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Hondor VI / Kalerid III

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Als der Morgen über den Paratul hereinbrach, waberte Nebel um den geschundenen Hügel. Die Arbeiten kamen gut voran, was Kalerid in einen Zustand reinster Euphorie geraten ließ. Beinahe die ganze Nacht hatte er sich persönlich dazu herabgelassen, zwischen den schuftenden Menschen umherzuschreiten und diese bei ihrer Arbeit zu überwachen. Immer mehr Gefangene waren inzwischen hinzugekommen, sodass es um den niedrigen Berg nur so von Menschen wimmelte. Noch nie hatte der Paratul eine solch riesige Menschenmenge um sich herum versammelt gesehen - nicht einmal während des Sommerfestes, das die Zurnamer Bürger jedes Jahr auf dem Hügel veranstalteten, nicht ahnend, auf welch undenkbarem Schatz sie die erste Sommernacht des Jahres durchtanzt haben sollten.

Von dem saftigen Gras, für das Elland bekannt war und das den gesamten Paratul bedeckt hatte, war wenig übrig geblieben. Die wenigen schlanken Bäume und die niedrigen Büsche waren aus dem Boden gerissen worden. Der Untergrund war nur noch eine schlammige Masse.

Erst, als die Nacht beinahe vorüber gezogen war, zog Kalerid sich in das für ihn errichtete Zelt zurück. Zuvor hatte er noch einen Trupp seiner Wachen nach Zurnam geschickt. Sie sollten weitere Schaufeln, Spaten und Pickel aus dem geplünderten Dorf besorgen, um die neu angekommenen Gefangenen damit zu versorgen. Trotzdem reichte die Ausrüstung lange nicht für jeden. Viele mussten gezwungen werden, mit ihren bloßen Händen die nasse, schmierige Erde abzutragen.

Hondor erschien es bereits eine Ewigkeit, die er damit verbracht hatte, seine Hände in die feuchte Erde zu graben und sie nach hinten wegzuschaufeln. Usadim hatten sie befohlen, sie von dort in große Tongefäße zu packen, die er sich mit einem Lederriemen auf den Rücken laden konnte, um sie ein Stück entfernt abzuladen. Die beiden Männer arbeiteten verbissen, aber ihre Kräfte ließen mehr und mehr nach. Hondors Hände waren blutig und die Fingernägel brüchig und abgerissen. Strähnig und stumpf klebten ihm die braunen Haare an der Stirn, seine Kleidung war zerschlissen und starr vor Schmutz. Sein verdrecktes, schweißbedecktes Gesicht hatte verkrustete Schrammen und seine Miene war starr. Er war nicht mehr fähig, irgendeinem Gefühl Ausdruck zu verleihen. Die Schmerzen in seinen Gliedern waren beinahe unerträglich und er fragte sich, wie lange er wohl noch durchhalten mochte.

Zorina kämpfte dicht neben ihm mit sich und dem immer fester werdenden Erdboden. Schwer atmend stützte sie sich auf ihre Schaufel, dankbar dafür, sie zu haben, denn sie verlieh ihr letzten Halt. Ein Stück entfernt hockte Kurena auf dem Boden. Die alte Frau war schon seit einiger Zeit nicht mehr in der Lage, sich auf den Beinen zu halten. Trotzdem ließen die Wachen sie in Ruhe, beachteten sie nicht. Sie hatten schon lange keine Zeit mehr, sich um die Schwachen und Kränklichen zu kümmern, denn die Gruppe ihrer Arbeiter war mittlerweile so groß geworden, dass sie Schwierigkeiten hatten, den Überblick zu bewahren. So schenkten sie ihre Aufmerksamkeit in erster Linie denen, die ihrer Sache am dienlichsten waren, sorgten dafür, dass sie ihre Aufgabe erfüllten. Kalerid hatte angedroht, sich Maßnahmen für diejenigen zu überlegen, die den Anforderungen nicht gewachsen waren, aber auch dies konnte die Meisten nicht zum Weiterarbeiten überreden und so ließ er sie gewähren. Tote hätten nur wieder mehr Arbeit verursacht und seine Pläne verzögert.

Hinter sich hörte Hondor, wie Usadim wieder eine weitere Fuhre Erde ächzend auf seinen breiten Rücken lud. Die Hände des stämmigen Küchenmeisters waren von offenen Blasen übersät und als Hondor über seine Schulter blickte und ihn davonstapfen sah, war sein Gang tief gebeugt.

Hondor wartete seit einiger Zeit darauf, dass seine Gruppe endlich abgelöst werden würde. Er hatte schon bei Sonnenaufgang damit gerechnet. Zwar ließen die Sellag unter ihren Arbeitern Wasser und hin und wieder etwas Brot verteilen, aber bisher gab es noch keine Anzeichen auf ihre Erlösung. Hondor kam zu dem Schluss, dass die Sellag entweder vergessen hatten, die Gruppen abwechselnd arbeiten zu lassen, oder dass sie in ihrer Gier von diesem Plan wieder abgekommen waren. Die schuftende Masse um den Hügel war so groß, dass sich der König kaum vorstellen konnte, dass es noch weitere Gefangene innerhalb des Lagers geben sollte.

Als die Sonne ein Stück den Horizont hinauf gekrochen war, kam dann plötzlich freudiger Aufruhr in die Reihen der Sellag. Die Gefangenen waren zu erschöpft, irgendetwas zum Ausdruck zu bringen, sofern sie überhaupt etwas empfanden; bestenfalls eine Art von Erleichterung über eine kurze Pause.

