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Von Kristina Hoppe
„Kein Spagat, sondern eine Grätsche“
Es ist ein Leben zwischen Business-Meetings und Baby-Brei – zwischen Homeoffice und Hausaufgabenbetreuung: Berufstätige Mütter müssen täglich den Spagat zwischen Job und Familie bewältigen, um allen Seiten gerecht zu werden. Wenn sie gleichzeitig auch noch eine Karriere wollen, müssen sie vor allem eines sein: perfekt organisiert.
Prominente Beispiele dafür, dass Kind und Karriere sich nicht ausschließen, sind aktuell Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig oder Yahoo-Chefin Marissa Meyer. Doch was nach außen hin so einfach aussieht, ist in Wahrheit oft ein organisatorischer Kraftakt und in Deutschland immer noch eher die Ausnahme: Denn nach Angaben des Statistischen Bundesamtes arbeiten 70 Prozent aller berufstätigen Mütter in Teilzeit.
„Es braucht ein komplettes Team, damit es klappt“, weiß auch Sonja Ende, Geschäftsführerin der Wirtschaftsförderung Osnabrück (WFO). Die 41-Jährige hat vier Kinder von drei bis sechs, arbeitet Vollzeit und ist gleichzeitig noch als Geschäftsführerin des Innovationscentrums Osnabrück tätig. In ihre Position bei der WFO ist sie eingestiegen, als ihre jetzt dreijährigen Zwillinge sechs Monate alt waren. Keine einfache Situation mit vier Kindern. „Wir bekommen gute Unterstützung von einer Tagesmutter und den Eltern. Außerdem kann ich mir in meinem Job auch mal Freiheiten rausnehmen. Ich weiß schon, dass wir da privilegiert sind“, so Ende, die den Spagat gemeinsam mit ihrem Mann meistert, der als Meeresbiologe viel unterwegs ist.
Dennoch sei der Alltag nicht immer einfach: „Morgens muss alles klappen, da gibt es nicht viel Flexibilität.“ Die Betreuung der Kinder bis zur Grundschule sei mittlerweile durch die Kitas und das U-3-Angebot ganz gut geregelt, auch wenn man mit Öffnungszeiten bis 16 Uhr einfach keinen normalen Arbeitstag abgedeckt bekomme. „Die nächste Herausforderung wird die Grundschule. Wir haben keinen Hort-Platz bekommen, und es gibt zu wenig Ganztagsangebote. Da muss sich noch was tun“, sagt Ende, die mit ihrem ersten Kind als selbstständige Beraterin noch viel gereist ist. „Ich hatte ein Au-pair dabei und hab dann zwischen den Meetings im Nebenzimmer gestillt“, erinnert sich Ende, die nicht nur Zuspruch für ihren Lebensentwurf erntet.
Kritik besonders von anderen Müttern
„Ich muss mir vor allem von Frauen viele Sprüche anhören und werde ständig kritisiert. Mütter sind da untereinander am schlimmsten“, so die 41-Jährige. Es sei nicht so, dass diese Kritik an ihr abpralle. „Mich schmerzen blöde Kommentare, und ich leide auch, wenn mein Kind morgens lieber bei Mama bleiben und nicht in die Kita gehen will. Da bin ich nicht anders als andere Mütter, aber ich arbeite eben gerne.“ Das schlechte Gewissen sei so ein „typisches Frauending“ – auch im Job: „Frauen geben sich oft mehr Mühe, damit sie die Vorurteile nicht bestätigen.“
Oft seien Mütter aber auch einfach effizienter bei der Arbeit. „Frauen kriegen ihre Aufgaben bis zum Abholtermin in der Kita fertig, weil sie es eben müssen“, so Ende. Vereinbarkeit bedeute für sie aber vor allem eines: „Dass Frauen die Wahl haben, so in den Beruf einzusteigen, wie sie es wollen.“ Für die Zukunft wünsche sie sich weniger Vorurteile und gläserne Decken und dass Frauen nur nach Kompetenzen eingestellt werden. „Wir brauchen mehr Vorbilder hier in Deutschland. In anderen Ländern wie Frankreich klappt das schon“, so die Vierfachmutter.
