Читать книгу Allendas - Nadine T. Güntner - Страница 12
Marek I
ОглавлениеBedächtig setzten sie einen Schritt vor den anderen. Marek schritt voran und seine Krieger folgten ihm weit verstreut und in einigem Abstand. Marek hatte sie angewiesen, ihre Blicke umherschweifen zu lassen, damit ihnen nichts entgehen würde, was sie auf die Spur des Menschen bringen konnte. Da Sellag keinen ausgeprägten Geruchssinn vorweisen konnten, mussten sie sich auf das verlassen, was sie mit ihren dafür umso schärferen Augen zu sehen vermochten.
So folgten sie den Pfaden, die von den Truppenführern vor kurzem in das Unterholz getrampelt worden waren und es dauerte nicht lange, da erreichten sie die Stelle, an der sich die ersten beiden Sellag gegenseitig umgebracht hatten. Da nichts zu erkennen war, was darauf schließen ließ, dass ihr Ableben von dem Zutun der geheimnisvollen Fremden herrührte, zogen die Krieger weiter.
Wenig später fanden sie den dritten, von Kalmog erschlagenen Truppenführer, kurz darauf den vierten. Als sie schließlich auch den Sellag mit dem zerschmetterten Schädel und dann Kalmogs letztes Opfer hinter sich gelassen hatten, waren sie mit ihren Erkenntnissen noch keinen Schritt weiter. Doch zumindest blieb ihnen die Gewissheit, dass sie sich noch immer auf dem richtigen Weg befanden.
Nun erreichten sie den Ort, an dem sie die Leichen von Kornos und den beiden letzten Truppenführern fanden und zum ersten Mal begann Marek zu glauben, dass es sich bei Kalmogs Schilderung nicht nur um eine Lüge gehandelt hatte. Er zog Korin den kurzen, aber kräftigen Pfeil aus dem Rücken und betrachtete ihn genau. Die Machart dieses Geschosses war ihm völlig unbekannt und es wurde ihm schlagartig bewusst, dass sie möglicherweise wirklich nicht allein in diesem Wald waren, auch wenn Kalmog mit den Angaben zur Anzahl und Stärke der Gegner eindeutig übertrieben zu haben schien.
Jetzt sahen sich Marek und seine Gefolgsleute einem neuen Problem gegenüber: An dieser Stelle riss die Spur ab. Es gab keine weiteren Anhaltspunkte, in welche Richtung der König gelaufen sein konnte. Egal, wie weit Marek seine Krieger ausschwärmen ließ und ganz gleichgültig, wie sorgfältig sie jedes Barret des Waldbodens absuchten, sie fanden nichts, was ihnen weiterhalf.
Mittlerweile war der Abend vorbeigezogen und die Nacht hereingebrochen. War der Wald bisher nur düster gewesen, so war es nun so finster, dass sie kaum ihre Hände vor Augen sehen konnten.
Marek sah sich gezwungen, eine Entscheidung zu treffen. Es widersprach seinem Instinkt und seiner Gier, die Verfolgung für diesen Tag aufzugeben und auszuharren, bis die Sonne wieder aufging. Außerdem würde er dem König damit die Gelegenheit geben, seinen Vorsprung noch weiter auszubauen. Andererseits schien es Marek zu gefährlich, seine Männer weiterhin ausschwärmen zu lassen, denn in der schwarzen Dunkelheit waren sie den verborgenen Feinden schutzlos ausgeliefert. Daher rief er die Krieger zusammen und befahl, dass sie gemeinsam weitergehen würden. Einige seiner Gefolgsleute murrten. Es war ihnen nicht wohl bei dem Gedanken, in der Schwärze der Nacht und vor den (möglicherweise sehr viel besseren) Augen der unsichtbaren Feinde durch den Wald zu marschieren. Aber Marek blieb unnachgiebig und so blieb ihnen nur zu hoffen, dass die Bogenschützen im Dunklen ebenso wenig sehen konnten, wie sie selbst.
