Anziehsachen für dich haben", erzählt mir Pia, "doch deine Mutter wollte da nichts rausge­ben. Ich musste ihr schon mächtig auf den Pelz rü­cken, um das hier zu kriegen."

Ich bedanke mich bei ihr und will noch wissen, warum meine Mutter sich so hat.

"Kann ich dir auch nicht sagen. Vielleicht will sie die selber anziehen."

Wir halten es beide für möglich und machen uns lustig darüber, haben endlich mal Gelegenheit, ein Weilchen miteinander zu lachen.

Danach zeigt sie mir Bilder von ihrem Urlaub im letzten Monat. "Eigentlich wollte ich gar nicht fahren, doch meine Mutter meinte, ich müsse, damit ich wie­der auf andere Gedanken käme. Was auch richtig war. Nur wurde der ganze Urlaub überschattet von dem Unfall. Es war mir ein bisschen peinlich, dich im Krankenhaus zu wissen und mich im Urlaub an der Ostseeküste."

Aha, also schon im August hier. Hm. Was ist jetzt? September? Doch wieso war ich im August im Kran­kenhaus? Hat sie mir ja schon gesagt; sehe bloß noch nicht durch. Aber was war nun im August? Fragen? Nee, würde bloß die traute Atmosphäre zerstören. Also lass ich es, mache es später. – Ich schaue mir weiter die Bilder an.

*

Die Tür geht auf – nur ich darf bis zum Abendbrot 17.30 Uhr Besuch empfangen, bei den anderen ist als Ende der Besuchszeit 17.00 Uhr verbindlich –, eine Schwester kommt herein und teilt mir mit, dass es an der Zeit ist.

"Pia", holen mich meine Depressionen wieder ein, "ich finsum Kotzn, dass meruns wietrennmüssn. Kannstasni irnwie abännern?"

Ich kann jetzt ganz tief in ihre blauen Augen schauen, bis hinunter zur Seele, als sie langsam den Kopf schüttelt.

Plötzlich kommt mir eine Idee – eine verrückte Idee, yeah, doch was soll's? Verrückt sein ist eigenar­tig und damit interessant. "Pia, kammirn Gefalltu?", versuche ich, hinab in ihre Seele zu sprechen.

"Welchen?"

"Mizrück indä Bett bring?"

"Du meinst die Schwestern begleiten, wenn sie dich zurückbringen? Na klar. Aber das mache ich doch immer."

"Nee, das meinichni. I mein, dassde mich rüb­schafft."

Ein Anschein von Verwirrung auf ihrem Gesicht. "Machen das nicht die Schwestern?"

"Normal--erweise ja. Aber ich möch, dass dus heu­tut – tust", bitte ich sie.

"Aber ich weiß doch gar nicht, wie das geht", wen­det sie ein. "Außerdem bin ich dazu viel zu schwach."

"Meinse, die Schestern sin kräfter?" Wissentlich vermeide ich es zu erwähnen, dass das immer von zweien gemacht wird. Denn ich will einfach in ihren Armen liegen und dadurch für einen Moment alles vergessen können, was mich derzeit fast erstickt.

"Aber was ist, wenn es schief geht?"

"Gehesni." Daran habe ich überhaupt keine Zwei­fel. Weise sie viel mehr daraufhin, dass ich hier schon zweimal unter dem Bett landete, dabei mir aber nie was passiert war.

Damit habe ich sie überzeugt. Wir starten.

Sie nimmt mich an der Schulter, ich lehne mich auf sie – spüre ihren berauschenden Duft, kann die goldenen Härchen sehen, die sich auf ihrem Hals auf­gerichtet haben, fühle, wie ich meiner Umwelt entei­le, in diesem Augenblick so glücklich bin wie schon seit Jahrhunderten nicht mehr.

Durch die Tür treten wir Arm in Arm hindurch. Doch jetzt dringt unvermittelt ein Schimmer in mein eingenebeltes Bewusstsein, der mich dazu zwingt, meinen Blick von ihrem Hals, ihrer Schulter, ihren Brustansätzen abzuwenden und ihn auf die ganze Frau zu richten: Sie kämpft wie eine ihr Junges behü­tende Bärenmutter, um mich nicht fallen lassen zu müssen, keucht dabei, als wöllte sie einen Orgasmus herbeiz­wingen, der jedoch keine Lust hat, in ihr auf­zusteigen. Doch sogleich wandere ich in den Däm­merzustand zu­rück, rede mir ein: Sie wird es schaf­fen.

Draußen wird der Vorgang sofort von den Schwes­tern bemerkt, die sich nun wie bei einer Parade auf­stellen, um uns zu beobachten. Und ich – ich er­wache und muss lächeln.

Doch lange lächeln kann ich nicht. Denn plötzlich merke ich, wie Pia Schwierigkeiten bekommt. Ihr Keuchen wird immer stärker, jetzt muss sie mir auch immer wieder neu unter die Schulter fassen. Ich ma­che mich bereit, auf Tauchstation zu gehen, lockere den Griff. – Nicht sie soll sich dabei verletzen; ich bin ja eh schon im Eimer.

Dann – ich merke, dass sie anfängt zu stolpern. Ich lasse los.

Wie ein nasser Sack bin ich zu Boden gefallen, versuchte zwar noch, die linke zum Abfangen zu be­nutzen, doch auch die ist zu schwach dafür. Diesen Moment ihrer Nähe aber bereue ich keinen Augen­blick.

Pia, nachdem sie ihr Gleichgewicht wieder gefun­den hat, und auch die Schwestern, welche sofort zu mir gerannt gekommen sind, wollen wissen, ob mir was passiert sei, ob ich verletzt bin, ob ich Schmerzen verspüre.

Doch nach einem Blick auf Pia habe ich mein Lä­cheln wieder gewonnen. Vor allem jetzt, bei dem An­blick der besorgten weiblichen Gesichter um mich herum, wird es breiter. "Iwo", beruhige ich sie dann, "allin Butter. Konnja schließ ni mehr as schiefgehn."

"Du bist verrückt!", erklärt mir eine der Schwes­tern.

Währenddessen wendet sich Pia ihnen zu. "Tut mir leid, aber er war einfach zu schwer für mich."

Die gleiche Schwester, die mich als verrückt abge­stempelt – gepriesen! – hat, meldet sich wieder zu Wort: "Das ist auch kein Wunder, so viel, wie er isst. Eigentlich müsste er so richtig fett sein. Wer weiß, wo sein Fett sitzt."

Pia und ich schauen uns lächelnd an; ich glaube, wir denken beide das Gleiche.

Damit verabschiedet sie sich aber, wonach ich ins Bett gebracht werde – von zwei Schwestern.

Ein ganz böser Fehler?

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