Читать книгу Ein ganz böser Fehler? - Mike Scholz - Страница 26
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Sonntag, 23. September. Abends.
Gabi – die ich mittlerweile zu meiner Lieblingsschwester gekürt habe – erscheint mit einem Rollstuhl in der Tür.
"Na, hast du Lust, zum Essen am Tisch zu sitzen?", fragt sie mich.
"Ich halLust", strahle ich und versuche mich zu erheben.
"Nicht so hastig, Mike. Es geht sofort los." Und hievt mich aus dem Bett.
Blödes Gefühl, im Rollstuhl zu sitzen. Zu den Gleich-Großen oder auch Kleineren, eigentlich zu allen, schaut man auf wie zu Außerirdischen überlegener Intelligenz. Man kommt sich vor wie von der Gemeinschaft ausgestoßen – Vielleicht ist man es dann auch?? –, wartet darauf, dass sich mal jemand erbarmt, sich zu dir herunterzubeugen und dir zuzuhören. Nee, an den Rollstuhl werde ich mich nie gewöhnen können. – Wo kommt auf einmal der blöde Gedanke her? Es besteht doch überhaupt kein Zweifel daran, dass er nur eine Übergangslösung ist! Dass er mich nur befreit vom Essen im Bett! Ich mag zwar Frühstück im Bett, doch hat das hier ja wohl überhaupt nichts damit zu tun. Ich habe es nur ganz einfach satt, tagein, tagaus und dazwischen auch ständig im Bett zu hocken.
*
Nach dem Essen hat sie mich im Fernsehraum abgestellt. Dort schaut sich gerade eine Gruppe Patienten, die auf den vor einem Plattenspieler mit Radio stehenden Sesseln sitzen, auf dem Farbfernseher irgendeine Klatschserie an. Aber ich widme mich etwas viel Wichtigerem: Ich schaue in mich hinein, in der Hoffnung, etwas Neues zu entdecken, vielleicht sogar etwas darüber herauszubekommen, wo ich jetzt stehe, und in die Zukunft zu sehen, was als nächstes auf mich zukommt, wie ich es lösen werde: Eines ist mir klar geworden: Auf meine Mutter brauche ich nicht zu hoffen. Zwar dürfte ich auch einen mehr oder minder großen Schuldanteil besitzen, doch mir scheint, sie betrachtet mich nicht mehr als vollwertiges Bestandteil ihrer Umgebung. Und ich glaube – nein, ich weiß es, ich kann mich wieder sehr, sehr dunkel daran erinnern –, dass sie früher schon darunter gelitten hat, mich zu akzeptieren, und so dürfte sie jetzt noch vielmehr darunter leiden, dass sich daran nichts geändert hat. Aber was ist eigentlich nun mit mir passiert? Sollte das mit dem Unfall etwa stimmen? Dann müsste ich ja einen totalen Filmriss haben. Und nehmen wir mal an, es stimmt, was mir da drüber erzählt worden ist, so lässt sich doch keine Schlussfolgerung daraus ziehen, tauchen nur Schemen auf, kein Bild aber. Okay, ich glaube, von der Annahme, dass ich verscheißert werde, kann ich abgehen. Da würden zu viele mit drinnen hängen. Was zu sehr nach irrealem mieft. Allerdings – was ist hier noch real? Was von dem, was jetzt über mich hereingestürzt ist, gehört nicht in die Märchenwelt? Keine Ahnung. Kommt auch davon, dass ich mich an nichts erinnern kann, was letzen Monat passiert ist. Mache ich mir vielleicht selber etwas vor? Möglicherweise bin ich doch gar nicht Mike. Aber das ist doch wieder der Punkt, an dem ich mich schon tausendmal geklammert habe. Es bleibt dabei: Ein Blick in den Spiegel muss her. Um erst einmal über eine Seite Klarheit zu bekommen. Und das muss sehr bald geschehen.