Читать книгу Allendas - Nadine T. Güntner - Страница 15
Herras IV
ОглавлениеDie Blicke der Lemberusken begleiteten sie, als sie das Lager verließen. Herras konnte die unterschiedlichsten Gefühlsregungen auf ihren Gesichtern erkennen, als er ein letztes Mal über seine Schulter zurück sah. Von Mitgefühl und Trauer, über Erleichterung bis hin zu Zorn bot sich ihm alles dar. Herras hatte sich einen anderen Abschied gewünscht. Nur von Maleris war nirgendwo etwas zu sehen. Er hatte gehofft, das hübsche Mädchen noch einmal zu sprechen, bevor er ihren Stamm verlassen musste, hatte sich gewünscht, ihr einen letzten Abschiedsgruß übermitteln zu können, bevor er sie wahrscheinlich nie mehr wieder sehen würde, aber sie war nicht gekommen. Wahrscheinlich half sie ihrer Mutter dabei, sich um die Verletzten zu kümmern, versuchte sich Herras halbherzig zu trösten.
Mit einem leisen Seufzen wand er seinen Blick wieder Richtung Norden, wo seine Zukunft lag, und eilte hinter Merit her, der bereits ein Stück voraus gegangen war. Dem jungen Jäger fiel der Abschied von seinen Verwandten und Freunden erstaunlich leicht. Die Abenteuerlust schien seine Sinne zu beflügeln. Herras wünschte sich erneut, er könnte die Einstellung seines Weggefährten teilen. Doch war dankbar, dass Merit ihn begleitete, denn er war sich nicht mehr sicher, ob er allein den Mut aufgebracht hätte, seinen Weg zu gehen.
Herras’ Gedanken wanderten erneut in seine Heimat. Er fragte sich, was wohl aus König Hondor geworden war. Ob sein Freund noch lebte? Wäre es besser gewesen, wenn er sich nicht für ihn ausgegeben hätte? War er vielleicht wahrhaftig der letzte Überlebende seines Volkes?
Gleichgültig, wie es auch sein mochte, Herras hatte sich selbst einen Schwur geleistet. Er hatte sich geschworen, sein Land von den Besetzern zu befreien und er würde alles tun, um dieses Versprechen einzulösen. Der Gedanke daran erfüllte ihn nicht mit Zuversicht, aber mit Kraft, und als er zu Merit aufschloss, war er fest entschlossen, seinen Weg zu Ende zu gehen - was auch immer ihn erwarten mochte.
Vorerst kamen sie gut voran und als der Morgen hereinbrach, hatten sie bereits das Lager ein gutes Stück hinter sich gelassen. Bald fiel das erste Sonnenlicht durch die Wipfel der hohen Bäume. In diesem Teil des Waldes standen sie nun weniger dicht beieinander und ihr Blattwerk ließ genug Licht hindurch, um die Umgebung nicht mehr so düster wirken zu lassen.
Die Sonnenstrahlen färbten den Waldboden in satten Grün- und leuchtenden Goldtönen und die Luft war klar und rein. Als die Vögel zu singen begannen und auch Merit anfing, ein munteres Lied zu pfeifen, gelang es Herras tatsächlich ein wenig, seine Umgebung zu genießen. Er begann, sich etwas zu entspannen und mit einem Mal erschien die Last, die auf seinen Schultern lag, leichter zu werden. Die friedliche Stille des Waldes schien sich auf sein Gemüt zu übertragen.
Er folgte Merit, der geübt und leichtfüßig über den unebenen Waldboden lief, mühelos Baumstämme und Steine überwand und immer den richtigen Weg durch das Unterholz zu finden schien.
Plötzlich blieb Merit stehen und sein Pfeifen verstummte unvermittelt. Beinahe wäre Herras, der verträumt umhergeschaut hatte, gegen ihn gelaufen. Verwundert musterte er den Waldmenschen, dessen Blick sich plötzlich geschärft hatte.
»Habt Ihr das gehört?«, fragte Merit und deutete auf einen dichten Busch, den sie bereits ein Stück hinter sich gelassen hatten.
Herras schüttelte den Kopf. Er hatte kein Geräusch vernommen, dass ihm verdächtig erschienen wäre. Doch es wunderte ihn nicht, dass das geübte Gehör des Jägers mehr vernahm, als sein eigenes.
»Wir werden verfolgt«, stellte Merit fest und ließ dabei das Gebüsch nicht aus den Augen. Auch Herras bemühte sich, etwas zu erspähen, aber es war vergeblich.