»Holt Kalerid!«, hörte Hondor die Wachen rufen. »Holt den Heerführer! Das muss er sehen.« klang es zwischen den Sellag.

Hondors Neugier war geweckt. Zwar schmerzten seine Beine, als er sich aus der Hocke erhob und sich ein Stück von seinem Platz entfernte, aber er wollte sehen, was einen solchen Tumult verursachte. Er sah, dass Zorina ihm folgte, wenn auch nur mühsam, und auch Usadim, der gerade eine weitere Ladung Erde davon schleppen wollte, ließ sein tönernes Gefäß auf den Boden sinken und kam ihnen nach. Sie waren einige der wenigen Gefangenen, die sich noch auf den Beinen halten konnten. Die meisten saßen schwer atmend auf dem Boden, dankbar, endlich eine Pause zu bekommen, da die Wachen nun mit etwas anderem beschäftigt waren.

Als Hondor und seine Gefährten den Hügel ein Stück umrundet hatten, stießen sie auf eine ganze Horde Sellag, die sich aufgeregt um etwas scharrten, das sich im oder an dem Hügel zu befinden schien. Zu seinem Bedauern konnte Hondor nicht erkennen, worum es sich handelte, denn die Sellag versperrten ihm den Blick.

»Sie scheinen etwas gefunden zu haben«, flüsterte Zorina ihm zu, als sie endlich zu ihm aufgeschlossen war.

Der König nickte. »Ich möchte wissen, was es wohl sein mag«, entgegnete er und reckte noch ein wenig den Kopf.

Usadim brachte nur ein unartikuliertes Brummen zustande. Dann wurden sie unsanft zur Seite gestoßen.

Kalerid hatte in seinem Zelt einem ausgiebigen Morgenmahl gefrönt. Das lange Umhergehen hatte ihn hungrig werden lassen. Anschließend begab er sich sogleich wieder hinaus. Er konnte wunderbar das Gefühl der Macht und das Prickeln der Vorfreude genießen, wenn er zwischen den arbeitenden Gefangenen stand. Zudem war er sich nur auf diese Weise sicher, dass ihm nichts vorenthalten blieb.

Während der Heerführer zufrieden den Fortschritt der Grabungsarbeiten beobachtete, ließ er sich von Rofin über das, was von den Spähern und Boten aus seinem neuen Reich zusammengetragen wurde, Bericht erstatten. Er hatte eine Nachricht von Marek erwartet, aber diese war ausgeblieben. Kalerid begann, Groll gegen seinen Lakaien zu hegen und er bereute, dass er sich nicht von Anfang an selbst um diese Angelegenheit gekümmert hatte.

Dafür war eine andere, unerfreuliche Nachricht eingetroffen: Zwar war nun beinahe ganz Allendas in der Hand seiner Männer, aber ein verspätet eingetroffener Truppenführer aus einem abgelegenen Gebiet im Norden, den man aus Alland Pera nach Zurnam weitergeleitet hatte, berichtete von einer Festung (einen anderen Begriff dafür kannte er nicht) namens Bernam, die nahe der nördlichen Grenze lag und sich vehement den Eroberern widersetzte. Der Truppenführer konnte nicht genau erklären, um wen es sich handelte, aber sie besaßen eine Festung, in der sie sich verschanzt hielten und waren gut mit Waffen und Rüstungen ausgestattet. Zwar war die gesamte Festung von Sellag-Truppen umlagert, aber es war ihnen noch nicht gelungen, sie einzunehmen. Es würde allerdings nicht mehr lange dauern, versicherte der Truppenführer. Mit ungehaltenen Worten schickte Kalerid ihn wieder zurück und wies ihn an, die Angelegenheit so schnell wie möglich aus der Welt zu schaffen. Der Heerführer war sich nicht bewusst, dass nicht weit entfernt einer der hart arbeitenden Gefangenen nicht weniger interessiert den Berichten aus Allendas lauschte. Hondor konnte die sellagische Sprache nicht verstehen, doch es fielen Namen, die er sehr wohl verstand. Und er konnte aus Kalerids Reaktionen seine eigenen Schlüsse ziehen.

Einige Zeit später wurden plötzlich begeisterte Rufe auf der anderen Seite des Paratuls laut, und einer von Kalerids niederen Untergebenen eilte, tief gebückt, auf den Heerführer zu, um untertänigst um seine Aufmerksamkeit zu bitten. Kalerid gewährte sie ihm und was er hörte, versetzte ihn in schiere Verzückung. Hastig ließ er sich von seinem Untertan zu der Entdeckung führen. Rofin beeilte sich, ihnen zu folgen.

Mit kräftigen Schritten, die tief in der feuchten Erde einsanken, erreichte Kalerid den Fundort und stieß einige umherstehenden Gefangenen beiseite, die er als störend empfand.

Rofin, der die Seite seines Herrn flankierte, rief: »Tretet zur Seite! Macht Platz für den Heerführer!« Auch die aufgeregten Sellag wichen ehrfürchtig zur Seite und gaben Kalerid den Blick auf ihre Entdeckung frei.

