Читать книгу Das Haus der Spione - Nicole-C. Vosseler - Страница 10

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Die Turmuhr von All Hallows Barking schlug die zwölfte Stunde. Mitternacht.

Sir Francis Walsingham legte die Feder beiseite und streckte seine steif gewordenen Finger. Es würde wieder eine lange Nacht werden. Seit Stunden schon wartete er auf die Ankunft eines seiner Kuriere aus den Niederlanden. Geistesabwesend tastete er nach dem Becher, der neben den ausgebreiteten Papieren auf dem Schreibtisch stand. Beim ersten Schluck verzog er das Gesicht. Wieder solch ein widerliches Gebräu, das seine Frau Ursula aus ihrem Kräutergärtchen zusammengemischt hatte! Er wusste ja, dass sie es gut meinte mit ihren Bemühungen, all die Zipperlein zu lindern, die ihn plagten: Gicht, Gallensteine, ein nervöser Magen. Doch dem, was ihm wirklich zu schaffen machte und erdrückend auf seinen Schultern lastete, war mit keinem Kräutertrank beizukommen. Es war die Sorge um England und seine Königin.

Seufzend erhob er sich und ging die paar Schritte zum Fenster. Er öffnete es und kippte den Inhalt des Bechers durch die schmiedeeisernen Gitterstäbe hinunter auf das Pflaster. Nebel von der nahen Themse verhüllte die gegenüberliegende Häuserzeile mit milchigen Schwaden und verschluckte jedes Geräusch. Es wurmte ihn immer aufs Neue, dass er aus seinem Kontor keinen vollständigen Blick auf den Tower von London hatte. Nur vom Dachgeschoss des Hauses konnte man die vier Türme mit ihren zwiebelförmigen Dächern sehen, um die die Raben ihre Kreise zogen. Sollten diese Raben eines Tages den Tower verlassen, so würde England untergehen, besagte die Legende. Walsingham empfand eine gewisse Sympathie für diese düsteren Vögel. Denn auch seine Mission war es, England vor dem Untergang zu bewahren. Deswegen versuchte er ohne Unterlass, mögliche Feinde Elisabeths aufzustöbern und drohendes Unheil von ihr und ihrer Krone abzuwenden.

Es war Walsingham zumindest ein Trost, dass er den Tower und den Tower Hill, den öffentlichen Hinrichtungsplatz, in allernächster Nähe wusste. Außerdem galt die Seething Lane als sehr gute Adresse. Dafür nahm er bereitwillig die durch die Nähe zum Fluss bedingte Feuchtigkeit in Kauf. Vor allem aber war das Haus mit seinen über dreißig Zimmern sehr groß. Und Walsingham brauchte Platz: Stallungen für die mehr als sechzig schnellen und ausdauernden Pferde, auf denen er seine Kuriere losschickte; Schreibstuben für seine Sekretäre und standesgemäße Wohnräume für sich selbst und seine Frau. Alle Fenster zur Straße hin waren mit Gittern gesichert. Der Innenhof mit angrenzendem Garten lag hinter einer hohen Mauer und das Eingangstor aus massiver, eisenbeschlagener Eiche war Tag und Nacht schwer bewacht. Kein beschriebenes Stück Papier, das dieses Haus erreichte, durfte je in falsche Hände gelangen. Denn in diesem Haus liefen die Fäden von Walsinghams Geheimdienst zusammen.

Es klopfte und Thomas Phelippes betrat das Kontor. Er war ein kleiner, drahtiger Mann, blond und bis auf sein pockennarbiges Gesicht von unscheinbarem Äußeren. Sein Spezialgebiet waren Geheimschriften und derzeit gab es auf der Welt keinen Code, den er nicht beherrschte.

»Bitte, Sir, die Nachricht aus Paris, die vor einer halben Stunde eingetroffen ist.«

»Sehr gut.« Walsingham schloss das Fenster und nahm die Papiere entgegen.

Phelippes sah zu, wie sein Dienstherr die Bögen in den Schein des Kerzenleuchters hielt. Das lange schwarze Gelehrtengewand mit der steifen Halskrause gab Walsingham ein strenges Aussehen. Jahre harter Arbeit und kurzer Nächte hatten das schwarze Haar und den Bart versilbert, die dunklen Augen umschattet und Linien in das längliche Gesicht gegraben. Die Königin liebte Spitznamen und Walsinghams südländisch anmutendes Äußeres hatte sie dazu bewogen, ihn »meinen Mohren« zu nennen. Eine Bezeichnung, die Walsingham hasste. Phelippes musste sich jedes Mal das Grinsen verbeißen, wenn er in seiner Gegenwart daran dachte.

»Hm«, machte Walsingham, als er zu Ende gelesen hatte, und strich sich über den geschwungenen Schnurrbart. Eine Geste, die Phelippes nur zu gut kannte und die nichts Gutes verhieß.

