Читать книгу Allendas - Nadine T. Güntner - Страница 13
Herras III
ОглавлениеHerras bewunderte den Mut, mit dem Merit ihrem Vorhaben entgegenblickte. Man konnte geradezu sagen, dass der Waldmensch mit Begeisterung dabei war, das Nötigste zusammenzusuchen. Er besorgte einen Rucksack für Herras, der aus widerstandsfähigem braunen Leder gefertigt war. Dann packte er so lange Proviant und Feuersteine hinein, bis die Nähte zu platzen drohten. Als er damit fertig war, hob Merit die Säcke prüfend an und stellte zufrieden fest, dass sie trotzdem nicht zu schwer waren. Herras betrachtete sein Tun eine Weile schweigend.
»Warum freut ihr Euch so auf das, was auf uns zukommen wird?, fragte der Allendasser schließlich, dem es gar nicht wohl bei der Vorstellung war, auf eine solch lange Wanderung zu gehen. Aber im Gegensatz zu Merit hatte er keine andere Wahl. »Euer Vater sagte, es können eine Menge Gefahren dort draußen lauern«
»Wisst Ihr, Herras«, entgegnete der Jäger mit einem breiten Lächeln, »mein Vater ist ein alter Mann und er hält gerne an den alten Geschichten und Sagen unseres Volkes fest.« Merit griff nach seinem Gürtel, an dem ein kurzes Schwert befestigt war, und überprüfte ihn, während er fortfuhr: »Allerdings könnte in allem auch ein Funken Wahrheit stecken. Genau das werden wir herausfinden.« Er legte den Gürtel sorgfältig neben seinen Rucksack und nahm seine Armbrust zur Hand, bevor er Herras ansah. »Ich habe mein ganzes Leben auf diese Gelegenheit gewartet. Solange ich denken kann, habe ich gut behütet in der Gemeinschaft unseres Stammes gelebt. Nie ist mir ein wirkliches Abenteuer widerfahren. Als Kind habe ich gebannt den alten Geschichten über die einsamen Jäger gelauscht, die nur auf sich alleine gestellt durch den Wald streiften und den haarsträubendsten Gefahren ins Auge blicken mussten. Ich habe mir immer gewünscht, auch irgendwann einmal so wie sie zu sein, aber mein Vater hat mich nie gehen lassen. Er hat mir immer meine Verantwortung dem Stamm gegenüber vorgehalten, obwohl Korin sein Nachfolger sein wird. Doch jetzt lässt er mich ziehen und ich werde mein Glück nicht lange hinterfragen.«
»Dann können wir nur hoffen, dass Euer Glück uns auch auf unserem Weg hold sein wird.« Herras konnte Merits Vorfreude noch immer nicht teilen. Schon jetzt wünschte er sich zurück in das friedliche Alland Pera, wo er sein ganzes Leben verbracht hatte. Aber er wusste, dass er einen weiten Weg gehen musste, bis vielleicht eines Tages alles wieder wie früher sein würde.
Er spürte, wie Merit ihm die Hand auf die Schulter legte. »Macht Euch nicht zu viele Sorgen, mein Freund. Auch wenn ich nie weit aus dieser Region herausgekommen bin und ich nie den Norden unseres Landes besucht habe, so weiß ich doch, dass es keine Gefahren gibt, die wir nicht überwinden können, wenn wir zusammenhalten. Seht die Zukunft nicht so schwarz.«
Herras nickte nur und es erschien Merit, als wären die trüben Gedanken seines neuen Weggefährten weit entfernt, an einem anderen Ort. Er beschloss, Herras ein wenig aufzumuntern und griff unter seine Lagerstatt, um etwas hervorzuholen, was er für ihn zurechtgelegt hatte. »Das möchte ich Euch schenken. Vielleicht könnt Ihr sie während unserer Reise gebrauchen, auch wenn wir Euren Umgang damit noch ein wenig verbessern müssen.« Er überreichte Herras die beiden Gegenstände feierlich und dieser betrachtete sie ehrfürchtig. Es handelte sich um eine fein geschnitzte Armbrust, die überraschend leicht war, obwohl sie aus massivem Holz gefertigt zu sein schien, und einen Ledergürtel mit einem Kurzschwert, der dem Merits glich.
Rührung stand in Herras’ Augen. »Das kann ich nicht annehmen.«
Merit winkte ab. »Ihr müsst! Ich habe Euch versprochen, dass ich Euch eine Armbrust schenke und ein Versprechen ist in unserem Stamm bindend. Außerdem kam man nicht in den Wald hinausziehen, ohne eine anständige Armbrust und ein Schwert bei sich zu haben.«
»Danke.« Mehr brachte Herras nicht hervor. Er hielt noch für eine Weile die Geschenke andächtig in den Händen, dann legte er sie behutsam neben den Rucksack, den Merit für ihn gepackt hatte.
»Wir sollten uns nun schlafen legen!«, bemerkte Merit nach einer Weile des Schweigens und Herras stimmte ihm zu.
