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Hondor IV

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Als durch die kleinen, vergitterten Fenster des Kerkers zu erkennen war, dass über Alland Pera ein neuer Tag anbrach, kamen die Sellag-Wachen mit schweren Eisenketten, mit denen sie die Gefangenen zu einer langen Reihe zusammenketteten. Die Menschen bekamen Hand- und Fußfesseln, die es ihnen ermöglichten, zu laufen, aber jeden Gedanken an Flucht unterbanden. Dann wurden sie hinauf in den Hof geführt.

Unruhe und Angst kamen auf, als man sie durch die langen, schmalen Gänge stieß. Sie fürchteten, dass man sie nun zu ihrer Hinrichtung bringen würde und Hondor konnte hören, wie hinter ihm Gebete und Bitten an Hembras gemurmelt wurden, bis ein lauter Aufschrei der befehlshabenden Wache jedes Geräusch verstummen ließ. Dann waren nur noch das Rascheln der Ketten und das Geräusch mühevoller Schritte in den feuchten, unbeleuchteten Gängen zu vernehmen.

Hondor wusste, was sie jetzt erwarten würde, aber er konnte auch nichts tun, um seine Landsleute zu beruhigen. Kalerid würde ihnen nichts antun, schließlich brauchte er ihre Arbeitskräfte. Er würde sie nach Elland bringen lassen und, wenn er ehrlich war, erwartete Hondor das Kommende mit gemischten Gefühlen. Er fürchtete das, was Kalerid nun seinen Leuten antun würde, zu welchen Schindereien er sie zwingen und mit welchen Mitteln er sie zum Arbeiten antreiben würde, aber er war auch neugierig darauf, ob sie den Muteral wirklich finden würden, ob es den Schatz tatsächlich gab. Gegen diese Neugier konnte er nichts tun, auch wenn ihn zeitgleich sein schlechtes Gewissen plagte.

Im Hof erwarteten sie bereits einige angespannte Pferdefuhrwerke. Hondor erkannte sie wieder. Es waren die Karren, die für gewöhnlich benutzt wurden, wenn er mit seinem Gefolge zu einer Treibjagd ausritt. In ihnen wurde die Hundemeute transportiert, damit sie sich nicht schon vor der eigentlichen Jagd müde gelaufen hatte. Zu diesem Zweck waren große, eiserne Zwinger auf der Ladefläche angebracht, deren Türen nun weit offen standen, und dort hinein zwangen die Sellag ihre Gefangenen. Da Hondor an der Spitze der Reihe lief, musste er als Erster einsteigen, danach folgten Zorina und einundzwanzig weitere Gefangene. Am Schluss war der Zwinger zum Bersten gefüllt und Hondor wurde unsanft an die eisernen Gitterstäbe gedrückt.

Den Sellag wurde allerdings klar, dass sie sich verschätzt hatten, denn mindestens die Hälfte der Gefangenen wartete noch auf dem Hof. So sahen sie sich gezwungen, weitere Wagen herbeizuholen, wobei Hektik ausbrach, denn Kalerid würde bald den Hof betreten. Er schätzte Verzögerungen nicht besonders. Während zwei weitere und damit auch die letzten Handwagen auf den Hof gebracht wurden, trat Kalerid, gefolgt von Rofin, durch das Hauptportal und begutachtete das Tun seiner Männer. Er schien sich nicht sonderlich an der Verzögerung zu stören, denn sie war nicht von langer Dauer. Als Kalerid sein Pferd bestieg, wurden bereits die letzten Gefangenen eingeladen und die Türen der Zwinger mit dicken Eisenketten verschlossen.

Hondor spürte einen Stich in seinem Herzen, als er sah, wie Kalerid im Sattel seines gutmütigen Samlas Platz nahm. Niemand außer ihm hatte jemals sein geliebtes Pferd geritten (nicht einmal Herras, dem er es als Einzigem anvertraut hätte) und er konnte sehen, wie unzufrieden das Tier mit seinem Reiter war. Kalerid zog die Zügel zu straff an und stieß die Hacken zu fest in die Seiten des Tieres. Samlas bockte zweimal und bäumte sich auf, schien sich aber schnell mit seiner Lage abzufinden.

Dann kam Kalerid zu Hondor, der ihn durch die Gitterstäbe hindurch zornig anblickte.

