Читать книгу Ein ganz böser Fehler? - Mike Scholz - Страница 24
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Endlich woanders – Ändert sich jetzt alles für mich? –, In einem Drei-Bettzimmer; und dort in der Mitte, was ich nicht so liebe. Aber ich kann es mir nicht aussuchen, in dem Zimmer liegen schon zwei: Der eine ist über 50 und der andere ungefähr 25, beide scheinen ganz okay zu sein. Der ältere ist sich sicher, dass er diese Woche geht. Keine Ahnung, was er hat oder hatte, er weiß es selbst nicht. Der jüngere hat zuviel gesoffen, hat Leberprobleme. Ist aber nicht geneigt, diesem Alkoholproblem abzuschwören; findet stattdessen, was er schluckt, ist nicht viel. Doch über die beiden kann man herzhaft lachen – soweit man lachen will –, weswegen es nicht so trist ist wie in der ITS.
Kurz nachdem ich angekommen bin, gibt es Mittagessen.
Oje, stelle ich angewidert fest, gegen das in der ITS kann man es ja glatt vergessen. Die blanke Gelegenheit zum Abnehmen. Obwohl – ich habe es doch gar nicht nötig, bin ja eh nur bisschen über sechzig Kilo – oder jetzt vielleicht sogar drunter? –, und das ist ja bei einer Größe von 1,73m absolut nicht viel. Doch was soll's? Da werden wieder Erinnerungen an die Flottenschule wach: Hunger treibt es rein, Ekel runter.
"Samal", frage ich die anderen, "isasEssen immoder gibtsouma wasordentlich?"
"Erwarte nicht zu viel von hier, vor allem, was das Essen betrifft. Da kommst du besser, du verschließt deine Geschmacksnerven", bekomme ich vom Älteren zu hören.
"Oh Scheiße!" Nach nur einer Stunde hier bin ich schon bedient.
*
Nach dem Essen kommt eine Ärztin. – "Guten Tag, ich bin Dr. Christoph", stellt sie sich vor, "die leitende Ärztin hier."
"Guddag. Wiecheess, brauch jawoll niers zuerzähl, ni?"
Sie deutet ein Lächeln an, das verschwindet jedoch sofort wieder für die mitleidige, Vertrauen erheischen wollende Miene; mit ihren ungefähr 55 Jahren, den vollständig ergrauten Haaren und dem schlanken Äußeren wirkt sie so weise und endlich wie Hexe Babajaga, als diese Naschenka in ihr Häusl lockte. In mir sträubt sich alles, ihr die Hand zu reichen. Alles an ihr wirkt so einstudiert, aufgestellt, zu künstlich. Mit Sicherheit sieht sie dies tausendmal am – na gut, nicht am Tag, auch nicht in der Woche, aber zumindest im Jahr. Da ist sie natürlich völlig abgestumpft. Doch vielleicht täusche ich mich, wir werden sehen. Und außerdem – wenn ich ja sowieso nur ein paar Wochen hier bin, dann ist das doch völlig unwichtig.
"Sie sind im Rehabilitationskrankenhaus Großbüchen auf der neurologischen Station", informiert sie mich. – Endlich mal werde ich über etwas informiert! – "Hier werden wir versuchen, Sie wieder aufzubauen, damit Sie in das Stadtleben zurückkehren können. Würden sie mir bitte genau sagen, wie Ihr Unfall passiert ist?"
"Keenahnun! Ich weeß nimma, obaübhaupt eene wa."
"Alles klar. Und was für eine Schulbildung haben Sie?"
"Beufsbidung miAbi. Ichaba Motonschlossr gelent."
"Und, wie soll es bei Ihnen weitergehen?"
"Na eijent-ich wärch jetz as Beteuer in UssA. Dodaisja erstma hinfällch gewoden. Weitnhin habch Leipig ne Tudienlassung fürn Pädagikstudum Fachtung Deutsch/Elisch."
"Oh, dann gehören Sie ja zu der intelligenten Sorte. Haben Sie noch vor, es zu absolvieren?"
Wundern: "Na loisch. Warumdn ni?"
"Hm, hätte ja sein können. Waren Sie schon mal in einem Krankenhaus?"
"Na, afang mite Gebut", fange ich an aufzuzählen, "dann warich ma, alsch viewa, wegn Kellkoppgippim Kanknhaus – das wars." Brauch ja nicht zu wissen, dass ich vor kurzem wegen Tripper einsaß, da bei mir die Penizillinspritze nicht wirkte.
"Haben Sie schon Operationen hinter sich?"