Sie war beinahe von enttäuschender Unauffälligkeit, wie der Heerführer feststellen musste, aber sie ließ Großes erahnen. Eine Tür, oder besser ein Loch inmitten des Hügels, ummauert mit groben, wenig behauenen Steinen, um ihm Halt zu geben, offenbarte einen dahinter liegenden Tunnel, dessen Ende sich in tiefster Dunkelheit verlor. Man hatte die Pforte, so wie den ganzen Hügel, mit Erde zugeschüttet, um sie zu verdecken, aber der Gang war, soweit Kalerid erkennen konnte, frei und begehbar. Der Heerführer konnte sehen, dass er gemauert war, um ihn vor dem Einstürzen zu bewahren. Ein kleiner Erdrutsch hatte ihn nun freigegeben.

Kalerid hätte vor Begeisterung in die Hände klatschen können, doch er ließ sich inmitten der Gefangenen nicht dazu herab. Mit grimmigem Gesichtsausdruck begutachtete er unter den erwartungsvollen Blicken der umstehenden Sellag das Mauerwerk, trat vorsichtig ein paar Schritte in den Tunnel hinein, aber unterdrückte den Drang, einfach hineinzustürmen und den Schatz, der ihn am Ende der Schwärze erwarten würde, in Besitz zu nehmen. Prüfend fuhr er mit seinen langen, spröden Fingern über das Mauerwerk. Es schien massiv und stabil zu sein.

»Geht nicht zu tief hinein, Majestät«, hörte er Rofin hinter sich flüstern. »Man weiß nicht, was einen erwartet. Vielleicht gibt es Fallen.«

Kalerid musste seinem Diener Recht geben. Widerwillig verließ er den Tunnel und trat wieder hinaus in das Tageslicht.

»Wir müssen einen Kundschafter vorausschicken«, stellte er fest und hörte, wie sich unruhiges Gemurmel unter den umstehenden Wachen breit machte. Kurz entschlossen erwählte er den nächstbesten Gefangenen, der sich im näheren Umkreis befand und noch einen einigermaßen kräftigen Eindruck machte. »Er wird gehen.« Hondors Herz setzte für einen Schlag aus, als er Kalerids grauen Finger auf sich zeigen sah. Zorina stieß einen entsetzten Laut aus. Sie wollte protestieren, aber es hätte ohnehin keinen Sinn gehabt. Usadim brummte kurz und murmelte etwas, das Hondor aber nicht verstand. Er erwiderte gebannt Kalerids kalten Blick mit dem erwartungsvollen Funkeln darin, während er spürte, wie er von zwei Wachen gepackt und nach vorne gezerrt wurde.

»Bindet ihn an eine Kette, damit er nicht fliehen kann«, ordnete der Heerführer an. »Und gebt ihm eine Fackel, damit er sich im Dunkeln nicht das Genick bricht.«

Zwei Sellag rannten los, um das Befohlene zu holen. Ein ausreichend langes Seil wäre wohl leicht ausfindig zu machen gewesen, doch ein einfaches Hanfseil, eine Fackel, welche die Dunkelheit erhellen sollte und ein Gefangener, den er noch gerne behalten wollte, schienen dem Heerführer eine zu gefährliche Kombination.

Einige Kils später schnappte das schwere Schloss zu, das die lange Eisenkette mit Hondors Fesseln verband. Die Fackel wurde entzündet und in Hondors Hand gedrückt.

Der König wusste nicht, was er denken und fühlen sollte. Er hatte nicht die geringste Vorstellung, was ihn im Inneren des Baus erwarten würde. Er empfand Furcht aber auch eine gewisse Aufregung. Würde er nun wirklich den sagenumwobenen Schatz zu Gesicht bekommen?

Unsanft wurde er in den Gang hinein geschoben und es blieb ihm nichts anderes übrig, als einen Fuß vor den anderen zu setzen. Zurück konnte er nicht. Der Eingang war verstopft von neugierigen Sellag, allen voran Kalerid, der selbst die Kette in seinen Händen hielt und sie Stück für Stück nachließ. Vorsichtig tastete sich Hondor Schritt für Schritt voran. Der Gang war dunkel, aber der Fackelschein erleuchtete ihn ausreichend. Feuchtigkeit und abgelagerte Mineralien glitzerten an den Wänden. Der Weg führte in einem sanften Gefälle nach unten, aber er war eben und Hondor hatte keine Schwierigkeiten, voranzukommen. Nach einer Biegung verschwand der Eingang hinter ihm und der König hatte das Gefühl, nun ganz alleine mit sich und der ihn umgebenden Dunkelheit zu sein, die nur durch den Schein seiner Fackel ein Stück von ihm fern gehalten wurde. Nur das Klirren seiner Ketten begleitete ihn, doch ihr Klang wurde von dem Rauschen seines Blutes übertönt, das durch seinen Körper raste. Hondor schlug das Herz bis zum Hals, er konnte es in seinen Schläfen pochen spüren.

»Genau genommen gehört der Schatz mir«, fuhr es ihm durch den Kopf, aber er schob den Gedanken schnell von sich. Er durfte sich jetzt nicht von solchen Überlegungen ablenken lassen. Er musste achtsam sein. Niemand wusste, ob sich doch unvorhersehbare Gefahren zwischen dem arglos anmutenden Schwarz der Wände verbargen. Jeder Muskel in Hondors Körper war bis zum Zerreißen gespannt. Alle Erschöpfung und Schmerzen durch die lange, harte Arbeit waren für den Moment vergessen. Mit seinen Augen suchte er die Wände ab, versuchte die Schwärze, die vor ihm lag, zu durchdringen, um vorauszusehen, was auf ihm zukam. Doch es kam nichts. Die einstigen Besitzer des Schatzes und Erbauer dieses Gemäuers mussten sehr sorglos gegenüber Eindringlingen gewesen sein, denn sie hatten anscheinend keine Maßnahmen unternommen, um sie fern zu halten. Hondor schätzte, dass er bereits mehr als hundert Barret in den Hügel hineingegangen sein musste. Kalerid ließ die Kette stetig mit neuen Teilstücken erweitern, was für ein wenig Hektik vor dem Höhleneingang sorgte.

