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5. Materielle Rechtmäßigkeit

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Über die Wahrung der formellen Rechtmäßigkeitsanforderungen (Rn. 103 ff.) hinaus muss der Verwaltungsvertrag ebenfalls seinem Inhalt nach mit der Rechtsordnung in Einklang stehen.[210] Die im Zivilrecht bestehende Vertragsfreiheit gibt es im öffentlichen Recht nicht. Dass der Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes (Rn. 18 ff.) auch insoweit gilt, ergibt sich einfachgesetzlich wiederum aus § 54 S. 1 VwVfG a.E., der allgemein von „entgegenstehenden Rechtsvorschriften“ spricht und sich damit nicht nur auf die Handlungsform „Verwaltungsvertrag“ bezieht (vgl. Rn. 102).

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I.S.v. § 54 S. 1 VwVfG a.E. dem Vertragsinhalt „entgegenstehende Rechtsvorschriften“ sind zum einen im Hinblick auf bestimmte Arten von Verwaltungsverträgen in den §§ 55 und 56 VwVfG enthalten (Rn. 109 f.). Zum anderen können sich auch aus dem jeweils einschlägigen Fachrecht, aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen (v.a. Ermessen, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) sowie den Grundrechten und dem Europarecht Einschränkungen im Hinblick auf den zulässigen Inhalt des Verwaltungsvertrags ergeben. Ob die derart begrenzte Gestaltungsfreiheit der Verwaltung dadurch erweitert werden kann, dass der Bürger im Vertrag behördlichen Eingriffen in seine subjektiv-öffentlichen Rechte zustimmt, die ansonsten nicht zulässig wären, wird unterschiedlich beurteilt. Nach Maurer/Waldhoff[211] sei ein derartiger Verzicht von (Grund-)Rechten des Bürgers (z.B. aus Art. 13 GG) auch in verwaltungsvertraglicher Form jedenfalls insoweit möglich, als der Bürger befugt ist, über die fragliche Rechtsposition zu disponieren (was dann der Fall ist, wenn diese ausschließlich seinen Interessen zu dienen bestimmt ist) und der freiwillig erklärte Rechtsverzicht im konkreten Fall nicht gegen das Koppelungsverbot des § 56 Abs. 1 S. 2 VwVfG verstößt (so aber z.B. die Verknüpfung der Erteilung eines Baudispenses nach § 31 Abs. 2 BauGB mit der Begleichung von noch ausstehenden Steuerschulden).

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Spezielle Anforderungen an den Inhalt von bestimmten Arten von Verwaltungsverträgen enthalten die §§ 55 und 56 VwVfG. Gemeinsam ist beiden Vorschriften, dass sie tatbestandlich an das Vorliegen eines Vertrags i.S.v. § 54 S. 2 VwVfG anknüpfen. Gemeint sind damit solche Verwaltungsverträge, die die Behörde mit demjenigen schließt, an den sie sonst den Verwaltungsakt richten würde, d.h. zu dem sie in einem Über-/Unterordnungsverhältnis steht (daher auch sog. subordinationsrechtlicher[212] Vertrag; z.B. Vertrag zwischen der Polizei und dem Pflichtigen über die Beseitigung eines ordnungswidrigen Zustands). Erfüllt ist diese Voraussetzung nach h.M.[213] allerdings nicht erst dann, wenn der Behörde bei konkreter Betrachtungsweise eine Verwaltungsaktbefugnis zustünde, d.h. sie die Regelung mit genau demselben Inhalt durch Verwaltungsakt treffen dürfte; vielmehr reicht es aus, wenn bei abstrakter Sichtweise der Gegenstand der vertraglichen Regelung so oder ähnlich auch einer Regelung durch Verwaltungsakt gegenüber dem Vertragspartner zugänglich wäre (siehe Übungsfall Nr. 2). Demnach gilt § 54 S. 2 VwVfG für alle Verträge zwischen einer Privatperson und einem Träger der öffentlichen Verwaltung auf einem Gebiet, auf dem ein hoheitliches Verhältnis der Über-/Unterordnung besteht (vgl. Rn. 25).

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Soll mit dem subordinationsrechtlichen Vertrag (Rn. 109) eine bei verständiger Würdigung des Sachverhalts[214] oder der Rechtslage bestehende Ungewissheit durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt werden, so „kann“ ein solcher Vergleichsvertrag gem. § 55 VwVfG geschlossen werden, wenn die Behörde den Abschluss des Vergleichs zur Beseitigung der Ungewissheit nach pflichtgemäßem Ermessen für zweckmäßig hält.[215]