"Na ja hm, iweeßni, obe Kieferhöhöhlenspülung ou dazuzählt. Sonwa keene."
"Gut. Jetzt muss ich Sie mal untersuchen", kündigt sie mir an, nachdem sie sich alles aufgeschrieben hat.Danach teilt sie mir nicht etwa mit, zu welchen Ergebnissen sie gekommen ist, sagt mir nur, dass ich ab heute Abend Cerutil bekomme und morgen die Behandlung losgehe. "Haben Sie eigentlich Kleidung hier?", will sie stattdessen wissen.
"Nee, aberich hoff, da meie Mutter heukomm unwelch mitbingt. Am Telefon hatses zuminst gesach."
"Da kommt sie bestimmt auch. – Ab Sonnabend bin ich für zwei Wochen im Urlaub. Haben Sie noch irgendwelche Fragen?"
Soll ich sie nach den Resultaten der Untersuchung fragen? Andrerseits macht sie auf mich nicht den Eindruck, als würde sie mich ausreichend aufklären wollen. Dann eben ein anderes Mal.
*
Was mache ich nun?, steht die seit ein paar Wochen ewig existierende Frage wieder im Raum. Und wie so oft bleibt mir nur das salomonisches Urteil: Erst mal Lage sondieren.
Was zu meinem Bedauern aber nicht so einfach ist, da meine Brille am Sonntag durch meine eigene Schuld – ich habe mich auf sie darauf gesetzt – kaputtgegangen ist. Von meiner Schwester war sie am Montag zwar mitgenommen worden, aber seitdem hat sich niemand mehr blicken lassen – außer Pia natürlich. Und komischerweise sehe ich hier drin noch schlechter als in der ITS. Ebenso fällt mir das Aufstehen viel schwerer, und bis zum nächsten Locus, an dem man sich festhalten könnte, ist es furchterregend weit. Mir bleibt also nur das Aufrichten. Doch bevor ich beginnen kann, mich abzumühen, geht die Tür auf. Kommt meine Mutter? Zeigt Pia ihr niedliches Antlitz?
Jemand im rosa Kittel erscheint, jemand den ich nicht kenne; und auch die Bedeutung des Kittels ist mir fremd.
"Guten Tag. Ich bin die Physiotherapeutin Frau Miller."
Physiotherapeutin – was soll das sein?
"Ich habe die Aufgabe, mit Ihnen Krankengymnastik zu machen, Sie wieder aufzubauen." Sie lächelt dabei, sieht gut und stabil aus (friedensbereite Amazone), erfrischend. Auch ist sie mir bedeutend sympathischer als die Ärztin. Und mit ihr scherzen scheint man auch zu können.
"Na damaran", bedeute ich ihr. "Dasiegen gehmir nämi offn Gist."
"Morgen geht es erst los. Ich wollte nur mal kommen, um zu sehen, welche Aufgabe auf mich wartet. Und deshalb werden wir mal was probieren."
Sie macht daraufhin Übungen mit mir, die ich schon von der ITS her kenne – deswegen stößt sie manchmal einen Überraschungsjauchzer aus, weil es so gut klappt – und auch einige Übungen, die mir noch nicht geläufig sind. Zum Beispiel soll ich ihr die Hände drücken, einmal mit rechts und einmal mit links. Oder den Daumen und den kleinen Finger zusammenbringen. Oder mich an den Füßen kitzeln.
"Links ist gut", meint sie hinterher, "nur rechts lässt zu wünschen übrig."
"Mit echts habch übest Pobeme, richtsch", kläre ich sie auf.
"Okay. Morgen komme ich wieder. Um 9.00 Uhr. Dann geht es voll los."
"Ich bi schafafSe. Wie schät issn eigetlich?"
Sie schaut auf die Uhr: "15.l0 Uhr. Tschüss."
*
So, und was tue ich nun? Wieder die obligatorische Frage. Durch die Gegend wandeln kann ich nicht, zum Lesen habe ich keine Lust. Meine Mutter müsste ja gleich kommen. Allerdings bis dahin dazuliegen wie fest geleimt, ist auch nicht mein Ding. Also richte ich mich auf im Bett, was soll ich sonst machen.
In der ITS ging das viel leichter vonstatten. Aber das liegt wohl an den hier anwesenden Kuhlen, durch die man sich vorkommt wie beim Klettern an einer steilen Felswand. Trotzdem kann ich aber von hier aus das Fenster richtig sehen und durchgucken. Was hier aber noch uninteressanter ist. Außerdem saß ich dort am Fenster und nicht paar Meter davon entfernt.
