Читать книгу Tarmac - Nicolas Dickner - Страница 7
Оглавление3. Die Randalls
Mary Hope Juliet Randall, genannt Hope, war die jüngste Vertreterin einer Familie, die seit einem nicht mehr genau bestimmbaren Moment – einige sprachen von sieben Generationen – an schweren Weltuntergangsvorstellungen litt.
Die Randins, eine Familie wohl weitestgehend akadischer Herkunft, waren 1755 von den Briten deportiert worden. Nach ihrer Aussetzung auf Maryland änderten sie den Familiennamen in Randall, ohne sich jedoch assimilieren zu lassen, und kehrten nach Neuschottland zurück, wo sie Jahrzehnte darauf verwandten, sich karges Torfland anzueignen.
Man könnte nun glauben, dass die familiäre Obsession für die Apokalypse in diesem geopolitischen Trauma ihren Ursprung fand. Denn war es nicht nachvollziehbar, wenn nicht gar unvermeidlich, dass die Nachkommen deportierter Bauern gegenüber städtischen Ballungsgebieten, großen Katastrophen und einem normalen Verlauf der Geschichte gewisse Vorbehalte hegten? Doch fand diese Theorie keinen Konsens, so dass schließlich einige Genealogen die Weltuntergangsvorstellungen einer Erbkrankheit zuschrieben, die sich aufgrund blutsverwandter Ehen entwickelt habe (die Randalls waren recht häuslich veranlagt).
Fest stand, dass dieselben Symptome sich mit choreographischer Präzision von Generation zu Generation wiederholten: Sobald ein Mitglied der Randall’schen Familie, egal ob männlich oder weiblich, die Pubertät erreichte, wurde es auf übernatürliche Weise und sehr detailgenau über den künftigen Weltuntergang in Kenntnis gesetzt: über Datum, Uhrzeit und Hergang.
In aller Regel kam diese Vision in der Nacht. Genau genommen handelte es sich dabei nicht wirklich um eine Vision – diese hätte man als einen gewöhnlichen Albtraum abtun können. Nein, die Randalls erlebten das Weltende in Echtzeit und 3D. Sie spürten das Regenprasseln und die Verbrennungen auf ihrer eigenen Haut, sie erstickten in Feuersbrünsten, schmeckten die Asche, hörten die Schreie, rochen den Gestank verwesender Leichen.
Die Randalls nannten dieses Phänomen die »nächtliche Offenbarung«, das »Licht«, die »Prophezeiung« oder gemeinhin »die kleine Höllentour«.
Jeder Randall bekam übrigens ein anderes Datum offenbart, was es gehörig erschwerte, mit dem jeweils eigenen Weltuntergang ernst genommen zu werden. Wenn ein Randall dann den Tag seines Weltuntergangs überlebte, zeigte sich bei ihm zumeist plötzliches seelisches Ungleichgewicht oder ein Hang zur Beschädigung öffentlichen Eigentums. Die Geschichte endete üblicherweise in der Irrenanstalt oder in sonstigen einschlägigen Einrichtungen.
Der Familienstammbaum der Randalls wäre bestens dafür geeignet, an ihm die Geschichte der nordamerikanischen Psychiatrie über die letzten einhundertfünfzig Jahre aufzuzeigen, vom eiskalten Duschen über die Lobotomie, die Beschäftigungstherapie, die Zwangsjacke und das Lithium bis zur offenen Psychiatrie.
1. Fall: Harry Randall Truman, Urvater der Familie, verlor den Verstand im Herbst 1835, kurz nachdem der Halleysche Komet an der Erde vorbeigeflogen war. Er hatte die Rückkehr Moses’ auf einem strahlend weißen Walfänger verkündet und dann in der Scheune eines presbyterianischen Pfarrers Feuer gelegt. Nachbarn hatten ihn überwältigen und fesseln können und ins Halifax Mental Asylum verfrachtet, wo er den Rest seines Lebens in der Abteilung für Pyromanen und andere Soziopathen verbrachte.
37. Fall: Gary Randall hatte sich fünfzehn Jahre lang in einer Sperrholz-Hütte verschanzt, durch deren Fenster er die – in diesem Landstrich äußerst seltenen – Psychotherapeuten mit seinem Zwölfer-Kaliber begrüßte. Man fand ihn erfroren an sein Gewehr geklammert, nachdem die Temperatur eines Morgens plötzlich auf minus vierzig Grad gefallen war: steif und blau und endlich von seinem Wahn erlöst.
53. Fall: Henry Randall jr., Hopes Großvater, der noch die große Wirtschaftskrise miterlebt hatte, zeigte sich weniger destruktiv. Er kanalisierte seine Ängste, indem er die Reformierte Minoritätenkirche des Siebten Wiederkäuers gründete, eine parachristliche Sekte, die das Armageddon für den 12. Juni 1977 angekündigt hatte. Eine vergleichsweise durchaus gesunde Art, seine Zeit totzuschlagen. Die Kirche existierte bis zu besagtem Datum, nach dessen Verstreichen sich Henry das Leben nahm, er schluckte eine Handvoll Dachnägel.
Ähnlich erging es Gary Randall, Harry Randall, Harriet Randall, Hanna Randall, Henry Randall, Randolph Randall, Handy Randall, Hans Randall, Hank Randall, Annabel Thibodeau (geborene Randall), Henryette Leblanc Randall, Hattie Randall, Pattie Randall und anderen – während die Tage friedlich und unbeirrbar verstrichen und der Planet beharrlich wie ein schlechter Witz seine Kreise zog.