Der Gang begann nach kurzer Zeit steiler abzufallen und mündete nach weiteren hundert Barret überraschend in einer großen Höhle.

Dem König stockte der Atem, als er sah, was sich ihm dort offenbarte. Es war so unglaublich, dass es nicht in Worte zu fassen gewesen wäre, hätte Hondor jemandem beschreiben müssen, was er sah. Es war prächtiger, als es jede Erzählung oder Sage jemals beschrieben hatte. Jahrhunderte lang im Dunkel verborgen, glitzerte und glänzte es nun aus jeder Ecke, jedem noch so versteckten Winkel golden und silbern. Der Fackelschein wurde um ein Tausendfaches widergespiegelt und verstärkt, sodass die ganze Höhle erhellt wurde. Goldene und silberne Münzen, glänzende Vasen, edelsteinbesetzter Schmuck und herrliche Königskronen lagen unachtsam aufgehäuft und wahllos verstreut herum. Trotzdem verlor der Schatz nichts von seiner Pracht und Hondor konnte verstehen, warum ihm einst Bauern wie Könige verfallen waren. Es war mehr Reichtum in dieser unscheinbaren Höhle aufgehäuft, als man in seinem ganzen Reich hätte finden können.

Rechts an die große Höhle schloss sich ein kleinerer Raum an. Das wenige Licht, das durch den kleinen Eingang hineinfiel, reichte aus, um es dort glitzern und glänzen zu lassen. Neugierig ging Hondor hinein und erneut glaubte er, seinen Augen nicht trauen zu können. Unzählige Edelsteine in den schillerndsten Farben lagen dort zu mannshohen Bergen aufgehäuft und an den Wänden hingen dutzende aufwändig gearbeiteter und fein geschliffener Schwerter.

Für einen Augenblick dachte Hondor daran, eine der Waffen an sich zu nehmen, hinauszustürmen, die Macht wieder an sich zu reißen und den Schatz als den Seinen zu ernennen. Doch er wusste, dass er nicht weit gekommen wäre. Dieser Gedanke riss ihn aus seiner ehrfurchtsvollen Starre. Das Atmen fiel ihm mit einem Mal schwer und das lag nicht an der stickigen Luft, tief unter der Erdoberfläche. Bald würde er wieder zurückkehren müssen. Er meinte schon jetzt zu fühlen, wie Kalerid ungeduldig an der Kette zerrte. Doch er wollte noch nicht wieder gehen. Langsam ging er wieder zurück in die große Höhle, hob dabei das eine oder andere wertvolle Stück auf, drehte es ehrfürchtig in seinen Händen, um es dann wieder vorsichtig abzulegen.

Dann fiel ihm ein weiterer dunkler Nebenraum auf, der links von ihm an die Höhle angrenzte.

Hondor hätte ihm wohl kaum viel Beachtung geschenkt, denn er war dunkel und ließ aus der Entfernung keine Anzeichen auf weitere Schätze erkennen, wenn ihm nicht plötzlich der durchdringende Geruch von Schwefel aufgefallen wäre, der in der Luft lag. Je mehr er sich der Höhle näherte, umso stärker stach er ihm in die Nase. Als er noch ein Stück näher trat, konnte er etwas hören und seine Verwunderung stieg weiter an. Es klang wie gleichmäßige Atemzüge. Hondor konnte sich nicht erklären, von wem sie stammten. Er trat ein weiteres Stück heran, was sich durch seine Ketten als nicht einfach erwies. Kalerid schien ihm nicht mehr Freiheit gewähren zu wollen, denn er ließ nur noch unter Aufbringung von einiger Anstrengung weiter nach. Als Hondor endlich nahe genug herangekommen war, stellte er fest, dass der Durchgang größer war, als er zuerst gewirkt hatte. Er leuchtete hinein und was er erspähte, erstaunte ihn noch weitaus mehr als der Anblick der unschätzbaren Reichtümer.

Zusammengerollt und den Kopf auf den verschränkten Vorderbeinen ruhend, lag dort ein riesiger Drache. Sein gezackter Schwanz und sein breiter Körper mit den angelegten Flügeln waren mit silbrig-grün schimmernden Schuppen bedeckt und seine Nüstern flatterten bei jedem Atemzug. Er schien tief und fest zu schlafen 9).

Hondor hatte in seiner Kindheit Märchen und Sagen über Drachen gehört, doch er hatte niemals damit gerechnet, jemals einem gegenüberzustehen. Es hieß, sie wären schon lange ausgestorben.

Als sich sein Schreck gelegt hatte, keimte in Hondor der Gedanke an Flucht auf. Er wollte nur noch hinaus, musste entkommen, bevor der Drache erwachte. Ohne den Blick abzuwenden, tastete er sich ein paar Schritte rückwärts, versuchte, so leise wie möglich aus der Höhle zu verschwinden. Doch er kam nicht weit, dann stolperte er über einen kleinen Goldhaufen der hinter ihm lag. Mit einem dumpfen Schlag fiel er zu Boden, seine Ketten klirrten und die Schätze polterten, als der kostbare Haufen teilweise einstürzte und Gold und Silber durcheinander rollten.

