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11. Ein über längere Zeit problemlos bewohnbarer Raum

Hope verbrachte immer mehr Zeit bei uns im Keller. In Anbetracht der, höflich ausgedrückt, ungewöhnlichen Stimmung im Randall’schen Zoogeschäft hielt ich das auch für das Klügste. Sie musste auf andere Gedanken kommen, und während wir unsere Abende vor dem Fernseher verbrachten und uns mit einem Schälchen Knabberbrezeln in unserer Reichweite auf dem großen weichen Sofa fläzten, setzten ihre Russischlehrbücher langsam Staub an.

The Nature of Things war gerade zu Ende, und wir durchschritten die wöchentliche Talsohle: Nach Sensei Suzuki konnte in Hopes Augen nichts wirklich Bestand haben.

Beim Durchzappen der Kanäle stieß ich auf eine Reportage der BBC über die Ausgrabungsarbeiten in Pompeji. Hope gab vor, sich ausschließlich für die Werbung zu interessieren – sicher nur, um mich damit auf die Palme zu bringen. Bei jeder Unterbrechung mimte sie eine Ekstase, fiel in Trance oder suchte nach geheimen Botschaften in den Spots für Tampons (größte Freiheit, ultimatives Gefühl).

Warum interessierten sich die Leute nicht mehr für Archäologie?

Unter der sengenden Sonne wühlten unterbezahlte Praktikanten mit Pinsel und Kelle im Boden herum. Eine italienische Archäologin erklärte eine der großen Besonderheiten dieser Ausgrabungsstelle: Bei den Grabungsarbeiten stieß man hier und dort auf Hohlräume, die durch die Körper der Vulkanopfer entstanden waren. Es genügte, diese mit Gips auszugießen und die Hohlform mit Steinscheren freizulegen, und schon erhielt man das dreidimensionale Abbild eines Pompejaners genau im Augenblick seines Todes. (Dieses Detail konnte Hopes Aufmerksamkeit für einen kurzen Augenblick fesseln.)

Die Kamera wanderte durch ein Lager mit Dutzenden solcher Abgüsse. Regalweise lagen dort erstickte römische Bürger, zusammengekrümmt, aneinandergedrückt – eine ganze Bevölkerung wie aus Beton.

Ich fragte mich, ob der Ausbruch des Vesuvs einige Pompejaner möglicherweise bei ihrer letzten Kopulation überrascht hatte, und wenn ja, ob die Archäologen in diesem Fall aussagekräftige Abgüsse davon gemacht hatten.

Hope gähnte, kratzte sich den Bauchnabel. Sie streckte den Arm zur Schüssel, fand darin aber nur noch ein paar Körnchen grobes Salz.

»Gibt’s noch Brezeln?«

Ich reichte ihr die Tüte. Auf dem Bildschirm tauchten Mauerreste mit antiken Graffiti auf. Die Römer hatten nicht bis zur Erfindung der Sprühfarbe gewartet, um öffentliche Wände zu verunstalten. Hope war aufgestanden, tigerte durch das Kellergeschoss und suchte dabei etwas in ihrer Tasche. Sie warf einen längeren Blick auf das Bild meiner Tante Ida mit ihrer Flotte Betonmischer und blieb dann vor meinen Science-Fiction-Romanen stehen.

»Hast du die alle gelesen?«

Ich nickte. Sie wischte sich die Finger an ihrer Jeans ab, zog Isaac Asimov aus dem Regal und blätterte darin.

»Und wo kaufst du die?«

»Bei Youri. Ein Secondhand-Buchladen in der Rue Lafontaine.«

Sie ließ den Blick von oben bis unten über das Regal schweifen und kniete sich schließlich vor die Archäologiebücher auf dem untersten Bücherbrett. Und natürlich entlockte ihr dieses Nebeneinander ein Lächeln: Wie die meisten meiner Zeitgenossen konnte auch Hope nur schwerlich die naturbedingte Komplementarität zwischen Science-Fiction und Archäologie nachvollziehen.

Die Reportage ging zu Ende, und Hope verlangte umgehend nach aktuellen Nachrichten. Ich drückte auf die Fernbedienung, gerade noch rechtzeitig, um mitzubekommen, wie der Nachrichtensprecher die großen Schlagzeilen verkündete: verheerend, Taifun, Thailand.

Gay war der heftigste Taifun, der die Malaiische Halbinsel seit Jahrzehnten heimgesucht hatte. Dabei erreichte er Windgeschwindigkeiten bis fast zweihundert Stundenkilometer, man sah ein kleines Haus wie eine leere Pappschachtel davonfliegen – ein Bild des Grauens. Hätte unser Bungalow besser standgehalten?

»Interessante Frage«, murmelte Hope.

Sie besah sich unser Kellergeschoss genau, bevor sie erklärte, dass der nordamerikanische Bungalow bei eingehender Betrachtung gewisse Eigenschaften eines Bunkers aufweise. Er sei eine der wenigen modernen Behausungen, die zu fünfzig Prozent unter der Erdoberfläche lagen.

»Früher hatten die Häuser einfache Keller, Krypten, Vorratsräume, Hohlräume zur Verlegung von Rohrleitungen oder Verstecke für Kalaschnikows. Das Kellergeschoss des nordamerikanischen Bungalows ist jedoch etwas anderes. Es ist isoliert, beheizbar, wohnlich eingerichtet, mit Betten ausgestattet, mit Kühlschränken, Kühlkammern, Fernsehern, mit Telefonen und Gesellschaftsspielen.«

»Nicht zu vergessen den Angorateppich!«

»Ganz genau … anders gesagt, ein über längere Zeit problemlos bewohnbarer Raum.«

Während sie sprach, hatte sie eine verlorengegangene Brezel zwischen zwei Sofakissen geborgen.

»Das moderne Kellergeschoss entstand zu Zeiten des Kalten Krieges und ist das Produkt einer zukunftsbesessenen Zivilisation. Aber wenn man genau darüber nachdenkt, haben zuletzt die Steinzeitmenschen so zahlreich unter der Erde gewohnt.«

Sie warf die Brezel hoch in die Luft. Diese beschrieb eine perfekte Parabel, bevor sie zwischen ihren Zähnen landete. Knack.

»Merke: Modernität ist etwas sehr Relatives.«

Ausgefuchste Hope.

Beim Wetterbericht schlief sie ein, den Kopf im Nacken, und murmelte unverständliche Kommentare. Ich stellte den Fernseher leiser, legte Hope eine Decke über die Beine und sah ihr einen Moment lang beim Schlafen zu.

Das menschliche Gehirn verfeuert angeblich ein Fünftel der vom Körper hergestellten Energie, bei Hope war es aber ganz offensichtlich mehr – und während sie mit geschlossenen Augen ruhig vor sich hin atmete, stellte ich mir vor, wie ihr Großhirn in aller Ruhe ein paar Kügelchen Uranium 235 spaltete.

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