Читать книгу Allendas - Nadine T. Güntner - Страница 11
Kalerid II
ОглавлениеKalmog rannte, als ginge es um sein Leben (was aus seiner Sicht auch nicht allzu abwegig war). Er hatte den Rückweg in weniger als zwanzig Kils zurückgelegt. Hätte ihn jemand gesehen, wäre er wohl auf den Gedanken kommen, eine ganze Horde wilder Waldmenschen wäre hinter ihm her. Tatsächlich jedoch war weit und breit kein Verfolger zu sehen.
Als er sich dem Waldrand näherte und bereits die ersten Sonnenstrahlen von der Lichtung durch die Bäume fallen sah, verlangsamte er seine Schritte. Während er schwer nach Luft rang, geriet er mit sich selbst in Zwiespalt. Die Furcht, die ihm im Nacken saß, trieb ihn weiter, hinaus aus dem Wald, in dem unsichtbare Kreaturen mit tödlichen Waffen auf ihn lauerten. Doch der Gedanke, auf Kalerid zu treffen und ihm berichten zu müssen, dass ihnen der König entkommen war, entsetzte ihn nicht weniger.
Für einen Moment dachte der Sellag daran, nach Norden oder Süden auszuweichen und entlang des Waldrandes das Weite zu suchen, aber seinen Gedanken in die Tat umzusetzen, kam ihm nicht in den Sinn. Er war allein und er wusste nicht, wo er hingehen sollte. Sellag waren keine Einzelgänger, sie traten nie alleine auf, denn nur in der Gruppe fühlten sie sich stark. Kalmog hätte nicht gewusst, was er alleine tun sollte.
Dann schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass er Kalerid einfach belügen könnte. Er könnte seinem Heerführer sagen, dass er den Gefangenen getötet hatte. Aber er verwarf auch diese Idee schnell, denn Kalerid hatte den Kopf des Königs verlangt und er würde kaum eine Ausrede finden, die glaubhaft erklärte, warum er dem Befehl seines Herrn nicht entsprochen hatte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich seinem Schicksal zu stellen und zu hoffen, dass Kalerid Gnade gegenüber seiner Feigheit walten lassen würde.
Noch atemlos und mit hängender Zunge stapfte Kalmog nun bedächtig der Lichtung entgegen und trat bald aus den Bäumen heraus in das rötliche Licht der sinkenden Nachmittagssonne.
Kalerid musterte seinen Truppenführer neugierig, als er ihn auf sich zukommen sah. Der neue Herrscher von Allendas hatte sich im Schatten eines der Pferdefuhrwerke auf einem reich verzierten Teppich niedergelassen, der einst als wertvoller Wandbehang gedient hatte, und ließ sich von Marek den mitgebrachten Proviant offerieren.
Die anderen Sellag hatten sich um ihn herum ins Gras gesetzt. Sie hatten ein Lagerfeuer entfacht, über dem ein Feldhase hing. Davon wimmelt es auf der Wiese geradezu. Sie hatten gleich ein Dutzend davon erlegt, denn es war erstaunlich leicht gewesen, sie zu fangen und ihr Fleisch schmeckte den Sellag besser, als das der zähen Bergziegen, von denen sie sich bisher ernährt hatten.
»Was ist los, Kalmog? Warum lässt du den Kopf hängen? Hat ein Anderer dir die Trophäe abgenommen?«, rief Kalerid seinem Truppenführer lachend entgegen und ließ ein großes Stück gebratenes Fleisch in seinem Mund verschwinden.
Kalmog überwand die letzten Schritte, die ihn von der Gruppe trennten, und ließ sich ehrerbietend vor Kalerid auf die Knie sinken.
»Ich wünschte, es wäre so, Majestät.« Mit gesenktem Kopf bereitete er sich auf sein Geständnis vor. »Bedauerlicherweise ist uns der König entkommen.«
Wie erwartet, verfinsterte sich Kalerids Blick sogleich. Er warf die Keule achtlos beiseite, Marek direkt ins Gesicht, dann sprang er mit einem Satz auf seine Hinterbeine. »Wie konnte das geschehen? Wie konntet ihr den Menschen entwischen lassen?«, grollte er und trat dabei auf Kalmog zu.
Vorsichtig hob dieser den Blick und der lodernde Zorn in den gefährlich blitzenden Augen seines Herrn ließ in erzittern.
»Uns trifft keine Schuld, Majestät«, wimmerte er. »Wir wurden unerwartet angegriffen. Es waren Dutzende und sie waren uns weit überlegen. Sie haben alle anderen Truppenführer getötet. Nur mit Glück konnte ich entkommen.« Kalmog vertrat die Ansicht, dass es seiner Lage nicht schaden konnte, ein wenig zu übertreiben. Zudem beschloss er vorsichtshalber, zu verschweigen, dass er zuvor die Hälfte der Truppenführer in blinder Gier selbst niedergestreckt hatte.
»Wer hat euch überfallen?«, fragte Kalerid weiter.
Kalmog schüttelte verzweifelt den Kopf. »Ich weiß es nicht, Herr. Ich konnte sie nicht sehen«, jaulte er und spürte, wie ihm kalter Schweiß auf die Stirn trat.
»Du weißt, dass es Dutzende waren, aber du hast sie nicht gesehen?«, zischte der Heerführer misstrauisch und beugte sich näher an Kalmog heran, um ihn mit stechendem Blick zu mustern.
