Читать книгу Tarmac - Nicolas Dickner - Страница 6
Оглавление2. Das Zoogeschäft
Sie hieß Hope Randall und war gerade aus dem neuschottischen Yarmouth hergezogen.
»Weißt du, wo das liegt?«
Sie zeichnete mit dem Zeigefinger eine Karte Neuschottlands in die Luft und setzte einen Fliegenschiss auf das südliche Ende der Halbinsel, direkt gegenüber dem Bundesstaat Maine – eintausendzweihundert Kilometer entfernt von hier.
»Nie gehört.«
»Das macht nichts.«
Erst vor drei Tagen waren sie und ihre Mutter angekommen und hatten in der Rue Amyot eine Bleibe gefunden: eine Wohnung, eingezwängt zwischen dem Waschsalon Clean-O-Matic und den Küchenräumen des Chinese Garden. Zwei berühmt-berüchtigte Orte der Reinheit und Hygiene in der Stadt.
Sie drehte den Schlüssel ein paarmal im Schloss und trat gegen die Tür.
»Willkommen in Randalls Zoogeschäft!«
Und plötzlich erinnerte ich mich wieder: Hier befand sich einmal eine Zoohandlung, Die Arche Noah (sic), geschlossen seit dem vorigen Winter und jetzt in eine allerdings nur halbwegs bewohnbare Behausung umgebaut. Auf dem Boden konnte man noch die Verfärbungen erkennen, wo Verkaufstresen, Regale und Aquarien gestanden hatten. Asiatischer Frittiergeruch lag in der Luft, ohne jedoch den Gestank von Papageienscheiße, Katzenkot und Chinchilla-Urin überdecken zu können.
Die Möblierung war im Preis inbegriffen, sie bestand aus einem wackeligen Tisch, vier Stühlen, einer Grundausstattung an zerbeulten Elektrogeräten und einer Couch, die, in Abwesenheit eines Fernsehers, dem Betrachter vollkommen überflüssig erschien.
Hope beteuerte, noch keine zweiundsiebzig Stunden hier zu sein, doch stapelten sich in allen Ecken unglaubliche Mengen an Lebensmitteln: säckeweise Mehl und japanische Ramen-Nudeln, Wasser und Öl in Fässern, allerlei Konservendosen. Genau genommen war im näheren Umfeld das Einzige, was nicht zum Verzehr bestimmt war, ein Stapel von Russisch zu Hause lernen (die Bände 8, 14 und 17), auf den Hope vorsichtig den Band Nummer 13 legte, den sie mit ins Stadtstadion genommen hatte.
»Hast du Durst?«
Ich nickte. Während sie mir ein Glas Wasser einschenkte, schaute ich mich in der Zoohandlung neugierig nach angrenzenden Zimmern um. Abgesehen von einem auffällig geräumigen Badezimmer – zweifellos dem ehemaligen Reptilienraum – gab es offenbar kein weiteres Zimmer. Aber wo schliefen sie dann? Hope, die meine Frage erahnte, deutete auf die Couch:
»Die kann man ausziehen. Und ich schlafe im Bad, bei geschlossener Tür. In weniger als drei Metern Abstand von meiner Mutter kriegt man kein Auge zu.«
»Schnarcht sie?«
»Nein, sie redet im Schlaf.«
»Aha?«
Ich trank einen Schluck Wasser. Ein bedenklich metallischer Geschmack:
»Und was erzählt sie so?«
Besorgt begann Hope an ihrem Daumennagel zu kauen:
»Keine Ahnung. Irgendwas auf Assyrisch.«
»Auf Assyrisch?«
»Assyrisch oder Armenisch, was weiß ich. Von toten Sprachen habe ich keine Ahnung.«
Mit einem Biss kaute sie einen schmalen Nagelstreifen ab und spuckte ihn weg:
»Ich komme aus einer mehrsprachigen Familie.«
»Ganz offensichtlich«, sagte ich und deutete mit dem Fuß auf die Russischlehrbücher.
»Ich hatte auch mit Deutsch angefangen, musste aber einen Teil meiner Bücher in Yarmouth zurücklassen, weil sie nicht mehr ins Auto passten.«
»Zurücklassen?«
»Ja. Wir sind nachts aufgebrochen, weil …«
Sie seufzte:
»Okay. Fangen wir lieber am Anfang an.«