Regungslos blieb Hondor liegen, wagte es kaum, zu atmen und blickte in Richtung des Drachen, den er schemenhaft in der dunklen Seitenhöhle sehen konnte. Hatte er eben eine Bewegung gesehen? Oder spielten ihm seine überanstrengten Nerven einen Streich?

Mühsam rappelte sich Hondor auf seine zittrigen Beine auf und versuchte dabei, so leise wie möglich zu sein. Er drehte sich um, auch wenn ihm nicht wohl dabei zumute war, dem schlafenden Drachen den Rücken zuzukehren, aber er wollte auf keinen Fall noch einmal einen solch geräuschvollen Zwischenfall riskieren. Langsam tat er den ersten Schritt.

»Warum wollt Ihr schon wieder gehen?«, grollte es plötzlich mit tiefer Stimme hinter ihm. Die Worte ertönten in einem alten allendassischen Dialekt und obwohl sie ungewohnt klangen, konnte Hondor sie verstehen. Er erstarrte mitten in seiner Bewegung. Der König brauchte nicht lange zu überlegen, von wem sie stammten, auch wenn er niemals gehört hatte, dass Drachen sprechen konnten. Langsam drehte er sich um.

Der Drache hatte sich mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung erhoben und streckte nun den Kopf durch den Zugang der Seitenhöhle. Nicht deutete darauf hin, dass er soeben wahrscheinlich aus einem Jahrhunderte andauernden Schlaf erwacht war, als er Hondor mit seinen orange-roten Augen anblickte. Dieser konnte seinerseits nur mit großen Augen zurückstarren.

»Seit Ewigkeiten hat sich niemand bei mir blicken lassen und nun wollt Ihr wieder gehen, ohne wenigstens Seid gegrüßt gesagt zu haben«, fuhr der Drache in einem Plauderton fort, als hätte er sich für heute mit dem König zum Tee verabredet.

Auf Hondor wirkte die gesamte Situation grotesk und er ließ sich mit einem dumpfen Plumps wieder auf den Haufen Gold sinken, über den er zuvor gestolpert war. Der Drache machte keineswegs den gefährlichen und Furcht einflößenden Eindruck, den er von einem solchen Wesen erwartet hätte. Obwohl er mindestens viermal so groß war, wie der Mensch und die Krallen, die seine Pranken zierten, ihm mühelos den Kopf hätten abreißen können, stand in seinen Augen eine gewisse Freundlichkeit. Hondor fehlten noch immer die Worte. Er brauchte eine Weile, um zu begreifen, was geschah.

Den Drachen schien das nicht zu beeindrucken. Er schwatzte einfach weiter, als wäre es das Natürlichste von der Welt. Wenn man es genau nahm, war es das für ihn wohl auch.

»Da wollt Ihr einfach verschwinden und lasst nicht einmal etwas mitgehen. Wofür halte ich hier eigentlich Jahr um Jahr die Stellung, wenn der einzige Mensch, der hier auftaucht, nicht einmal etwas stehlen will?« Der Tonfall des Drachen klang nun beinahe beleidigt und Hondor erschien es, als würde er schmollend die Unterlippe ein wenig nach vorne schieben, während er seinen lang gestreckten, massigen Körper wieder sinken ließ und es sich bequem machte.

»Würde es dir helfen, wenn ich vielleicht etwas mitnehmen würde?«, stammelte Hondor, als er endlich seine Sprache wiedergefunden hatte und kam im selben Moment zu dem Schluss, dass es nicht das Schlauste gewesen war, was er hätte sagen können.

Der Drache legte den Kopf schief und dachte einem Moment über das nach, was Hondor gesagt hatte. »Ja, ich denke schon, dass mir das weiterhelfen würde«, entgegnete er schließlich und Hondor fragte sich, was er wohl davon halten sollte, »aber für Euch wäre es wohl nicht das Beste. Ich müsste Euch dann nämlich töten und das wäre wohl nicht besonders fein. Immerhin haben wir uns ja gerade erst kennen gelernt und Ihr scheint ja auch gar nichts stehlen zu wollen. Ich frag mich nur, was Ihr hier unten wollt, wenn ihr nicht an meinem wunderschönen und glanzvollen Schatz interessiert seid.«

»Das ist eine lange Geschichte!«, erwiderte Hondor mit einem leisen Seufzen. Die Unruhe, welche die Anwesenheit des Drachen in ihm ausgelöst hatte, legte sich langsam. Aber es war noch immer die merkwürdigste Situation, in der sich Hondor jemals befunden hatte, soviel stand fest.

Der Drache nickte verstehend. »Sie würde mich schon interessieren«, meinte er »ich weiß ja nicht, wie es mit Euch steht, aber ich habe jede Menge Zeit.«

Hondor wollte gerade etwas erwidern und dabei erschien es ihm, als würde Kalerid wieder von außen ungeduldig an seiner Kette zerren, als dem Drachen plötzlich etwas einzufallen schien und er sich ruckartig ein wenig aufrichtete.

»Wie unhöflich von mir«, entfuhr es ihm und Hondor überlegte, ob er ihm nun wohl doch eine Tasse Tee anbieten würde. Immerhin schien es sich um einen Drachen mit sehr guten Manieren zu handeln. »Ich habe ganz vergessen, mich vorzustellen. Mein Name ist Toranus.« Mit einer, für seinen massiven Körper überraschend eleganten Bewegung, neigte der Drache den Kopf und deutete damit eine Verbeugung an.