Kalmog senkte wieder sein Haupt. Er konnte dem durchdringenden Blick Kalerids nicht länger standhalten. Er fühlte sich in die Enge getrieben und die Angst um sein Leben ließ seine Stimme beben. »Sie haben sich verborgen. Keiner von uns konnte sie sehen, aber ihre Pfeile waren überall. Es müssen eine Unmenge gewesen sein.«
»Schweig, du elender Lügner!«, fauchte Kalerid. Er hatte genug von dem Gewinsel. Der König war entkommen und nur das was ausschlaggebend. Was mit seinen Truppenführern geschehen war, war ihm egal. Sie waren überschätzte Schwächlinge, soviel war ihm jetzt klar, und er würde sie ersetzen müssen. Aber auch das war jetzt zweitrangig; er wollte den Kopf des Königs.
Kalmog war bei Kalerids Worten zusammengezuckt. Er duckte sich nun noch mehr in das Gras und hoffte darauf, dass sich unter ihm ein Loch auftun würde, in dem er verschwinden konnte. Seine Befürchtung, dass Kalerid keine Gnade mit ihm walten lassen würde, verfestigte sich immer mehr. »Majestät, ich werde alles tun, um Eure Wünsche zu erfüllen. Gebt mir ein paar Krieger und ich werde Euch nicht nur den König, sondern auch die Kreaturen, die Eure Männer getötet haben, bringen«, bettelte er, in dem elendigen Versuch, Kalerids Zorn zu besänftigen. Doch damit steigerte er die Wut des Heerführers nur noch mehr.
Er umfasste Kalmogs Hals mit festem Griff und zog den stämmigen Truppenführer auf die Füße.
»Du hattest deine Gelegenheit«, zischte er dem zitternden Sellag ins Gesicht, »und du hast sie verspielt. Eine weitere wirst du nicht bekommen.«
Kalerid entblößte seine Reißzähne und ohne eine weitere Vorwarnung versenkte er sie tief in Kalmogs Hals. Dem Truppenführer entfuhr ein letzter, schriller Schrei, dann sackte er in sich zusammen. Kalerid ließ ihn los und Kalmogs Körper sank leblos zu Boden. Mit weit aufgerissenen, glasigen Augen und zerfetzter Kehle lag der Sellag im Gras.
Für einen kurzen Augenblick hatte Kalerid das befriedigende Gefühl, Vergeltung geübt zu haben, aber es hielt nicht lange an, denn sein Ziel hatte er dadurch noch nicht erreicht. Die anderen Sellag hatten sich, während der makaber geendeten Unterhaltung zwischen dem Heerführer und Kalmog, ein Stück zurückgezogen und hockten nun schweigend zusammen. Wenn sie auch nicht zimperlich waren, so wussten sie doch, dass nun ein Moment gekommen war, in dem es von Vorteil war, nicht unnötig aufzufallen.
In einer geschmeidigen Bewegung wandte Kalerid sich um und sein Blick fiel geradewegs auf Marek.
»Du... », Er deutet mit einem langen Finger auf seinen Lakaien und dieser erhob sich hastig, »du wirst den König verfolgen und mir seinen Kopf bringen. Wähle dir einen Trupp aus den anwesenden Kriegern aus und dann zieht los. Kommt nicht eher wieder, bis ihr ihn gefunden und getötet habt. Wenn es dir gelingt, werde ich dich zu meinem Stellvertreter ernennen. Die anderen werde ich reich belohnen. Solltet ihr allerdings versagen, dann werdet ihr das Schicksal mit diesem Feigling teilen, sofern ihr es wagt, mir nochmals lebend unter die Augen zu treten.«
Mareks Blick irrte zwischen dem toten Kalmog, dessen Blut langsam im Gras versickerte, und Kalerid, der ihn um ein ganzes Stück überragte und mit lodernden Augen auf ihn herabstarrte, hin und her. Das erste Gefühl, das Marek durchschoss, als er die Worte seines Herrn vernahm, war blankes Entsetzen. Doch schnell folgte Stolz und letztendlich kroch auch Mareks Mut wieder aus der hinteren Ecke seiner Eingeweide hervor, wo er sich instinktiv versteckt hatte. Endlich war seine Zeit gekommen. Lange hatte er ergeben und aufopferungsvoll dem Herrscher gedient und nun bekam er die Gelegenheit, für all seine Mühen und Entbehrungen angemessen entlohnt zu werden. Er musste nur noch diese letzte Hürde überwinden.
Marek war kleiner als die meisten Sellag, aber er war zäh. Zudem war er klüger und handelte bedachter, als die anderen Angehörigen seines Volkes. Das wusste auch Kalerid, und diese Eigenschaften würde er sich zum Vorteil machen.
»Ich werde Euch nicht enttäuschen, Herr«, sagte Marek und verbeugte sich tief. Kalerid nickte zufrieden. »Das hoffe ich für dich!«
Bald hatte Marek sieben Krieger ausgewählt, die ihn begleiten würden. Kalerid gewährte ihnen einen Teil des Proviants und eine angemessene Anzahl an Waffen. Ungefähr zwanzig Kils später zogen sie in den Wald hinein, um die Spuren des Königs und der gescheiterten Truppenführer zu verfolgen.
Kaum, dass Marek und seine Krieger zwischen den Bäumen verschwunden waren, gab Kalerid den Befehl, den Rückweg nach Alland Pera anzutreten. Er konnte nicht noch länger untätig an diesem Ort herumsitzen, und schon gar nicht konnte er bis zu Mareks Wiederkehr warten. Es gab noch andere, und vielleicht sogar weitaus wichtigere Angelegenheiten, um die es sich zu kümmern galt.