»Ich wünsche Euch eine gute Nacht!«, sagte er und schlug die Zeltplane zurück.
»Das wünsche ich Euch auch, Herras«, rief Merit ihm nach, »und macht Euch nicht zu viele Gedanken heut’ Nacht.«
Mit einem letzten, kurzen Blick über die Schulter, verließ Herras das Zelt. Im Lager war es bereits ruhig geworden, als er durch die Bäume zu seiner Unterkunft ging.
Es dauerte lange, bis er in in einen unruhigen Schlaf fiel.
Die Nacht lag schwarz über dem Lager. Die meisten der Feuerstellen waren bereits erloschen, als Korin ein leises Rascheln in den Gebüschen, nicht unweit der Zelte, vernahm. Zuerst hielt er es für einen Fuchs oder ein anderes Tier, das sich, durch den Geruch des gebratenen Fleisches angelockt, so nahe an das Lager herangewagt hatte, aber als er den grauen Schatten sah, der sich schnell und auf zwei Beinen dem Lager näherte, wurde ihm klar, dass es sich um kein Tier handelte. Zwei weitere Schatten folgten dem ersten.
Marek hatte einen ausgefeilten Plan, soweit es ihm mit den beschränkten Mitteln, die ihm zu Verfügung standen, möglich war. Drei seiner Männer würden die Vorhut bilden. Sie würden sich von einer Seite an den Zeltkreis heranpirschen, bis sie entdeckt wurden, und Marek zweifelte nicht daran, dass dies schnell geschehen würde. Dann, wenn die Wachen ihnen ihre volle Aufmerksamkeit widmeten, würde Marek mit den restlichen fünf Sellag von der anderen Seite in das Lager eindringen. Ihre Aufgabe bestand ausschließlich darin, den König zu finden. Marek wusste, dass seine Strategie verheerende Verluste in den Reihen seiner Krieger zur Folge haben würde, aber das konnte ihm gleichgültig sein. Sein Ziel war der Kopf des Königs. Ihn musste er in den Händen halten und lebend zu seinem Herrn zurückkehren. Alles andere war nicht von Bedeutung und Kalerid würde nicht nach seinen Kriegern fragen, wenn er ihm den Kopf des Königs brachte.
Sie waren bereits ein deutliches Stück näher gekommen, als Korin ihre gezückten Schwerter im Schein des Lagerfeuers glänzen sehen konnte. Ihre Augen und Zähne glitzerten hell in der Dunkelheit.
Korin hob seine Armbrust und schoss den ersten Pfeil, noch während er die Wachen zusammenrief. In der Dunkelheit verfehlte das Geschoss sein Ziel, doch der zweite Pfeil traf. Die erste der grauen Kreaturen brach während des Laufens zusammen. Mittlerweile hatten sich auch die anderen Wachen um Korin gescharrt und ein ganzer Schwarm von Pfeilen hagelte auf die verbliebenen zwei Eindringlinge nieder.
Trotzdem gelang es zumindest einem der beiden Krieger, sich bis zur Reihe der Wachen durchzuschlagen und obwohl bereits zwei Pfeile seine dicke Haut durchstoßen hatten, hob er mit letzter Kraft sein Schwert. Sein mächtiger Hieb traf Korin unerwartet, der vom Schmerz betäubt und blutend zusammenbrach. Dann durchdrang ein gezielter Schuss den Schädel des Sellag.
Die Schreie der Wachen hatten die Lagerbewohner geweckt und so kam Mareks Überraschungsangriff nicht so überraschend, wie dieser es sich erhofft hatte. Mit gezückten Schwertern und schussbereiten Waffen kamen sie aus ihren Zelten und noch ehe der Sellag und seine Gefolgsleute das Lager betreten hatten, sahen sie sich bereits in Bedrängnis.
Trotz ihrer schlechten Lage gaben die Sellag nicht auf. Sie schlugen mit ihren Schwertern wahllos auf die Menschen ein und versuchten, sich zum König durchzuschlagen, der ein Stück von ihnen entfernt stand.
Herras war durch die Unruhen aus seinem ohnehin leichten Schlaf gerissen worden und sogleich mit einer schrecklichen Vorahnung hinaus ins Freie gestürzt. Dort war Merit bereits zur Stelle gewesen und hatte ihm Schwert und Armbrust gereicht. Nun bezogen beide, Seite an Seite, Stellung auf einem umgefallenen Baumstamm. Von dieser Erhöhung konnten sie die Eindringlinge leichter im Auge behalten.
Marek erkannte schnell die Aussichtslosigkeit seines Unterfangens. Er kam nicht näher als fünfzehn Barret an den König heran und die Pfeile der Lagerbewohner zischten oft nur knapp an seinen Ohren vorbei. Er hatte, abgesehen von den drei Sellag der Vorhut, auch auf seiner Seite zwei Krieger verloren und so sah er sich gezwungen, den Rückzug anzutreten. Er stieß einen kurzen, schrillen Schrei aus und die verbliebenen drei Krieger folgten ihm, als er sich umdrehte und im Wald verschwand.
