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Foto: privat

Von Nele Hermes

Unterstützung durch 15 Geschwister

„Wenige Monate, nachdem ich das Autokennzeichen verschwommen gesehen habe, war der Nullpunkt erreicht. Da habe ich praktisch nur noch schwarz gesehen.“ Im Alter von nur neun Jahren erblindet Marco Brontsch aus Neuenkirchen. Auch wenn damals eine Welt für ihn und seine Familie zusammengebrochen ist, hat der heute 19-Jährige vor allem mithilfe seiner Eltern und 15 Geschwistern gelernt, mit der Erblindung umzugehen. Kurz vor seinem zehnten Geburtstag 2005 hüpft Marco Brontsch aus Neuenkichen wie eigentlich täglich mit seinen Geschwistern auf dem großen Trampolin in ihrem Garten. „Ich weiß noch ganz genau, dass sich ein Auto, ein Audi, aus circa 50 Metern genähert hat. Ich habe mich mit meinen Geschwistern gestritten, welche Initialen und Nummern das Kennzeichen trägt“, erinnert sich der heute 19-Jährige zurück. „Ich konnte das Kennzeichen einfach nicht richtig erkennen.“

Der Besuch eines Augenarztes in Münster bringt erste Gewissheit über seine verschwommene Wahrnehmung: Eine Erblindungsgefahr bei Marco sei sehr groß, erklärt der Augenarzt Marco und seiner Mutter Lilia – ein Schock für die ganze Familie.

Wenige Monate später konnte Marco nicht mal mehr verschwommene Bilder mit seinem linken Auge sehen, sondern alles war nur noch schwarz. „Auf dem linken Auge war ich blind“, sagt Marco, auch wenn er mit dem rechten Auge noch ein bisschen habe sehen können, sei auch die Sehkraft des zweiten Auges immer schlechter geworden. „Mit meinem rechten Auge konnte ich noch meine damals neugeborene Schwester Sofie sehen. Lee David hingegen habe ich nach seiner Geburt nur noch ein ganz bisschen erkannt.“ Die sechs Geschwister, die nach dem heute elfjährigen Lee David geboren sind, habe er nicht mehr sehen können.

Offiziell heißt es, so der 19-Jährige, sei er seit dem 12. November 2005 erblindet. Was er allerdings noch minimal wahrnehmen kann, sind Kontraste wie Zebrastreifen oder ob ein Licht in einem Zimmer eingeschaltet ist.

Erlernen der Punktschrift

Vor allem seine Eltern und Geschwister haben ihm geholfen, mit der Herausforderung der Erblindung umzugehen, und waren für den jungen Mann eine große Stütze. Denn an den Blindenstock wollte sich Marco anfangs nicht gewöhnen. Zu groß sei die Angst gewesen, auf seine Behinderung reduziert zu werden.

Zu Hause zum Beispiel hätten seine Eltern Regeln eingeführt, damit er nicht mehr über Fahrräder oder Bänke stolpern konnte, erzählt Marco. So durften Gegenstände nur noch in bestimmten Bereichen vor dem Haus stehen. Außerdem halfen ihm seine Geschwister dabei, nach und nach die Punktschrift zu erlernen, und lasen ihm währenddessen einfach Bücher oder Zeitungsartikel vor. Fußball spielen und Trampolin springen war auch dank seiner Geschwister weiterhin möglich. Beim Kicken haben seine Geschwister ihm den Ball gebracht und auf dem Trampolin gesagt, wo die Mitte ist.

Aber auch seine Schulfreunde haben den 19-Jährigen durch die schwierige Zeit begleitet. Er sei weder gehänselt noch beschimpft worden, freut sich Marco, denn davor habe er viel Angst gehabt. Seine Mitschüler wären stattdessen sehr zuvorkommend gewesen.

Heute hat der 19-Jährige gelernt, mit seiner Erblindung zu leben, und wohnt in einem Internat in Hamburg. Er besucht ein Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte und steckt inmitten einer kaufmännischen Ausbildung. Den Kontakt zu seiner Familie hält Marco natürlich trotzdem.

Hilfe durch Apps

Die Nutzung eines Handys beispielsweise ist nämlich kein Problem. Seit 2013 nutzt er ein iPhone, das barrierefrei funktioniert. Mithilfe bestimmter Apps könne das Handy Farben, Zahlen und sogar seine Geschwister erkennen, wenn er Fotos von ihnen macht. Wettervorhersagen und einzelne, eingetippte Buchstaben würden beispielsweise einfach ausgesprochen.

Was Marco dennoch ein bisschen traurig macht, ist, dass er einige seiner 15 Geschwister nie gesehen hat. Denn auch nach seiner Erblindung haben seine Eltern noch Kinder bekommen. Als Zweitältester habe er bei neun Geschwistern ein Bild vor Augen, bei den jüngeren Brüdern und Schwestern hingegen nicht.

Dafür kann Marco seine Geschwister aber anhand der Schritte, Gangart und natürlich auch anhand der Stimmen erkennen. Dadurch, dass der 19-Jährige auf die Augen verzichten muss, haben sich seine anderen Sinne geschärft. Sein Gehör ist so mittlerweile überdurchschnittlich ausgeprägt.

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