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Herras V

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Merit hatte seine gute Laune bald wieder gefunden. Fröhlich pfeifend lief er voran, Maleris und Herras folgten ihm. Sie hatten gerade eine Rast an einer kleinen Waldquelle hinter sich, an der sie ihre Wasserbeutel gefüllt hatten. Erfrischt und gestärkt fiel ihnen das Laufen noch ein wenig leichter. Sie schwiegen in freundschaftlichem Einvernehmen. Herras versuchte, die Schönheiten des Waldes in sich aufzunehmen und mit ihnen seine dunklen Gedanken zu vertreiben. Maleris war vergnügt. Leichtfüßig schwebte sie geradezu über den unebenen Waldboden und machte sich einen Spaß daraus, ihrem Bruder hin und wieder einen falschen Zwischenton zuzupfeifen, um ihn aus seiner Melodie zu bringen. Ihr Lachen klang hell und klar durch den Wald und erhellte Herras’ Seele, wenn Merit sie mit einem gespielt strengen Blick bedachte.

Schließlich durchbrach Herras das Schweigen. »Warum hast du mir nicht gesagt, dass du die Tochter von Sollas bist?« Sie waren ganz unbewusst in eine mehr vertraute Anrede übergegangen, nachdem sich Maleris den beiden Männern angeschlossen hatte.

Ihr Blick verfinsterte sich ein wenig, als sie ihn kurz anblickte. »Wäre das von Bedeutung gewesen?«, fragte sie hart.

Herras wurde klar, dass er die falsche Frage gestellt hatte. Nun konnte er aber nicht mehr zurück. »Nein«, antwortete er zögernd, »es fiel mir nur auf. Du hast mir so viel über dich und dein Volk erzählt, daher wundert es mich, dass du gerade dies nicht erwähnt hast.«

Maleris schwieg einen Augenblick und Herras gewann schon den Eindruck, dass sie nicht weiterreden wollte, als sie leise seufzte. »Sollas ist nicht mein wahrer Vater, aber er nahm sich meiner Mutter und mir an. Er kümmerte sich um mich, als wäre er mein Vater. Er hat mir alles beigebracht, was eine Tochter von ihrem Vater lernen muss und hat mir alles gegeben, was ich brauchte. Es war seine Pflicht als Stammesführer. Meine Mutter und ich haben ihm viel zu verdanken...« Sie stockte.

»Aber?«, sprach Herras das unausgesprochene Wort aus, das zwischen ihnen hängengeblieben war.

»Nichts aber!«, erwiderte Maleris trotzig.

»Und was ist mit deinem leiblichen Vater geschehen?«, fragte er weiter, auch wenn er bereits damit rechnete, keine Antwort zu bekommen.

Der Schatten auf Maleris’ Gesicht verdunkelte sich noch weiter und ihre Wangenknochen zeigten, dass ihr Kiefer mahlte. Es war offensichtlich, dass es ihr nicht angenehm war, darüber zu reden.

»Er ist verschwunden«, antwortete sie schließlich. »Mein Vater war ein Einzelgänger. Er gehörte zwar zu unserem Stamm, aber hat immer seine eigenen Wege gesucht. Allerdings kam er immer wieder zurück, um sich um mich und meine Mutter zu kümmern ...bis er eines Tages nicht mehr kam.«

Wut und Trauer zeigten sich in ihrem Gesicht und bedrückendes Schweigen machte sich breit, als ihre letzten Worte verklungen waren.

»Das tut mir leid«, sagte Herras nach einem Moment leise.

Das Mädchen sah ihn mit traurigen Augen an. »Es braucht dir nicht leid zu tun. Es ist nicht deine Schuld und du konntest es nicht wissen, als du fragtest.«

Damit setzte Maleris der Unterhaltung ein Ende und beschleunigte ihren Schritt, um ein Stück vorauszugehen. Sie lief an Merit vorbei, der stehen geblieben war, als er bemerkt hatte, dass seine Begleiter ein Stück zurückgefallen waren. Er hatte den letzten Teil der Unterhaltung verfolgen können und trat nun neben Herras, als dieser zu ihm aufschloss. »Sie ist noch immer nicht darüber hinweg«, sagte er leise zu dem Allendasser und dieser nickte verstehend.

Es würde lange dauern, bis Maleris’ Stimmung sich wieder besserte. Schweigend lief sie voran und die Männer konnten ihre Tränen nicht sehen. Doch Herras und Merit ahnten, dass sie da waren.