»Ihr seid ein ganz hervorragender Reiter«, bemerkte er, während eines Anflugs von Galgenhumor ironisch, als der Heerführer Samlas mühsam neben ihm zum Stehen brachte.

Der Sellag überging die Bemerkung mit hocherhobenem Kopf und sah Hondor mit herablassendem Blick an.

»Du weißt, wohin unsere Reise geht!«, sagte er gelassen. »Also zeig mir den Weg!«

Der König sah ein, dass es wenig Sinn haben würde, sich Kalerids Wunsch zu widersetzen oder ihn auf einen falschen Weg zu leiten, daher schloss er kurz ergeben die Augen, bevor er gedrückt antwortete: »Wenn wir aus dem Schlosshof heraus sind, müssen wir uns nach rechts wenden, dann führt eine kleine Straße den Berg hinab bis zum nördlichen Stadttor. Wenn wir dieses passiert haben, müssen wir uns vorerst nur geradeaus halten.«

Kalerid nickte kurz und ritt an die Spitze des Trupps. Die Sellag hatten zu allen Seiten der Wagen Aufstellung bezogen und der Heerführer hatte dieses Mal all seinen Wachen Pferde zugestanden, denn er wollte so schnell wie möglich Elland erreichen.

Rofin erwartete ihn in der vordersten Reihe. Der neue Lakai fühlte sich sichtlich unwohl auf seinem Pferd. Er hatte Mühe, das Tier ruhig zu halten, als Kalerid mit Samlas neben ihm zu Stehen kam und zerrte verbissen an den Zügeln. Der Heerführer gab ihm einen Schlag zwischen die Rippen, ein überdeutliches Zeichen dafür, dass er sich gefälligst nicht so anstellen sollte.

Kurz darauf hob Kalerid den Arm und fauchte einige Worte in der sellagischen Sprache. Unter Jubel setzte sich der Trupp in Bewegung, dem Schlosstor entgegen.

»Wohin bringen sie uns, Majestät?«, fragte Usadim leise, als das Gespann und der Zug die schmale, gepflasterte Seitenstraße hinunterholperte. Der stämmige Mann saß neben Hondor und sein braunes Haar klebte strähnig in seiner Stirn. Usadim war der Meister der Schlossküche, doch jetzt war er nur noch ein Schatten seiner selbst.

»So darfst du ihn nicht nennen.« warf Zorina flüsternd, aber energisch ein. »Sie dürfen nicht erfahren, wer er ist. Er ist Herras!« Usadim betrachtete sie verständnislos.

Die anderen zusammengekauerten Gefangenen auf dem Wagen musterten die Sprechenden neugierig.

»Ja, mein Name lautet nun Herras«, bestätigte Hondor Zorinas Worte und erklärte das Thema damit für beendet, bevor sie noch die Aufmerksamkeit der Sellag auf sich zogen. Erklären konnte er es vielleicht später. Stattdessen beantwortete er Usadims Frage: »Sie bringen uns nach Elland.«

»Und zu welchem Zweck?«, mischte sich nun eine weitere Stimme ein und unterbrach ihn damit, bevor er seine Erklärungen fortführen konnte. Diese etwas raue Stimme gehörte der alten Kurena, der königlichen Seherin. Hondor hatte sie im Kerker nicht zu Gesicht bekommen und, um ehrlich zu sein, hatte er sie auch nicht sonderlich vermisst. Aus irgendeinem Grund war er davon ausgegangen, dass sie tot war. Und wäre es so gewesen, hätte er ihr auch nicht sonderlich nachgetrauert. Sie hatte als Seherin im Dienste seiner Mutter gestanden. Die Königin hatte Kurena an den Hof geholt und nach ihrem viel zu frühen Tod hatte Hondors Vater sie dort behalten. Hondor hatte sie noch nie sonderlich gemocht. Ihre stechenden, grauen Augen schienen stets unangenehm bis ins Innere seiner Seele zu blicken und trotzdem schien sie selbst fortwährend etwas zu verbergen. Hondors Mutter hatte viel auf ihr Können gehalten, doch Hondor empfand ihr Geschwätz bestenfalls als lästig.

»Weil dort der Muteral verborgen sein soll«, erklärte Hondor ruhig, »Dies müsstet Ihr doch bereits wissen.« Er musterte Kurena abschätzend.