Die Waldmenschen folgten ihnen, aber in der Finsternis der Nacht hatten sie die fremden Kreaturen bald verloren. Niedergeschlagen kehrten sie zurück und machten sich daran, bei der Versorgung der Verletzten zu helfen.
Für eine Weile saß Herras benommen auf dem Baumstamm. Er konnte nicht fassen, was geschehen war, konnte nicht begreifen, dass sie ihn gefunden und das Lager angegriffen hatten. Er beobachtete die Verletzten und wie sich ihre Angehörigen um sie kümmerten. In Herras’ Kopf hämmerte nur noch ein einziger Gedanke: Es war seine Schuld.
Beunruhigt sah er sich um. Plötzlich dachte er an Maleris und ihm wurde bewusst, dass er das Mädchen nirgendwo gesehen hatte. Er wollte wissen, ob es ihr gut ging. Plötzlich entdeckte er sie ein Stück entfernt. Sie schien wohlauf zu sein und kümmerte sich um einen Verwundeten. Herras wurde das Herz ein wenig leichter.
Auf der anderen Seite des Zeltkreises sah Herras Korin liegen. Sein Arm blutete stark. Der Allendasser stand auf und ging mit weichen Knien zu ihm herüber. Merit, Sollas und einige Wachen standen bereits um ihn herum und Herras konnte Besorgnis in ihren Augen erkennen, als er an die Gruppe herantrat.
Rulind, die Heilerin und Maleris‘ Mutter, hatte sich über Korin gebeugt und behandelte seine Wunde mit getrockneten Kräutern, mit deren Blättern sie den tiefen Riss in seinem Arm bedeckte. Das Gesicht des Jägers war schmerzverzerrt und aschfahl, aber er war bei Bewusstsein und seine Augen waren klar. Ein gutes Zeichen, wie selbst Herras wusste, und er fühlte Erleichterung in sich aufsteigen.
»Er wird durchkommen«, sagte Rulind schließlich, als sie sich aufrichtete und zwei der Wachen ein Zeichen gab, Korin fortzubringen. »Seine Wunde ist tief, aber sie wird heilen.«
Herras glaubte, Sollas aufatmen hören zu können. Gemeinsam blickten sie Korin nach, als dieser in eines der Zelte getragen wurde. Dann sah der alte Stammesvater Herras an und seine Augen waren dunkel. In diesem Augenblick war nichts mehr von der Freundlichkeit und dem Wohlwollen darin zu erkennen, mit dem er Herras am Abend bedacht hatte. Herras verstand ihn.
»Ihr habt Leid über unser Lager gebracht, Herras«, sagte Sollas mit eisiger Stimme. »Seit Langem hatten wir keine Feinde mehr zu fürchten. Nun habt Ihr sie zu uns geführt.«
Herras senkte schuldbewusst den Kopf. »Ich bitte Euch um Verzeihung, Sollas. Ich bin mir bewusst, dass ich für das, was geschehen ist, ganz allein verantwortlich bin. Aber Ihr müsst mir glauben, dass ich...«
»Ich weiß, dass es nicht Eure Absicht war, und, dass Ihr nicht für das Geschehene zur Rechenschaft gezogen werden könnt«, unterbrach Sollas ihn brüsk. »Doch Ihr müsst nun unseren Stamm verlassen. Ich kann Euch nicht länger Unterkunft in meinem Lager gewähren. Noch hat niemand sein Leben verloren, aber man kann nicht wissen, was noch geschehen mag. Ich wünsche Euch alles Gute für die Zukunft.« Er ließ Herras keinen Zweifel daran, dass sein Entschluss feststand.
»Ich werde sogleich losziehen«, erwiderte Herras niedergeschlagen.
»Wir werden losziehen!«, fügte Merit bestimmt hinzu und spürte Herras’ überraschten Blick auf sich ruhen. Der Mensch hatte nicht damit gerechnet, dass Merit ihm nach dem, was geschehen war, noch immer beistehen würde.
»Mein Sohn wird Euch begleiten. Mit ihm habt Ihr die beste Unterstützung, die ihr Euch wünschen könnt«, fügte Sollas hinzu.
»Ich danke Euch, Sollas, für alles, was Ihr für mich getan habt.« Herras wandte sich ab und ging, um seine Habe zu holen. Merit machte sich daran, ihm zu folgen, aber Sollas’ Blick ließ ihn noch einen Moment verharren.
»Sei achtsam!«, sagte sein Vater und Sorge lag in seinen Worten.
Merit nickte kurz und ein zuversichtliches Lächeln umspielte seine Lippen. »Das werde ich sein, Vater, und ich werde bald zurückkehren.« Sie reichten sich die Hände, so wie es zwischen Vater und Sohn üblich war.