Читать книгу Tarmac - Nicolas Dickner - Страница 12

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8. Albert Einsteins vierundzwanzig Anzüge

Als die Schule wieder anfing, klopfte ich morgens beim Zoogeschäft an die Tür. Hopes Mutter war gerade gegangen, und alles, was von ihr geblieben war, war ein Haufen lauwarmer Decken auf der Ausziehcouch. Das war mir nur recht: Ich hatte es nicht eilig, dieses psychiatrische Phänomen kennenzulernen.

Auf dem Weg zur Schule klaute Hope eine Zeitung, die aus einem Briefkasten herausragte. Auf der ersten Seite prangte ein Bild des Planeten Neptun, aufgenommen von der Raumsonde Voyager 2. Da Hope bei mir nicht die nötige Begeisterung dafür entdecken konnte, erklärte sie mir, dass die Sonde 1977 ins All geschossen worden war und dass die zwölf Jahre, die sie bis zu Neptun gebraucht hatte, uns auf ganz wunderbare Weise die unendliche Weite des Universums und die Winzigkeit unserer Erde vor Augen führen würden.

So betrachtet schien die Tatsache, dass die Schule wieder begann, eher unbedeutend. Astronomie ist schon eine tolle Sache.

Auf dem Schulhof wimmelte es von Menschen. Der Unterricht begann in zehn Minuten, und zweitausend Schüler drängten sich vor den Treppenaufgängen. Hope und ich hatten uns in eine ruhige Ecke verzogen und beobachteten von dort das Gewühl. Dann und wann zeigte ich ihr einen Lehrer, der unseres Interesses würdig erschien oder vor dem man sich in Acht nehmen musste. Hope fragte mich, ob es Schüler gab, die ich sehen wollte.

»Nein, nicht wirklich.«

Was natürlich nichts anderes hieß, als dass es im Moment niemanden gab, den ich lieber sehen wollte als Hope.

Mit verschränkten Armen beäugten wir das Kommen und Gehen der Schüler in ihren neuen Klamotten und ausgetüftelten Frisuren und ihrem gepflegt-coolen Wortschatz. Erst da fiel mir auf, dass Hope seit einer Woche dieselben Kleider trug: eine uralte, löchrige Jeans, eine abgewetzte Baseballmütze und ein graues T-Shirt. Aber waren es tatsächlich dieselben? Vielleicht folgte sie dem Beispiel Albert Einsteins, der angeblich vierundzwanzig gleiche Anzüge besaß, um sich nicht lange mit der morgendlichen Kleiderfrage aufzuhalten.

Die Anekdote brachte Hope zum Schmunzeln. Auch sie kannte zwei, drei Dinge über das Leben des großen Physikers. Zum Beispiel hatte Einstein tatsächlich einen Brief an Präsident Roosevelt geschickt, mit der Bitte, die Atombombe zu entwickeln, bevor die Deutschen es täten. Er war wirklich Anhänger des sozialistischen Zionismus gewesen und hatte um 1950 das Amt des israelischen Staatspräsidenten abgelehnt. Und er hatte ehrlich gesagt: »Ich bin nicht sicher, mit welchen Waffen der Dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im Vierten Weltkrieg werden sie mit Teppichmessern aus dem örtlichen Baumarkt kämpfen.«

Von der Geschichte mit den vierundzwanzig gleichen Anzügen hatte Hope allerdings noch nie gehört.

In Wahrheit trug sie immer dieselben Kleider, weil es die einzigen waren, die sie beim Aufbruch aus Yarmouth hatte mitnehmen können. Jeden Abend wusch sie ihr Oberteil und ihre Unterwäsche im Spülbecken in der Küche, doch nach drei Wochen räumte sie ein, dass es an der Zeit war, bald eine andere Lösung zu finden.

Vielleicht musste man über das System Einsteins noch einmal nachdenken?

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