Als der Abend nahte, wählte Merit einen geeigneten Platz für ihr Nachtlager. Unter einem großen Baum entfachte er ein Feuer und zog aus, um etwas Essbares zu erjagen. Auch Maleris entfernte sich ein Stück, um ihre spärlichen Kräutervorräte zu ergänzen.

Herras wurde die Aufgabe zugeteilt, auf ihre Habe zu achten. Allein und im Schein des Feuers übte er mit seiner Armbrust.

Die Gelegenheit für die Sellag wäre nun günstig gewesen, wenn sie nur da gewesen wären. Doch sie stampften schnaufend, mehrere hundert Meter entfernt, durch das Gebüsch. Über ihre Bemühungen, unentdeckt zu bleiben, hatten sie die drei Wanderer verloren und sie fluchten verbittert in sich hinein. Es dauerte noch seine Zeit, bis sie das Lagerfeuer einige Barret entfernt erspähten, doch dann war ihre Chance bereits ungenutzt verstrichen.

Herras’ Bemühungen verliefen leidlich. Als Maleris mit einen gefüllten Beutel zurückkehrte und sich mit dem Rücken an die große Eiche lehnte, unter der sie die Nacht verbringen würden, beschmunzelte sie sein Tun gutmütig.

Kurz darauf kehrte auch Merit zurück. Er war erfolgreich gewesen und brachte ihnen einen großen Vogel mit grau-braunem Gefieder. Herras hatte noch nie ein derartiges Tier gesehen.

»Eine Waldwachtel«, erklärte Merit auf seinen fragenden Blick hin. »Sie schmecken wirklich ganz hervorragend.«

Während der Vogel gerupft und ausgenommen unter Maleris’ wachsamen Augen über dem Feuer gebraten wurde, gab Merit Herras einige Unterweisungen im Umgang mit seiner bevorzugten Waffe. Herras’ Fertigkeiten besserten sich unter Merits Aufsicht stetig; seine Hände und Augen wurden ruhiger und bald traf jeder Pfeil mehr oder weniger genau sein Ziel (oder bewegte sich zumindest in dessen Richtung).

Nach dem reichhaltigen Abendmahl legten sich Maleris und Herras auf den belaubten Waldboden nieder und wickelten sich in ihre Decken. Merit hatte freiwillig die erste Wache übernommen. Er würde sich von Herras nach der Hälfte der Nacht ablösen lassen.

Es dauerte nicht lange, da war Herras in einen tiefen Schlaf gesunken.

Mitten in der Nacht riss ihn unvermittelt ein schriller, durchdringender Laut, der nach dem Schrei eines riesigen Raubvogels klang, aus dem Schlaf. Vor Schreck regungslos blieb Herras liegen und lauschte, doch es folgte kein weiteres Geräusch. Dann herrschte wieder Totenstille.

Maleris schien von dem Geräusch nicht geweckt worden zu sein, denn sie bewegte sich nur kurz im Schlaf und rührte sich nicht weiter.

Herras’ angstvoller Blick streifte den Merits.

»Nur ein Vogel«, meinte dieser ruhig.

»Das muss aber ein außergewöhnlich großer Vogel gewesen sein.« Herras schob seine Decke beiseite und kroch ein Stück näher an Merit heran.

»Ja, unser Stamm nennt ihn Olog«, erklärte Merit. »Vor fünfzehn Sommern hörten wir ihn zum ersten Mal. Seitdem scheint er uns immer zu begleiten, obwohl ihn noch nie jemand zu Gesicht bekommen hat. Er hat uns noch nie etwas zuleide getan. Mein Volk glaubt, die Götter haben ihn geschickt, um uns zu beschützen.« Er machte eine kurze Pause. »Ich denke, er fühlt sich einfach nur wohl bei uns. Er scheint allein zu sein und manchmal hört sich sein Schrei einsam und traurig an.«

Ologs Schrei erfüllte in dieser Nacht noch mehrmals den Wald, aber Herras fürchtete sich nun nicht mehr, denn Merit schien Vertrauen zu dem dunklen Schatten zu haben, der einmal im Schein des fahlen Mondlichts über sie hinweg flog. Doch so sehr er auch in die Dunkelheit hinausspähte, er konnte Olog nicht entdecken.

Die Sellag, die ein Stück entfernt unter einer dornigen Hecke lagen und Marek verfluchten, da er noch immer nicht bereit war, ihnen die Erlaubnis zum Angriff zu geben, vernahmen ebenfalls Ologs Schreie. Sie rückten ein wenig näher in der Dunkelheit und der Kälte der Nacht zusammen, denn die fremdartigen Laute hatten etwas Furcht erregendes und Gewaltiges an sich, etwas, das sie noch nie in ihrem Leben vernommen hatten.

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