»Muteral? Ihr meint den Schatz?«, fragte Usadim ungläubig und errettete damit Kurena von dem Zwang einer Antwort. »Aber es heißt doch, dass er überhaupt nicht mehr existiert.«

Hondor nickte zustimmend. »Jedoch hat der Heerführer eine Karte, auf dem seine Lage eingezeichnet ist. Er soll unter dem Paratul liegen und dieser Sellag glaubt fest daran, dass er ihn dort finden wird.«

»Und er braucht uns, um die Drecksarbeit zu machen?«, folgerte Zorina richtig.

Hondor nickte erneut. »Ja, das dürfte aber besser sein, als uns sofort zu töten.«

»Doch was wird sein, wenn wir den Schatz tatsächlich finden, oder wenn dieses Biest einsieht, dass er nicht dort ist?«, fragte Zorina.

»Ich habe nicht vor, so lange zu warten, um das herauszufinden«, erwiderte Hondor entschlossen. Er kam nicht dazu, noch etwas hinzuzufügen, denn der Wächter, der dicht neben ihm ritt, war auf ihre Unterhaltung aufmerksam geworden. Knurrend stieß er zweimal mit dem Schaft seines Schwertes fest gegen Hondors Oberarm. Der König verzerrte schmerzerfüllt das Gesicht. Die Gefangenen wussten, dass sie nun zu schweigen hatten. Nur Kurena, die in der Mitte des Wagens saß und somit vor Angriffen von außen am besten geschützt war, wagte es noch einmal, sich näher an Hondor heranzubeugen.

»Habe ich es Euch nicht gesagt? Immer und immer wieder? Aber Ihr wolltet einfach nicht auf mich hören.« Sie klang sehr selbstgefällig und das war in ihrer Lage, die nicht anders war, als die, in der sie sich alle befanden, recht unpassend.

Hondor versuchte zuerst, sie zu überhören, doch der Ärger, der in ihm empor quoll, gewann letztlich doch die Oberhand. »Warum seid Ihr dann hier, wenn Ihr es bereits gewusst habt?«, zischte er sie zornig an.

Die Seherin schwieg angesichts dieses ungehaltenen Ausbruchs. Der König würde sich niemals einsichtig zeigen. Er war wahrhaftig nicht geeignet. Doch sie musste sich eingestehen, dass sie unvorsichtig gewesen war; sie hätte es ebenfalls vorgezogen, nicht gefangen genommen zu werden. Doch in all den Kampfeswirren war es schon allein schwer genug gewesen, darauf zu achten, am Leben zu bleiben. Das Schicksal hatte andere Pläne für sie, das wusste Kurena, und es sah es ganz und gar nicht gerne, wenn man sich nicht an seine Pläne hielt.

Sie hatten bereits vor einer Weile das Nordtor passiert und befanden sich nun auf der geraden, aber etwas hügeligen Straße nach Norden. An ihnen zogen grüne Wiesen und kleine Haine vorbei. Hondor konnte sehen, wie hinter ihnen Alland Pera kleiner und kleiner wurde und es machte ihm das Herz schwer, als er sah, was aus seiner schönen Stadt geworden war. Etwas westlich von Alland Pera, am unteren Rand des Hügels, auf dem die Stadt lag, konnte der König eine dunkle Rauchwolke aufsteigen sehen, aber er konnte sich nicht erklären, wovon sie stammte.

Normalerweise konnte ein geübter Reiter Elland in weniger als viermal fünfzig Kils erreichen, aber der Zug kam nicht annähernd so gut voran. Hondor schätzte, dass sie erst am frühen Abend an ihrem Ziel eintreffen würden.

Auch Kalerid hatte auf ein schnelleres Vorankommen gehofft. Er war zwar ein zäher, wenn auch ungeschickter Reiter, der seinem Gefolge keine Rast gönnte, aber mehrfach brach einem der im Reiten ebenso ungeübten Sellag das Pferd aus und es kostete jedes Mal Zeit, dem Abgeworfenen wieder auf die Beine zu helfen und das Pferd einzufangen. Kalerid wurde über die so entstandenen Verzögerungen mehr und mehr ungehalten.

Bei den Gefangenen rief diese Abwechslung ein wenig Erheiterung in ihrer tristen Trübseligkeit hervor, bis Kalerid drohte, ihnen die Zunge herausschneiden zu lassen. So setzte der Tross die Reise schweigend fort.

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