Das ewige schlechte Gewissen
Mit dem schlechten Gewissen plagt sich oft auch Funda Versluijs. Die 38-Jährige ist Niederlassungsleiterin der Gess Group in Münster – einem Personalmanagementunternehmen. Sie arbeitet jeden Tag von 8 bis 15 Uhr ohne Pause, damit sie ihr Pensum schafft. Dann holt sie ihre 18 Monate alte Tochter von der Kita ab. Doch auch nach Dienstschluss ist sie immer erreichbar und beantwortet Mails. „Für mich war klar, dass ich in meinen alten Job zurückkehre nach einem Jahr Elternzeit, aber es ist härter gewesen, als ich im Vorfeld gedacht hätte. Das ist kein Spagat, sondern eine Grätsche, die man machen muss“, so Versluijs. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei immer noch sehr schwierig – vor allem in einer Führungsposition. „In Teilzeit hätte ich den Posten leider nicht behalten können. Das war schnell klar.“
Zwischenzeitlich habe es auch Überlegungen gegeben, dass ihr Mann Teilzeit arbeite, um die Betreuung zu stemmen. „Vor der Geburt macht man Kurse und wird vorbereitet, aber keiner sagt dir, wie es hinterher weitergeht und wie es wirklich ist, ein Kind zu haben. Man ist mit dem Thema Beruf und Betreuung völlig auf sich allein gestellt“, findet Versluijs. Organisation und Logistik in Kombination mit einem guten Umfeld seien dabei unerlässlich. Wenn man keine Hilfe habe, sei es schwierig. „Unsere Eltern können aber nur bedingt einspringen. Wenn unsere Tochter mal krank wird, dann wechseln mein Mann und ich uns ab“, so die 38-Jährige.
Hoher Druck auf Frauen mit Kind
Der Druck sei schon groß. Als Frau mit Kind sei es hart auf dem Arbeitsmarkt. Da werde man auch schon mal unverblümt nach dem Wunsch nach einem zweiten Kind gefragt. „Damit es mit der Karriere als Mutter klappt, braucht man auch verständnisvolle Kollegen. Ich habe mit meinem Arbeitgeber und meinem Team viel Glück.“ Vereinbarkeit hat für Funda Versluijs aber auch noch mit einer ganz anderen Sache zu tun: „Ich muss das mit mir selbst als Mutter vereinbaren. Ich bin einfach nicht mehr wie vorher. Für mich ist klar, dass mein Kind immer vorgeht.“
Alleinerziehend und am Arbeiten
Noch schwieriger wird die Situation allerdings, wenn man alleinerziehend ist. So wie Christine Finke. Die 49-Jährige hat drei Kinder (15, 9 und 6), ist Stadträtin in Konstanz und arbeitet selbstständig als Autorin und Journalistin. Außerdem ist sie erfolgreiche Bloggerin. Auf ihrer Seite www.mama-arbeitet.de beschäftigt sie sich mit Themen rund um Familie und Vereinbarkeit. Erst kürzlich sorgte sie mit ihrer Petition zur Abschaffung der Bundesjugendspiele auch in den Medien für Furore. „Es ist jeden Tag wieder eine Herausforderung. Ich habe keine Familie vor Ort, keinen netten Exmann, der hilft, ich bin wirklich ganz alleine. Mir hilft eine Mischung aus guter, vorausschauender Planung und Improvisation“, so Finke. Allerdings würde sie mehr leisten können und besser dastehen, wenn sie mehr arbeiten könne. Doch gerade in den Schulferien sei das schwierig.
Ein Leben ohne Arbeit und Karriere kann sich die promovierte Sprachwissenschaftlerin nicht vorstellen: „Müttern wird ja nachgesagt, sie interessierten sich nach der Geburt gar nicht mehr voll und ganz für den Job, sondern seien mit dem Kopf eher bei den Kindern. Da kann ich auch wieder nur für mich sprechen: Wenn ich arbeite, dann bin ich voll und ganz bei der Arbeit. Genau das ist es ja, was mich daran reizt und herausfordert.“
Immer noch viele Vorbehalte
Leider gebe es immer noch viele Vorbehalte: „Wenn in den Führungspositionen nur weiße ältere Männer sind oder junge Schlipsträger, dann wird es ganz schwierig, hier neue Strukturen zu schaffen. Deswegen bin ich auch absolut für eine Frauenquote, und zwar nicht nur auf Vorstandsebene. Ich denke da ziemlich radikal und kann mir sogar eine Mütterquote oder eine Alleinerziehendenquote für Unternehmen vorstellen.“ Auch was das Thema Teilzeit angeht, hat Christine Finke eine eindeutige Meinung: „Es ist möglich, Führungspositionen auch per Jobsharing zu teilen. Das wird auch schon praktiziert, aber die meisten Firmen haben Vorbehalte, solche neuen Modelle auszuprobieren.“ Aber zum Glück gebe es auch einige Männer, die Familien neu denken wollen und finden, es sei an der Zeit, die Rollen neu zu verteilen. „Ich glaube, das macht auch etlichen Frauen mehr Lust auf Familie und Kinder“, so Finke.
Für sie bedeute Vereinbarkeit, Kinder und Eltern als wertvolle Ressource zu sehen, die besonderen Schutz brauchen. „Dieser Schutz sollte auch beinhalten, dass es möglich ist, zu arbeiten und für das eigene finanzielle Auskommen zu sorgen, obwohl Mann oder Frau Kinder hat.“