»Könnt Ihr etwas sehen?«, fragte er und spürte, wie die Anspannung in ihm wieder anwuchs. Ein flaues Gefühl breitete sich in seiner Magengrube aus.
Merit zog sein Schwert. »Nein, aber ich habe Geräusche gehört, die eindeutig nicht von einem Tier stammen.«
»Und von wem oder was stammen sie dann?« Herras’ Aufregung klang deutlich in seiner Stimme mit. »Von den Sellag?«
»Möglich!« An Merit war noch immer kein Anzeichen von Furcht oder Unruhe zu erkennen. Sein Tonfall war noch immer gelassen. Er offenbarte nur ein großes Maß an Aufmerksamkeit. »Am besten, wir finden es heraus.«
»Wie wollt Ihr das anstellen?« Merit hörte, wie Herras hinter ihm einen Schritt zurück trat und wandte sich um. Der Mut schien den Menschen endgültig verlassen zu haben. Mit Missfallen zog Merit ein wenig die Augenbrauen zusammen.
»Herras, ich bitte Euch.« Der Waldmensch ließ sein Schwert sinken und stemmte beiden Hände in die Hüften, während er Herras tadelnd musterte. »Ihr müsst versuchen, ein bisschen mehr Willensstärke und Standhaftigkeit aufzubringen, wenn wir diese Reise gemeinsam bestehen wollen. Seid Ihr nicht der Hauptmann des Königs? Gab es denn überhaupt keine Gefahren in Eurem Land?«
Herras schüttelte erneut den Kopf. Gleichzeitig wurde ihm klar, dass Merit ihn offensichtlich für einen Feigling hielt. Vielleicht lag der Lemberuske mit dieser Vermutung auch gar nicht so falsch, gestand sich Herras ein. Doch er wollte vor seinem Gefährten nicht wie ein Schwächling dastehen und so nahm er all seinen Mut zusammen und straffte seine Gestalt. Dann zog er sein Schwert.
»Also, wie sieht Euer Plan aus?« Seine Stimme klang nun fester und Merit blickte ihn wohlwollender an.
»Ihr werdet vorgehen und ihn oder es aus seinem Versteck locken. Ich werde Euch mit meiner Armbrust den Rücken decken.«
Dem allendassischen Hauptmann behagte der Gedanke gar nicht, sich mit einem oder gleich mehreren Sellag konfrontiert zu sehen. Warum, bei Hembras, ging Merit nicht vor?
Herras musste diese Frage geradezu ins Gesicht geschrieben stehen, den Merit fügte hinzu: »Natürlich kann ich auch vorgehen und Ihr bleibt mit der Armbrust hier, aber ich darf Euch daran erinnern, dass Eure Schießkünste sehr zu wünschen übrig lassen.«
Diesem Argument hatte Herras nichts entgegenzusetzen und so wandte er sich, ohne weiter darüber nachzudenken, dem Strauchwerk zu und ging entschlossenen Schrittes darauf zu. Besser, er brachte es schnell hinter sich. Hinter ihm steckte Merit sein Schwert zurück in den Gürtel. Dann nahm er seine Armbrust vom Rücken und holte einen Pfeil aus dem Köcher. Er näherte sich Herras noch ein Stück und legte an.
Für seinen Geschmack hatte Herras das Gesträuch viel zu schnell erreicht. Als er nun davor stand, erschien es ihm, als konnte er durch das dichte Grün tatsächlich eine Gestalt dahinter kauern sehen. Aber er konnte nicht erkennen, um wen oder was es sich dabei handelte.
Mit erhobenem Schwert und einem letzten Blick zu Merit, der entschlossen seine Armbrust schussbereit hielt, streckte er zögernd seine freie Hand aus und griff zwischen die Zweige. Der Mensch rechnete damit, dass ihm sogleich jemand in den Arm beißen würde, doch das blieb ihm erspart. Dann bekam er etwas zu fassen, was sich nach weichem Stoff oder Leder anfühlte und zog mit einem Ruck daran. Zu seiner Überraschung brachte man ihm keinen Widerstand entgegen und kurz darauf erschien ein roter Haarschopf hinter dem Blattwerk. Wie vom Blitz getroffen, riss Herras die Augen auf und vor Erleichterung wurde es ihm beinahe schwindelig.
»Maleris!«, entfuhr es ihm überrascht. Fast ließ er sein Schwert fallen.