Walsingham warf die beschriebenen Seiten auf einen Stoß anderer Dokumente und wanderte mit nachdenklicher Miene um den Schreibtisch herum.

Die Rückwand des holzgetäfelten Kontors war in mehrere Dutzend Fächer unterteilt. Jedes davon wurde von einer kleinen Tür verschlossen, die den Namen einer Stadt trug: Antwerpen, Straßburg, Lübeck, Zürich, Genf, Madrid, Rom, Mailand, Florenz, Moskau . . . Über fünfhundert Korrespondenten sorgten dafür, dass der Strom an Nachrichten aus diesen Städten nie abriss. Ihre Berichte wurden gewissenhaft in diesen Fächern verwahrt. Wer einmal Walsinghams Kontor betreten durfte, begriff, wie weit sein Spionagenetz reichte – und wie viel Macht er damit in den Händen hielt.

»Diese vermaledeite Schottin«, knurrte Walsingham schließlich. Selbst wer nicht den Inhalt des entschlüsselten Schreibens kannte, das Walsingham so offensichtlich verstimmte, hätte sofort gewusst, wen er damit meinte: Maria Stuart, die Katholikin, Königin von Schottland durch Geburt, Königin von Frankreich durch Heirat. Das Schicksal war Maria Stuart nicht günstig gesonnen gewesen und hatte ihr beide Kronen wieder genommen. Von ihren eigenen Lords in Schottland gestürzt, war sie nach England geflohen, um bei ihrer Cousine Elisabeth Schutz zu suchen. »Diese papistische Natter im Gras unseres englischen Garten Eden! Verflucht sei der Tag, an dem sie dieses Land betreten hat!«

Maria Stuarts Anwesenheit in England, die nun schon über vierzehn Jahre andauerte, stellte ein Problem dar. Ein Problem, das nicht nur Walsingham Kopfzerbrechen bereitete. Maria Stuart war ein Flüchtling und von königlichem Geblüt. Aber sie stand auch unter Verdacht, an der Ermordung ihres zweiten Ehemannes beteiligt oder zumindest der Mitwisserschaft schuldig gewesen zu sein. Eine Ausweisung war dennoch undenkbar, weil man selbst mit Königinnen ohne Land nicht nach Belieben verfahren konnte. Doch je länger Maria Stuart in ihrem Hausarrest auf englischem Boden weilte, desto angespannter wurde die Lage. Durch ihre Verwandtschaft mit Elisabeth besaß Maria Stuart einen legitimen Thronanspruch. Ihr Glaube machte sie zur Galionsfigur der katholischen Minderheit in England, die die protestantische Elisabeth gestürzt sehen wollte. Und wer, von Kindesbeinen an zur Königin erzogen, würde Nein sagen, böte man ihm eine Krone auf dem Silbertablett an, zum Trost für zwei verlorene Königreiche?

»Es wäre einfacher, wenn Ihre Majestät Königin Elisabeth sich jemals vermählt und einen Erben zur Welt gebracht hätte«, ließ sich Phelippes vernehmen und zupfte nachdenklich an seinem Spitzbärtchen.

Walsingham schnaubte verächtlich. »Damit lag Lordschatzmeister Burghley der Königin seit ihrer Krönung in den Ohren. Sie tat zwar immer so, als habe sie ernsthafte Absichten. Aber als ich damals selbst die Verhandlungen mit einem französischen Kandidaten führte, wurde ich eines Besseren belehrt. Alles Taktik, Phelippes! Sie hat niemals im Traum daran gedacht, ihre Macht zu teilen. Gar nicht mal zu Unrecht. Wen hätte sie auch heiraten sollen?« Er machte eine ausholende Geste. »Einen Spanier? Einen Franzosen? Einen Engländer? Einen Protestanten oder zum Ausgleich lieber einen Katholiken? Gleich für wen sie sich auch entschieden hätte, es hätte immer eine Partei im Land gegeben, die gemurrt und gleich darauf zum Aufstand geblasen hätte! Und auch wenn sie immer noch mit dem einen oder anderen anbändeln sollte – mit neunundvierzig Jahren ist ihr Schoß längst verdorrt. Elisabeth ist und bleibt einzig mit England vermählt.« Er seufzte. »Letztlich obliegt es nicht uns, uns in die Regierungsgeschäfte Ihrer Majestät einzumischen. Unsere Aufgabe besteht allein darin, die Lage im Auge zu behalten und Schaden von der Königin abzuwenden, wo wir nur können.«

Unaufgefordert zog Phelippes sich einen Stuhl an den Schreibtisch heran und setzte sich. Gemütlich streckte er seine knochigen Beine in der taubenblauen Pumphose und den dazu passenden Strümpfen aus, die in wadenlangen Stiefeln steckten. Mit spitzen Fingern entfernte er ein Stäubchen auf Kniehöhe, ehe er sich mit selbstzufriedenem Gesicht zurücklehnte und die Hände im Genick verschränkte. Phelippes konnte sich solche Freiheiten gegenüber seinem Dienstherrn herausnehmen. Er war zu sehr ein Meister seiner Kunst, als dass Walsingham auf ihn hätte verzichten können.