Eine Ungewissheit über den Sachverhalt i.S.v. § 55 VwVfG liegt vor, wenn ein unverhältnismäßiger Klärungsaufwand zu betreiben wäre und es im Hinblick auf die objektive Bedeutung für die Sache und ihre subjektive Bewertung durch die Beteiligten nach pflichtgemäßem Ermessen vertretbar und zweckmäßig ist, auf eine Klärung zu verzichten.[216] Eine Ungewissheit über die Rechtslage i.S.v. § 55 VwVfG ist gegeben, wenn die Anwendbarkeit oder die Auslegung der entscheidungserheblichen Normen zweifelhaft ist, etwa wenn eine eindeutige höchstrichterliche Rechtsprechung fehlt oder der Aufwand für die Klärung der Rechtsfrage außer Verhältnis zu ihrer Bedeutung stünde.[217]

Aus dieser Zielsetzung folgt, dass sich die Ungewissheit (z.B. bzgl. des Bestehens einer Abgabenpflicht) und das Nachgeben (z.B. Teilzahlung durch den Bürger, Teilerlass durch die Verwaltung) auf ein und denselben Punkt beziehen müssen. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so vermag ein Vergleichsvertrag auch solche Leistungspflichten zu begründen, deren Inhalt der Gesetzeslage (teilweise) widersprechen („Privileg gesteigerter Unempfindlichkeit gegenüber Gesetzesverletzungen“[218]).

Hinweis

„Der Vergleichsvertrag […] wirft solange keine […] Probleme auf, wie die vertragliche Übereinkunft nur die wahre Rechtslage deklaratorisch wiedergibt. Schwieriger zu beurteilen sind die Fälle, in denen der Vertrag eine gesetzesinkongruente Rechtslage statuiert. Schlösse man solche konstitutiven Regelungsgehalte aus dem Anwendungsbereich des Vergleichsvertrags aus, so würde er viel von seiner Attraktivität als Mittel der gütlichen Streitbeilegung einbüßen. Ließe man Absprachen contra legem hingegen unbeschränkt zu, ergäben sich erheblich rechtsstaatliche Bedenken. Der (rechtmäßige) Vergleichsvertrag bewegt sich daher auf dem Grat zwischen rechtsstaatlicher Gesetzesbindung und einem der zivilrechtlichen Vertragsautonomie vergleichbaren Handlungsspielraum der Exekutive.“[219]

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Verpflichtet sich der Vertragspartner der Behörde im subordinationsrechtlichen Vertrag (Rn. 109) zu einer Gegenleistung, so kann dieser Austauschvertrag gem. § 56 VwVfG dann geschlossen werden, wenn die Gegenleistung für einen bestimmten Zweck im Vertrag vereinbart wird und der Behörde zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben dient. Die Gegenleistung muss den gesamten Umständen nach angemessen sein und im sachlichen Zusammenhang mit der vertraglichen Leistung der Behörde stehen (Koppelungsverbot, z.B. Verpflichtung der Behörde zur Erteilung einer Baugenehmigung unter Befreiung von der Pflicht zur Schaffung der erforderlichen Einstellplätze, wenn der Bürger 50 000 € für den Bau des nahegelegenen Parkhauses – nicht aber etwa: eines städtischen Seniorenzentrums – zahlt; siehe Übungsfall Nr. 2). Besteht auf die Leistung der Behörde ein Anspruch, so kann nur eine solche Gegenleistung vereinbart werden, die bei Erlass eines Verwaltungsakts Inhalt einer Nebenbestimmung nach § 36 VwVfG sein könnte (Rn. 77 ff.; z.B. Verpflichtung der Behörde zur Erteilung einer Betriebsgenehmigung bei gleichzeitiger Verpflichtung des Fabrikanten zur Einhaltung bestimmter Lärmschutzmaßnahmen). Mit diesen in § 56 VwVfG[220] verankerten Einschränkungen verfolgt der Gesetzgeber einerseits das Ziel, einen „Ausverkauf von Hoheitsrechten“ zu verhindern. Andererseits soll der Bürger vor behördlichen Forderungen nach ungerechtfertigten Gegenleistungen geschützt werden. Die synallagmatische Leistungspflicht der Behörde muss nicht ausdrücklich im Vertragstext erwähnt werden, sondern kann auch stillschweigend vereinbart werden (hinkender Austauschvertrag, siehe Übungsfall Nr. 2).

JURIQ-Klausurtipp

Die materielle Rechtmäßigkeit eines Austauschvertrags ist gem. § 56 Abs. 1 VwVfG wie folgt zu prüfen: Die Gegenleistung des Vertragspartners der Behörde muss

1. im Vertrag für einen bestimmten Zweck vereinbart werden;
2. dieser zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben dienen;
3. den gesamten Umständen nach angemessen sein und
4. im sachlichen Zusammenhang mit der vertraglichen Leistung der Behörde stehen (Koppelungsverbot).

Sofern auf die Leistung der Behörde ein Anspruch besteht, kann gem. § 56 Abs. 2 VwVfG zudem

5. nur eine solche Gegenleistung vereinbart werden, die bei Erlass eines Verwaltungsakts Inhalt einer Nebenbestimmung nach § 36 VwVfG sein kann.
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