*
Nach einiger Zeit – keine Ahnung wie vieler; auf alle Fälle viel zu vieler – gibt es Abendbrot.
"Wie schät issn?", frage ich die attraktive Schwester, die, wie sie mir erzählt hat, Gabi heißt.
"17.00 Uhr. Erwartest du noch jemanden?"
"Eigetich ja, dodas hasich wohl erledit. Meie Muttr wollaut Telfon heu hier offauchn; abes Telefon is kanntich geduldig."
"Na ja, die Besuchszeit ist schon vorbei, aber sie kommt bestimmt morgen. Ich glaube nicht, dass sie dich hier hängenlässt. Sie ist doch deine Mutter."
"Jaa, dasalelelerdings", erwidere ich bedächtig. Denn in mir drin hat sich ein weiteres Puzzleteil von meiner Beziehung zu ihr gefunden: Sie ist so zuverlässig wie eine Boa, welche dem Kaninchen erklärt, dass sie es nicht fressen wird. Und scheinbar will sie dieser Offenbarung Nahrung geben, auf dass sie sich noch tiefer in mein Hirn einpflanzt. Auf jeden Fall bin ich jetzt äußerst missgelaunt.
"Kurz, bevoch hekam", erzähle ich nun Gabi, obwohl es mir scheint, als wenn die Zeit in der ITS Lichtjahre weit weg liegt, "wolle sesich undingt steiten. Meie Schwestr haf dalei. Irgendn – irgendeen Wort sollch sagt ham, was abr ni der Wikichkeit entspach. Logischrweis liessch mi dani gefalln. Und so sindse dann eben wüten abzogn."
"War das echt nötig?", will sie wissen.
"Ja, dennan dafja schließich ni vonner Rangfo-fo-folge ab-wei-ch-ch-en. Also musstichn zeign, wosanggeh. Voallm, daichm Recht war."
"Du bist wohl nicht immer im Recht?"
"Kansei, abr behalt es für dich."
Sie lacht: "Muss ich mir noch überlegen. – sage mal, hast du eigentlich Anziehsachen?"
Ich schüttle den Kopf.
"Also möchtest du dich ihr gegenüber ein bisschen beherrschen. Denn hier brauchst du welche."
"Aalsoer Leisatz: Enwedr du bis fo-fogsam, einjedn Mis, dench befehl, ausfühen Sonn oder du kommt keene Sachn. Isso?"
"Da gibt es schon andere Möglichkeiten. Nur glaube ich, du kannst jetzt keinen zusätzlichen Ärger gebrauchen, hast ja schon genug mit dir zu tun. – So, nun aber guten Appetit!", wünscht sie mir, bevor ich noch Weiteres sagen kann.
Ich beäuge das Abendbrot erst einmal. – Gut, dass ich mir in der ITS was angemampft hab. Denn was ich hier angeboten kriege, ist der reinste Fraß. Tote Oma scheint hier das Hauptgericht zu sein, sie ist dreimal auf dem Teller. Ich bin aber kein Mitglied vom diesem Fanklub.
*
Nach einer Weile kommt Gabi wieder.
"Kanni Naschlag ham?", frage ich sie.
"Du hast doch noch zwei Scheiben drauf, iss doch die erst mal."
Ich verziehe angewidert das Gesicht: "Willt mi vergifn? So schnellaste aalso die Nase voll vommer."
Sie fängt an zu lächeln, folglich kann sie verstehen, worauf ich hinaus will: "Tut mir leid für dich, aber wir haben nichts anderes da. Also: Essen oder hungern?"
"Hungern."
Sie ergreift Schulter zuckend meinen Teller und verschwindet.
*
Ich habe noch ein bisschen gelesen, jetzt aber die Augen zugemacht, allerdings ohne gleich einschlafen zu können. Muss mir itzo eingestehen, dass ich wahrscheinlich nicht verarscht werde, dass es wirklich einen Unfall gegeben haben muss. Nur – ich kann mich nicht daran erinnern! Doch eine Chance bleibt mir noch: Vielleicht bin ich gar nicht Mike Scholz. Doch wer bin ich dann?? Auf jeden Fall einer, der beschissen dran ist. Kann nicht laufen, schlecht sprechen, den Körper schlecht bewegen ... Doch wie komme ich dann in den Körper? Reingeschlüpft? Blödsinn. Ich muss mal in den Spiegel gucken. Will ich das wirklich? Ja, ich will! Ich will Klarheit haben! Ich muss in den ...