»Angenehm!« Hondor verbeugte sich ebenfalls. »Mein Name ist Hondor. Ich bin König von Allendas - oder zumindest war ich es, bis vor nicht allzu langer Zeit.«

»Hondor, ein sehr angenehm klingender Name«, entgegnete Toranus anerkennend. »Aber König?« Der Drache runzelte misstrauisch die Stirn. »Ihr seht ganz und gar nicht wie ein König aus.« meinte er irritiert und zeigte mit einer spitzen Kralle auf Hondor zerzaustes Haar und seine zerrissene Kleidung. »Zu meiner Zeit waren Könige ordentlicher gekleidet. Oder ist das in deinem Land so Sitte? Wie nanntest du es noch – Allendas? Wo liegt dieses Königreich?«

»Genau hier!«, antwortete Hondor und machte eine allumfassende (soweit es seine Fesseln zuließen) Handbewegung. »Über uns und um uns herum.« Dem König wurde klar, dass Toranus in den letzten Jahrhunderten einiges verpasst haben musste.

»Oh«, meinte der Drache nur und nickte verstehend, »früher nannte man dieses Land Aurantien. Es hat sich wohl vieles verändert, seitdem ich das letzte Mal den blauen Himmel gesehen habe. Er ist doch wohl noch blau?«

»Wenn es nicht gerade bewölkt ist.« Hondor betrachtete den Drachen mitleidig. »Es lässt sich wohl nicht bestreiten, dass du einiges verpasst hast«, stimmte er zu.

»Und laufen jetzt alle Könige so herum, wie Ihr?«, hakte Toranus nochmals nach.

Hondor schüttelte den Kopf. »Für gewöhnlich nicht, aber wie gesagt, es ist eine lange Geschichte.«

»Möchtet Ihr mir nun diese lange Geschichte erzählen oder nicht?« Der Drache schien wirklich neugierig zu sein.

Hondor zuckte kurz mit den Schultern. »Warum nicht«, meinte er und begann zu erzählen.

Sein Gefühl hatte den König nicht getäuscht. Draußen vor der Höhle stand Kalerid hoch aufgerichtet und zog ungeduldig an der Kette. Nicht, dass es ihn beunruhigte, dass sein Gefangener so lange in der Höhle verschwunden war, aber dass sich bereits seit einiger Zeit nichts mehr geregt hatte, störte ihn sehr. Die Kette hatte sich schon seit einer Ewigkeit, wie es dem Heerführer schien, kein Stück mehr vor- oder zurückbewegt. Egal, wie fest er daran zog, es geschah nichts. Zu Beginn hatte er zumindest spüren können, wie der Mensch am anderen Ende ein wenig nachgab, wenn er fest an den eisernen Ringen zog, aber nun rührte sich nichts mehr.

Was Kalerid nicht wusste, war, dass sich, zu Hondors Glück, die Kette durch das ständige Gezerre des Sellag an der scharfen Biegung in einer kräftigen Baumwurzel verfangen hatte, die das Gemäuer des Höhlenganges durchstoßen hatte, und nun dort fest hing. Daher konnte der Heerführer so viel ziehen und zerren, wie er wollte, es hatte nicht den geringsten Sinn.

»Was mag da los sein? Warum kommt diese elende Kreatur nicht zurück?«, kläffte er den armen Rofin an, der sich, als er die aufkeimende Wut seines Herrn bemerkt hatte, tief hinunter auf den Boden gekauert hatte.

Der Lakai zuckte ein Stück zurück. »Ich weiß es nicht, Majestät«, wimmerte er kläglich, in der Hoffnung, Kalerid würde seinen Zorn nicht an ihm auslassen. »Vielleicht ist er tot.«

Der Heerführer hielt einen Moment in seinen Bemühungen inne und dachte über diese Aussage nach. »Verdammt!«, zischte er schließlich.

Rofin warf einen Hilfe suchenden Blick in die Runde. »Es ist ja nicht gesagt, dass er wirklich tot ist. Vielleicht sollten wir einfach noch ein wenig warten.«

Kalerid brummte zustimmend. »Gut, wir werden ihm noch etwas Zeit geben.« Er zog erneut an der Kette. »Wenn er dann noch immer nicht wieder zum Vorschein gekommen ist, schicken wir dich rein.«

Rofin schluckte hart und duckte sich noch ein wenig tiefer auf die Erde. Diese Wendung gefiel ihm ganz und gar nicht. Er konnte nur hoffen, dass der Gefangene bald aus dem dunklen Loch herauskommen würde.

Zorina und Usadim saßen ein Stück entfernt auf dem Boden und beobachteten, was geschah. Im Stillen beteten sie inständig für ihren König und dafür, dass er sein ihm aufgezwungenes Unternehmen unbeschadet überstehen würde. Sie wagten es nicht, etwas zu sagen, denn um sie herum standen, saßen und lagen ihre Feinde und sie fühlten sich alles andere als wohl in dieser Gesellschaft.

