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ОглавлениеVon Hildegard Wekenborg-Placke
Tollpatschig? Oft steckt ein Sehfehler dahinter
Der Nachwuchs läuft endlich, sogar einigermaßen sicher. Aber dann ist da die Tür weit offen, und das Kind läuft trotzdem gegen den Rahmen. Oder: Essen gehen mit Sohnemann. Der ist zweieinhalb und eigentlich im Stande, ein Glas zu halten und daraus zu trinken. Aber jedes Mal greift er daneben, und der Inhalt ergießt sich über den Tisch? „Manche sind einfach nur tollpatschig“, meint der Bramscher Augenarzt Peter Großerhode. Aber viele Eltern machen sich Sorgen und fragen lieber einen Fachmann. Zu Recht, meint der Mediziner.
Schielen nicht normal
Sehstörungen sind auch im frühkindlichen Alter nicht selten. Auf was sollten die Eltern achten, haben wir den Fachmann gefragt. „Ganz offensichtlich ist meist das Schielen, überkreuz oder nach außen. Viele Menschen denken ja, dass das bei Säuglingen noch normal ist. Aber wenn es mehr als ein gelegentlicher Ausrutscher bei Müdigkeit ist, dann sollte man schon zum Arzt gehen. Normal ist Schielen eigentlich nie“, meint er.
Neben dem Schielen sollte den Eltern schon zu denken geben, wenn das Kind keinerlei Interesse an Bilderbüchern oder kleinen Dingen zeigt, meint der Augenarzt weiter. Dennoch: „Man bemerkt Probleme häufig auch gar nicht, vor allem, wenn nur ein Auge betroffen ist. Die Kinder sehen dann mit einem Auge genauso gut wie mit zwei Augen. Das kann man nur mit einer Untersuchung feststellen“. Manchmal hilft dann schon, das starke Auge abzukleben, damit das Schwächere genutzt werden muss. Wichtig ist nur, dass das früh geschieht. Die prägende Zeit für die Entwicklung des Sehvermögens liegt zwischen dem achten und neunten Monat, warnt Großerhode.
„Wenn eine Sehschwäche erst bei den regulären Vorsorgeuntersuchungen mit drei bis vier Jahren oder bei der Schuluntersuchung festgestellt wird, ist es eigentlich schon reichlich spät. Wir Augenärzte empfehlen also schon, dass man mit den Kindern einmal vor dem dritten Lebensjahr zum Augenarzt geht“, sagt Großerhode. Und er fährt fort: „Ein kleines Schielen, so um ein, zwei Grad, das merkt man nicht, aber es führt automatisch dazu, dass sich nur ein Auge richtig entwickelt. Das schwächere Auge wird sozusagen abgeschaltet“, erläutert Großerhode.
Eltern sensibilisiert
Alles in allem freut den Arzt aber, dass viele Eltern heute aufgeklärt und für das Thema „gutes Sehen“ sensibilisiert seien. „Kinder sind das wichtigste Gut der Eltern. Für sie tut man alles. Deswegen kommen die Eltern früh zu uns, besonders, wenn sie selbst eine Brille tragen“, sagt er. Sie tun gut daran, denn die Veranlagung zu Fehlsichtigkeit ist durchaus erblich. Auch Frühgeborene oder Kinder mit Down-Syndrom tragen ein hohes Risiko.
Mit einem zappelnden Kleinkind zum Augenarzt, das kann für alle Beteiligten in vieler Hinsicht zur Herausforderung werden. „Das ist natürlich noch kein Alter, wo man wirklich eine Sehschärfe testen kann“, räumt der Facharzt ein. Manche Kinder sind schüchtern, manche verstecken sich. Trotzdem könne man schon spielerisch und mit einigen technischen Hilfsmitteln feststellen, ob ein Astigmatismus (Hornhautverkrümmung) vorliegt, oder ein einseitiger Sehfehler.
Tricks der Augenärzte
Aber Augenärzte haben ihre Tricks. . „Man leuchtet zum Beispiel einfach mit der Lampe in die Pupille, um zu sehen, ob der Rotreflex, der beispielsweise bei billigen Kameras zu den „roten Augen„ führt, auf beiden Augen gleich ist. Wenn das so ist, hat man schon ganz viele Sachen ausgeschlossen, Netzhauttumore zum Beispiel, ein starkes Schielen oder einen staken Sehfehler“, erklärt Großerhode.
Wenn sich aber Hinweise auf eine Sehstörung ergeben und möglicherweise doch eine Brille her muss? „Man kann die Kinder ja nicht fragen, „siehst du so oder so besser?“. Deshalb muss immer die Pupille mit Atropin oder anderen Augentropfen erweitert werden“, sagt Großerhode. Bei kleinen Kindern geht das häufig sogar im Schlaf. Viele Kinder finden das Tropfen aber nicht besonders angenehm oder regieren verstört, weil die Welt auf einmal ganz anders aussieht als gewohnt.
Mitarbeit der Eltern
Großerhode setzt da ganz auf die Mitarbeit der Eltern. „Wenn Mama tropft, ist das auf alle Fälle besser, als wenn wir das in der Praxis machen. Die Kinder bekommen dann möglicherweise ein negatives Bild von der Praxis, und das könnte bei weiteren Untersuchungen ein Problem werden“, meint er. Mama oder Papa vergibt das Kind die unangenehme Prozedur eher. Wenn alles überstanden und die Brille da ist, machen die Kinder nicht selten einen „richtigen Entwicklungsschub“. „Dann sagen Eltern zu mir: ,Der traut sich jetzt Sachen, die er sich vorher nie getraut hat“, erzählt Großerhode.
Wenn aus dem Kleinkind langsam ein Teenager wird, gibt es (vielleicht) ganz andere Themen. „Manche Kinder wollen unbedingt eine Brille, weil es so cool ist. Andere brechen in Tränen aus. Es kommt immer auch ein bisschen auf die Persönlichkeit und die Stellung der Kinder in einer Gruppe an. Wenn Kinder in einer Gruppe, in der es keine Brillenträger gibt, eher so am Rande stehen, dann ist eine Brille natürlich eine Katastrophe, Bei Wortführern ist die Brille eher cool“, sagt der erfahrene Augenarzt. Aber das ist wohl nicht nur bei Kindern so.