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Montag, 17. September. Nachmittag.

Alles war wie immer: Krankengymnastik zweimal – bei der ich jetzt den rechten Arm und das rechte Bein langsam, kraftlos, aber doch etwas bewegen kann, die linke Seite ist von der Flexibilität her wie­der fast vollständig einsetzbar – fleißig riskieren, schreiben üben, lesen, Gehschule fordern und einmal bekommen; und doch ist seit gestern alles anders: Ich habe das Ende in Sicht, bin wie verwandelt – sprühe deswegen vor guter Laune, sehe alles etwas lockerer, nicht mehr so verbissen.

Jetzt aber sitze ich zusammen mit meiner Schwes­ter im Besucherraum. Und was mich sehr wundert, dass sie heute nicht den Geleitschutz für meine Mut­ter darstellt.

"Wasnit Mutti los? Warm bistn äh alleen?", will ich deswegen wissen.

"Die ist noch sauer wegen Sonnabend. Wirst dein Benehmen wohl doch ändern müssen."

Ich werde dadurch noch einmal in das Dilemma hineingetaucht und mir wird fast schlecht dabei. "Eh am Sonnamd habi eh ni 'warum' gsag."

"Von mir aus. Genau genommen ist es mir egal."

Plötzlich fällt mir ein, dass ich ihr Bescheid sagen muss wegen Mittwoch.

"Ich sag's Mutti mit", lässt sie daraufhin von sich hören.

Ihr Tonfall versetzt mich aber in gereizte Stim­mung. – Das klang wie: "Na gut, ich sage es ihr bei Gelegenheit. Verlass dich aber nicht darauf, dass es umgehend geschieht." – Und deswegen schustere ich mir etwas zusammen, um nachzustoßen.

Ich mache den Mund auf, damit die Worte den Ausgang finden können, da werde ich plötzlich darin gestört: Die Tür öffnet sich.

Ich schaue auf die über mir hängende Uhr, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass die Besuchszeit schon vorbei ist – und richtig, es ist erst zwölf nach vier!

"Was ..." Ich breche mitten im Satz ab, denn jetzt sehe ich, wer eintritt: Pia! Sie hatte ich heute nicht im geringsten erwartet.

"Mike, was wolltest du gerade sagen?"

"Äääh – wasür wunschöner Nammtag", fällt mir nichts Besseres ein.

"So so. Na ja, wenn einem nichts mehr einfällt, muss das Wetter herhalten. Ich komme wohl ungele­gen?"

"Nieee!", beteuere ich.

"Kann man das glauben?", schwingen in ihr noch Zweifel – scheinbar, denn sie lächelt schon.

Ich lege meine linke auf die Brust, senke meinen Blick und verleiere etwas die Augen, so dass ich aus­sehe wie ein Unschuldslamm, das soeben geboren worden ist.

Endlich hat sie ein Einsehen, gibt mir einen Begrü­ßungskuss, meiner Schwester die Hand und setzt sich zu uns.

Ich erkenne, meine Schwester stört. Ich habe keine Anstandsdame bestellt, welche immer schön fleißig die Kerze hält. Folglich muss ich sie irgendwie rause­keln. Und ich weiß auch schon wie.

"Um a vor--hin zurückzukomm – wieso sollich mei Benimme ändn? Besteh da irgendn Gund dazu? Ihrüsst doch schließ--lich einsehn, wennirechtab. Ich mir keener Schul bewuss."

"Einen Anteil Schuld hast du schon. Du weißt doch, wie sie ist. Da hättest du sie doch nicht erst dazu auffordern müssen." Ihre Stimme wird lauter.

Ich merke schon, ich muss noch eine klitzekleine Kelle nachlegen: "He he he, fanga an nachzudengn. Die Hautschud trächt dowohldu. Hästonierst mitter Kacke anfang müss-en."

Jetzt wird sie wütend: "Heißt das etwa, dass ich auch gehen soll?"

Ich fühle, wie mich das schon verloren geglaubte Gefühl des Zynismus ergreift: Lehne mich lässig zu­rück und fange an, höhnisch zu grinsen. "Nix dagegn", lasse ich sie hören.