Zuerst berichtete Hondor dem Drachen alles, was er über die Geschichte seines Landes wusste, über seine Könige, seine Städte und deren Bewohner. Hondor ließ sich Zeit dabei, denn er hatte es nicht besonders eilig damit, die Höhle wieder zu verlassen und zu den Sellag zurückzukehren. Toranus erwies sich als aufmerksamer Zuhörer. Nachdenklich spielte er mit der Spitze seines gezackten Schwanzes, den er um seinen ausgestreckten Körper herumgelegt hatte und immer wieder durch seine langen Krallen gleiten ließ.

Ab und an schloss der Drache die Augen, geradeso, als versuchte er, sich das eine oder andere Ereignis bildlich vorzustellen. Ein anderes Mal schnaubte er abfällig, als wäre er mit dem Verlauf der Geschichte ganz und gar nicht einverstanden, wobei grünlich-gelber Rauch aus seinen Nüstern strömte und einen unangenehm riechenden Schwefelgeruch verbreitete. Hondor beschwerte sich allerdings nicht darüber. Mit der Zeit konnte man sich auch daran gewöhnen. Es gab unangenehmere Zeitgenossen als diesen Drachen.

Letztendlich kam Hondor zu den Vorfällen der letzten Tage. Er berichtete von dem nächtlichen Einfall der Sellag und von den Grausamkeiten, die sie seinem Volk antaten, von Kalerid, ihrem Heerführer und von seinem Vorhaben, den Muteral an sich zu reißen. Je mehr Hondor erzählte, umso mehr verdüsterte sich das schuppige Gesicht des Drachen. Seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen und der Rauch, der aus seinen großen Nasenlöchern hervortrat, wurde noch eine Spur beißender.

Als Hondor am Ende seiner Erzählungen angelangt war, schwieg Toranus noch eine ganze Weile. So lange, dass der König sich zu fragen begann, was wohl hinter der breiten, hornigen Stirn vorgehen mochte. Endlich stieß der Drache ein tiefes Knurren aus, das den ganzen Boden erzittern ließ.

»Es ist überhaupt nicht fein, was sie da mit Eurem Volk gemacht haben«, sagte er brummend.

»Allerdings!«, stimmte ihm Hondor nur zu gerne zu und war froh, dass der Drache die Dinge ebenso sah wie er selbst.

»Und es ist ebenfalls nicht fein, dass sie es auf meinen Schatz abgesehen haben«, fuhr der Drache fort. Er hatte einen nachdenklichen Gesichtsausdruck und es schien eine ganze Menge in seinem Kopf vorzugehen. »Aber sie werden ihn nicht bekommen.«

»Vielleicht sollten wir uns zusammentun«, schlug Hondor vor. Dieser Gedanke schwirrte ihm schon seit einiger Zeit im Kopf herum. Ganz offensichtlich schien dieser Drache namens Toranus ihm und seiner Sache wohlgesonnen zu sein. Er war groß und stark und Hondor zweifelte nicht daran, dass er auch in der Lage war, Feuer zu speien, auch wenn er diese Kunst bisher noch nicht unter Beweis gestellt hatte. Sein Volk hatte eine solche Unterstützung bitter nötig. Es konnte einen großen, starken Verbündeten, der vielleicht sogar den einen oder anderen gewitzten Kniff im Kampf aufweisen konnte, gut gebrauchen. Auch wenn der Drache wohl nichts gegen die gesamten versammelten Sellag-Truppen in Allendas tun konnte, so konnte er doch ihre Lage deutlich verbessern. Und immerhin hatte der Drache auch ein eigenes Interesse an dieser Sache.

»Wisst Ihr, was ich mir überlegt habe?«, fragte Toranus, ohne auf Hondors Worte einzugehen.

Hondor schüttelte den Kopf. Woher sollte er auch wissen, was sich im Kopf eines über tausend Jahre alten Drachen so alles abspielte?

»Der Schatz gehört zu Allendas«, begann Toranus zu erklären. »und derjenige, der Allendas beherrscht, ist sein Besitzer.«

Dem konnte Hondor nur zustimmen. Er selbst hatte sich auch bereits mit diesem Gedanken beschäftigt, aber ihn schnell weit von sich geschoben. Er war zu dem Schluss gekommen, dass alle Reichtümer weit an Wichtigkeit verloren angesichts des Leides, das sein Volk ertragen musste. Trotzdem gönnte er sich einige Augenblicke, um zumindest die verworrenen geschichtlichen Zusammenhänge zu überdenken, die mit dem Muteral verbunden waren.

Er existierte bereits seit Menschengedenken. Niemand wusste, wer ihn einst zusammengetragen hatte. Allendas, oder Aurantien, wie es früher genannt wurde, war damals von größeren Ausmaßen. Hondor wusste nicht, wie weit es sich erstreckt hatte. Der Muteral, daran konnte sich Hondor aber noch erinnern, war, der Überlieferung nach, von König zu König weitervererbt worden, bis die Fremden (Hondor konnte sich nicht entsinnen, jemals einen richtigen Namen für sie gehört zu haben, denn alle Erinnerungen an diese grausame Zeit wurden, so gut es ging, verbannt) über das Meer gekommen waren und das Land, wie auch den Schatz, an sich gerissen hatten. Die Zeit der Unterdrückung dauerte viele Jahre an, bis Helaras Allendas befreit hatte.