Marek bestimmte die Richtung und ging voran. Er hatte sich entschlossen, ein wenig nach Süden abzuweichen, denn dort war, soweit er es erkennen konnte, der Wald ein wenig lichter und die Bäume standen nicht ganz so dicht beieinander. Auch war das Unterholz nicht so hoch. Der König würde wohl den einfachsten Weg gewählt haben.
So kämpften sich die Sellag stolpernd und knurrend Schritt für Schritt voran und sahen kaum den Waldboden unter ihren Füßen. Sie bückten sich tief zu Boden und liefen zumeist auf Händen und Füßen, in dem aussichtslosen Versuch, eine Spur des entflohenen Königs zu finden. Die Zeit verstrich erbarmungslos.
Als die Sonne am Ende des nächsten Tages unterging, hatten auch die Zähesten der Sellag-Krieger den Mut verloren. Sie litten an Hunger und Müdigkeit. Marek gestattete ihnen, ihren Durst an den dünnen Rinnsalen oder kleinen Bächen zu stillen, die den Wald kreuzten, aber er gestand ihnen keine Rast zu. Der Proviant, den sie mitgenommen hatten, war bereits jetzt fast völlig aufgebraucht und sie würden bald verweilen müssen, um etwas Essbares zu erlegen.
Marek stampfte mit der Entschlossenheit eines Verzweifelten voran. Es hatte sich bereits früh, schon als die ersten Sonnenstrahlen nur dürftig den Wald erhellten, abgezeichnet, dass er wohl den falschen Weg gewählt hatte. Weit und breit gab es keine Spuren, die auf den Verbleib des Königs hingewiesen hätten. Zu allem Unglück hatte Marek im Laufe der Nacht in der unbekannten Umgebung und dem ungewohnten Gelände gänzlich die Orientierung verloren. Sie hatten mehrfach die Richtung gewechselt und trotzdem hatte der Sellag das Gefühl, im Kreis gelaufen zu sein.
Als das rare Sonnenlicht, das durch die wenigen Lücken der Äste fiel, bereits wieder fahler wurde, hatte auch eine hinterlistige und falsche Kreatur wie Marek einmal Glück. Er war kurz davor, das Unternehmen für diesen Tag abzubrechen und einen Lagerplatz für die Nacht zu suchen, als er den Klang heller Stimmen vernahm. Sie konnten nicht weit entfernt sein. Seinen Kriegern entgingen sie ebenfalls nicht und ein aufgeregtes Gemurmel machte sich unter den Sellag breit. Marek deutete ihnen, zu schweigen. Dann pirschten sie sich so leise, wie es ihnen möglich war, heran.
Bald erspähten sie ein Lager, dessen braune und grüne Zelte sich so unauffällig dem Walde anpassten, dass es den Sellag wahrscheinlich entgangen wäre, hätten seine Bewohner nicht unbekümmert gesungen und gelacht.
Sie schlichen sich noch ein wenig näher heran. Nahe genug, dass sie sehen konnten, was in der Mitte des großen Zeltkreises vor sich ging. Geduckt hinter Bäumen und Sträuchern, spähten die Sellag gebannt durch die Lücken zwischen den Zelten, aber den König entdeckten sie nicht.
Doch gerade, bevor in Marek auch noch der letzte Funke Hoffnung erlöschen konnte, betrat der Gejagte plötzlich den Platz. Gefolgt von einem der merkwürdig gekleideten Lagerbewohner, ließ sich der »König« neben dem vermeintlichen Anführer der Lagerbewohner zum Essen nieder.
Marek stieß einen fauchenden Laut der Freude aus, als er ihn erblickte. Er fühlte sich seinem Ziel näher, als jemals zuvor (was er zugegebenermaßen in diesem Moment auch war). Nur noch ein paar Meter und mehrere Dutzend der fremden Kreaturen trennten ihn von der Belohnung für all das, was er in seinem Leben hatte erdulden müssen. Beflügelt von seinen hoffnungsvollen Aussichten, schmiedete er seinen Plan und deutete seinem Gefolge, bis zum Einbruch der Nacht auszuharren.