»Ich hatte erwartet, ihr würdet früher auf mich aufmerksam«, sagte das Mädchen und warf Merit einen schelmischen Blick zu. Dieser hatte seine Armbrust herunter genommen und schaute nicht weniger verdutzt, als Herras.
»Was macht du hier?«, fragte er scharf, als er seine Fassung wiedergewonnen hatte.
»Ich hab doch gesagt, dass ich mitkommen möchte.« Maleris trat hinter dem Strauchwerk hervor und blickte ihren Bruder trotzig an.
»Und Vater hat es dir verboten!« Nachdem Merit seine Armbrust wieder auf den Rücken gebunden hatte, verschränkte er die Arme vor der Brust und sah seine Schwester streng an.
»Mag sein, aber ich bin kein kleines Kind mehr und er kann mich nicht für ewig einsperren.« Maleris verschränkte ebenfalls ihre Arme und schob ihre Unterlippe ein wenig nach vorne. Ihre Augen funkelten entschlossen. »Außerdem bin ich noch immer der Meinung, dass euch meine Fähigkeiten von Vorteil sein können.«
Herras hatte sprachlos der Unterhaltung gelauscht. Er gewann den Eindruck, dass in Maleris eine ähnliche Abenteuerlust schlummerte, wie in ihrem Bruder.
»Aber werden Eure Eltern sich nicht sorgen?«, warf er ein.
»Ich habe ihnen ein paar Zeilen hinterlassen. Sie wissen, dass ich euch gefolgt bin«, erklärte sie gelassen.
»Wunderbar, wenn du dich beeilst, bist du zurück, bevor sie deine Nachricht finden und ersparst dir damit eine Menge Ärger«, sagte Merit, während er zu ihnen herantrat. Sein Ton glich dem seines Vaters.
»Ich werde nicht zurückgehen«, erwiderte Maleris eigensinnig.
»Doch das wirst du!«
»Nein!«
»Doch!«
»Nein!«
»Ihr werdet sie doch nicht allein durch den Wald zurückschicken wollen?« Herras konnte selbst kaum glauben, dass er die Worte laut ausgesprochen hatte. Wenn er jedoch ehrlich zu sich selbst war, freute er sich sehr darüber, dass die junge Heilerin bei ihnen war und er hätte sie nur schweren Herzens wieder ziehen lassen.
Merit machte eine hilflose Geste mit den Schultern und stieß ein leises Stöhnen aus. »Wie ich sehe, bin ich wohl überstimmt.« Er blickte Herras an und tat bewusst so, als wäre seine Schwester nicht anwesend, nur um sie ein wenig aufzustacheln. »Außerdem würde sie uns wahrscheinlich ohnehin die ganze Zeit nachlaufen.«
So einfach ließ sich Maleris allerdings nicht von ihrem Bruder aufziehen. »Das siehst du ganz richtig, Merit«, sagte sie trocken und ihr Bruder verdrehte kurz die Augen.
»Dann sind wir jetzt zu dritt?«, fragte Herras, um sich zu versichern, dass die Meinungsverschiedenheit zwischen den Geschwistern nun beigelegt war.
»So sieht es wohl aus«, erwiderte Merit missmutig. »Wir sollten jetzt weitergehen, denn wir haben bereits genug Zeit mit Kindereien verschwendet.« Ohne auf eine Antwort zu warten, drehte sich Merit um und ging davon. Maleris warf Herras ein Lächeln zu und folgte ihrem Bruder. Herras steckte sein Schwert zurück in die Scheide und folgte ihnen.
Während sich die Geschwister einige Meilen entfernt aufmachten, um ihren Weg mit Herras fortzusetzen, wurde im Lager des Stammes Andor Maleris’ Verschwinden bemerkt. Rulind fand den Brief auf der Lagerstatt ihrer Tochter, als sie Maleris am Morgen holen wollte, um mit ihr die Kräutervorräte aufzufüllen, die durch die bei dem nächtlichen Angriff verwundeten Männer fast völlig erschöpft waren. Sie las ihn mit Bestürzung und brachte ihn dann zu Sollas.
Der alte Anführer stieß ein leises Seufzen aus, als er die wenigen Zeilen gelesen hatte und sah die Sorge in Rulinds Augen. Ehrlich betrachtet wäre er verwundert gewesen, wenn seine Tochter anders reagiert hätte.
Sanft legte er die Hand auf Rulinds Arm. »Sie werden gut auf sie aufpassen, davon bin ich überzeugt«, flüsterte er ihr zu und wischte die Träne weg, die über ihre Wange rollte.