»Ich hatte geglaubt, auf Schloss Sheffield sei Maria Stuart in sicherer Verwahrung, bis ich das da«, mit einem Rucken seines kaum ausgeprägten Kinns wies er auf die Papiere, die er Walsingham gebracht hatte, »entschlüsselt hatte.«

»Es gibt nichts Gefährlicheres, als sich in Sicherheit zu wiegen«, murmelte Walsingham wie zu sich selbst. »In Sicherheit«, er sah Phelippes unverwandt an, »in Sicherheit wird Elisabeth erst sein, wenn Maria Stuart tot ist.«

»Ein Meuchelmord, Sir?« Phelippes wasserblaue Augen glitzerten begierig.

Walsingham schüttelte den Kopf. »Zu plump und äußerst unklug. Das würde einen Bürgerkrieg heraufbeschwören und uns Ärger mit Frankreich und Spanien bescheren. Nein, Maria Stuart muss sterben – aber nach dem Gesetz, als Hochverräterin. Folglich«, er stützte sich mit der geballten Linken auf die Tischplatte und hob mahnend den rechten Zeigefinger, »folglich können wir momentan nur eines tun: einen unserer Agenten in die französische Botschaft einschleusen und herausfinden, ob wahr ist, was hier steht.« Sein Finger senkte sich langsam auf die entschlüsselte Nachricht. »Nämlich, dass es zwischen der französischen Gesandtschaft und Schloss Sheffield einen geheimen Postweg gibt.«

Walsingham witterte schon lange voller Unbehagen, dass im Ausland Pläne ausgeheckt wurden, die Verrat und Umsturz zum Ziel hatten. Pläne, nach denen Maria Stuart auf den englischen Thron gebracht werden sollte. Aber obwohl viele Gerüchte umherschwirrten, fehlten ihm noch die Beweise. Auch diese Nachricht aus Paris enthielt nur eine Vermutung, doch sie passte zu Walsinghams Beobachtungen der letzten Monate.

Es war ihm merkwürdig erschienen, dass in den Abschriften der Briefe an Maria Stuart, die er zu Gesicht bekam, nur noch harmlose Plaudereien zu finden waren. In der Überwachung der Gefangenen musste es eine undichte Stelle geben und er war entschlossen, diese aufzuspüren und zu schließen. Wenn er den Verantwortlichen überfuhrt hatte, dann würde er hoffentlich durch ihn an Belastungsmaterial herankommen, das ihm Maria Stuart ans Messer liefern würde.

Dienstbeflissen kramte Phelippes aus seinem dunkelblauen Wams eine zusammengefaltete Liste. Er klappte sie zur gesamten Länge aus und hielt sie dicht vor seine schon etwas kurzsichtigen Augen. Betrübt sah er auf. »Wir haben momentan keinen Agenten frei.«

»Ich weiß«, seufzte Walsingham. Er war ständig auf der Suche nach neuen Agenten und Boten. Nicht nur, dass es schwierig war, geeignete Leute zu finden. Spione waren zudem kostspielig und neben der Sorge um den Frieden des Königreiches trieben ihn des Nachts oft Geldnöte um. Denn Königin Elisabeth war nicht nur von zaudernder und wankelmütiger Natur, sondern auch knauserig – sofern es nicht um teure Kleider, Schmuck und verschwenderische Feste ging. Alle Bedenken, was die Kosten anbelangte, halfen aber nichts. Je mehr Agenten er beschäftigte, desto größer war die Chance, dass er Verschwörungen gegen Elisabeth und England frühzeitig entdecken und im Keim ersticken konnte. Wissen darf niemals zu teuer sein, pflegte er sich selbst immer wieder zu ermahnen.

»Wie dem auch sei«, Walsingham atmete tief durch und suchte das Schreiben hervor, das er verfasst hatte, ehe Phelippes das Kontor betreten hatte, »einstweilen muss das hier noch verschlüsselt und unverzüglich nach Prag geschickt werden.«

Ohne äußere Anzeichen von Missmut, dass sich sein wohlverdienter Feierabend noch eine Weile hinauszögern würde, nahm Phelippes das Papier entgegen und verließ das Kontor.

Als Walsingham wieder alleine war, sann er noch eine Weile über die Nachricht aus Paris nach. Der Kurier, den er erwartete, war noch immer nicht eingetroffen. Jetzt ins Bett zu gehen, machte keinen Sinn. Man würde ihn doch nur wieder wecken, sobald der Reiter ankam. Also machte er sich daran, einen Plan auszuarbeiten, wie sich am geschicktesten ein Maulwurf in der französischen Botschaft platzieren ließe.

Das Haus der Spione

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