»König Helaras selbst hat mir aufgetragen, den Schatz zu bewachen«, unterbrach der Drache plötzlich Hondors Überlegungen, gerade so, als hätte er Hondors Gedanken lesen können. »Er war ein guter König, müsst Ihr wissen, aber er hielt nicht viel von Geld und Gold. Man hätte fast meinen können, der Reichtum wäre ihm zuwider. Er wollte davon nichts wissen, das wusste jeder, auch wenn er nie darüber gesprochen hat, woher diese Abneigung herrührte. Ich habe ihm versprechen müssen, den Schatz im Auge zu behalten, sodass er nicht in falsche Hände gerät und ihn nur an den rechtmäßigen Herrscher von Allendas zu übergeben, sofern dieser mir als geeignet erscheint.«

Hondor lauschte mit weit aufgerissenen Augen den Worten des Drachen, ohne genau zu wissen, worauf dieser eigentlich hinaus wollte, und nickte dabei eifrig.

»Das bringt mich in ein großes Dilemma…« Der Drache spitzte die Lippen und tippte mit einer seiner langen Krallen dagegen, während er seine weiteren Worte zurechtlegte. »Nach Euren eigenen Worten ist dieser Kalerid nun der Herrscher von Allendas und der Schatz gehört damit ihm.«

Hondor fiel darauf nichts ein, nur seine Augen wurden noch ein Stück größer. Hembras sei Dank, hielt dieser Schreckensmoment nicht lange vor, denn der Drache sprach weiter: »Doch, was er gemacht hat, war überhaupt nicht fein und er hat den Schatz ganz und gar nicht verdient. Ich kann ihn nicht ausstehen, obwohl ich ihn noch nicht einmal kenne und deshalb stehe ich zu Euren Diensten.« Toranus richtete sich ein wenig auf und verneigte sich vor Hondor.

Dieser lächelte zufrieden. »Ich danke dir«, erwiderte er erleichtert. »Dann möchte ich dich bitten, mit mir die Höhle zu verlassen und mich im Kampf gegen die Eindringlinge zu unterstützen.«

Toranus schnaubte kurz. »Darum hättet Ihr mich gar nicht bitten müssen.« grollte er in bester Kampfesstimmung. »Ich möchte gerne hinausgehen und mir persönlich ansehen, wer sich an meinem Schatz vergreifen möchte.« Dann hielt der Drache einen Moment inne. »Ihr solltet Euch aber nicht zu viele Hoffnungen machen. Ich fürchte, auch ich werde nicht gegen alle eure Eindringlinge ankommen, wenn sie so zahlreich sind, wie Ihr sagt.«

Hondor schüttelte verständnisvoll den Kopf »Das verlange ich auch gar nicht. Du sollst nur deinen Schatz verteidigen und meinen Leuten helfen, zu fliehen, indem du dich ein wenig um unsere Feinde kümmerst.«

Wieder stieß Toranus eine Wolke grünlichen Rauches aus. »Ich denke, das dürfte keine Schwierigkeit sein.« Der Drache wirkte zuversichtlich. »Aber es wird sicherlich gar nicht fein werden.«

»Das muss es auch nicht«, beeilte sich Hondor zu antworten. »Ich danke dir schon jetzt für deinen Beistand, Toranus, und verspreche dir, dass du reichlich dafür entlohnt werden wirst, sobald alles wieder beim Alten ist.«

Der Drache winkte ab und schien nicht darauf antworten zu wollen.

»Dann sollten wir uns beeilen!« Hondor stand von seinen Goldhaufen auf. »Kalerid ist sicherlich schon ungeduldig.« Erst jetzt bemerkte Hondor, dass er schon lange kein Zerren an seiner Kette mehr gespürt hatte und er fragte sich, was wohl geschehen sein mochte. Er wandte sich zum gehen und Toranus erhob sich geschmeidig, um ihn zu begleiten.

»Eine Bitte habe ich noch.« Hondor drehte sich nochmals zu Toranus um. »Befreie mich von diesen elenden Ketten.« Der König deutete auf die massiven Eisenringe.

»Nichts leichter als das.« Toranus nickte gutmütig und griff mit seinen Krallen nach der mächtigen Kette. Es bedurfte nur einen kurzen Zug, der nicht einmal mit großem Kraftaufwand verbunden war, und die Glieder gaben nach. Dann durchtrennte der Drache noch die Hand- und Fußfesseln.

Hondor bedankte sich und gemeinsam betraten sie den schmalen Gang, der nach oben führte. Der Drache musste sieh mächtig ducken, um sich durch den engen Tunnel zu winden, aber schließlich war er auch vor vielen Jahren über diesen Weg hineingekommen.

Hondors Fackel war mittlerweile so weit heruntergebrannt, dass er sie löschen musste, aber das sorgte ihn wenig, denn es bestand keine Gefahr, dass er sich verlaufen würde. So tastete er sich vorsichtig voran. Er hörte die leisen, dumpfen Schritte des Drachen hinter sich und hin und wieder gab es ein scharrendes Geräusch, wenn die hornigen Schuppen des Drachen an den Mauersteinen rieben. Dann gelangte er an die Biegung und sah, etwas entfernt, das Tageslicht.

9) An dieser Stelle sei angemerkt, dass Drachen einen entscheidenden Vorteil hatten. Er bestand darin, dass sie lange Zeit an einem Ort ausharren konnten, ohne Wasser und Nahrung zu benötigen. Sie verschliefen einfach hundert oder tausend Jahre und erwachten eines Tages, als wäre nichts geschehen. Deshalb wurden sie gerade in früheren Zeiten gerne von Königen und Herrschern zum Bewachen ihrer Schätze eingesetzt. Die Unterhaltskosten waren verschwindend gering.

Allendas

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