"Na gut!", schreit sie mich an. Dann springt sie auf, reißt die Tür auf, rennt fluchend hinaus und knallt dabei die Tür wieder zu.

"Warum hast du das gemacht?", schaltet sich jetzt Pia ein. – Sie weiß, was am Sonnabend geschehen ist, ich habe es ihr gestern erzählt. – "Ich wage zu be­zweifeln, dass sie bei dieser Abfuhr jemals wieder­kommt."

Und auch in mir bringt sich die Opposition zu Ge­hör: War das wirklich nötig? Hättest du sie nicht ganz normal bitten können, dich für heute zu verlas­sen? Sie hätte es bestimmt verstanden, ist doch nicht deine Mutter.

Doch ich wische diesen Einwand weg, verweigere ihm das Stimmrecht: "Die mumerkn, wosanggeht, dassch mirnialls gfalln lass."

"Mag ja sein. Aber musstest du es ihr gleich so deutlich zu verstehen geben?"

"Eeh", weise ich sie darauf hin, "wärich dodal deut--lich gewäsn, hättch zuir gsagt: 'Verpissich!' Denni wollt mitir alleisein."

Ihre Gesichtszüge enthärten sich. "Aber das nächs­te Mal beherrscht du dich. Versprochen?"

"Ich versuch."

Damit habe ich dieses Thema in die Rumpelkam­mer geschickt; nun sind wir allein und genießen das.

*

Abendessen. Feierabend für heute.

Im Zimmer ist ein neuer Patient. Er soll laut Schwestern ein ziemlich schwerer, annähernd hoff­nungsloser Fall sein.

Wahrscheinlich hängt das damit zusammen, dass er so was wie ein Miesepeter ist. Sieht auch recht un­sympathisch aus, der Kunde. Oder wird von den Schwestern was anderes gemeint mit "wird nicht mehr"? Ach, egal, was geht es mich an? Übermorgen verschwinde ich hier. Und nach mir die Sintflut.

*

Ich schlafe. Plötzlich merke ich, wie mir etwas den Hintern entlang kraucht.

Möglicherweise ist das der neue Alte, dem traue ich das zu. Sein Bild will mir nicht aus dem Sinn ge­hen.

Ich schlage mit der linken Hand nach hinten. Und bleibe an der Hose hängen.

Hä, was ist das??? – Scheiße, im wahrsten Sinne des Wortes. Doch – eigentlich logisch, denn seit ich hier bin, habe ich noch nie ein Ei gelegt. Dann wird man auch noch von diesem Alten geistig manipuliert. Was mache ich jetzt? Geht ja wohl nur klingeln, ääh, denn damit schlafen kann man ja schlecht.

Ein Pfleger kommt: "Was ist los? Warum klingelst du?"

Mann, ist das peinlich! – Ich beschließe, auf die Zeichensprache zurückzugreifen und zeige nach hin­ten.

Er muss es richtig analysiert haben, denn er fängt an zu fluchen. Dann ruft er eine Schwester herbei und holt neue Sachen.

"Tumi furch--bar traurig unis mir unheim--lich peilich, arder Alte darüben hat mich mani-äh-ma­ni-äh-puliert", versuche ich mich leise und mit schüch­ternem Tonfall zu rechtfertigen, denn weder für die Schwester noch für den Pfleger dürfte es ein Genuss sein, mir die Musrinne auskratzen zu müssen; und mir selber macht das auch keinen Spaß.

"Ich möchjetz off Tolte, damits ninoma paiert."

"Das möchte ich auch hoffen. Hier hast du einen Nachtstuhl."

Ich schweige. Sitze nur noch bedrückt da – wobei mir der Blödsinn klar wird, den ich gerade dem Pfle­ger erzählt habe: – Scheißen tust du selber, niemand anders; oder meinst du, dir hält jemand ein Saugrohr ans Arschloch??

Aber es bleibt beim Versuch. Darum lasse ich mich zurück ins Bett fallen.

Ein ganz böser Fehler?

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