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London, Mai Anno Domini 1582

Dich werde ich lehren, mit dem Teufel um die Wette zu spielen«, brüllte Pastor Hardcastle, als er Nicholas in Richtung des Pfarrhauses zerrte.

Nicholas hoffte inständig, sein Ohr würde unter dem unbarmherzigen Griff des Pastors nicht abreißen. Doch was ihn mehr schmerzte als die körperliche Züchtigung war, dass der Pastor sein Geheimversteck aufgespürt hatte. Außer Nicholas kam seit Ewigkeiten niemand mehr in den alten Kreuzgang hinter der Kirche. In der Stille der selbstvergessen vor sich hin krümelnden Säulen und Mauern hatte Nicholas sich immer sicher und beschützt gefühlt. Hier grübelte er über die Welt im Allgemeinen und sich selbst im Besonderen nach. Hier verlor er sich in Träumereien, die ihm eine glanzvolle, abenteuerliche Zukunft verhießen, wenn er nur erst groß und der Enge des Pfarrhauses entwachsen sein würde. Träumereien, die ihm die grauen Tage bei den Hardcastles leichter machten. Und nun war ihm diese Zuflucht genommen.

Aus dem Bündel im Altarraum war gut zwölfeinhalb Jahre später ein schmaler, aber zäher Junge geworden. Von mittlerer Größe, mit hellen, glatten Haaren in einer undefinierbaren Farbe hatte Nicholas so gar nichts, was einem aufgefallen wäre. Und auch seine Augen, weder blau noch grau noch grün, sondern irgendetwas dazwischen, waren nichts Besonderes. Was Nicholas meist sehr gelegen kam. Denn sich in brenzligen Momenten aus dem Staub machen und dann inmitten des Trubels auf dem Marktplatz untertauchen zu können – das erwies sich sehr oft als hilfreich. Zum Beispiel, wenn er wieder einmal die bescheidene Speisekammer des Pfarrhauses geplündert hatte. Oder wenn Prudence Hardcastles sorgsam gepäppelte Salatpflänzchen mit den fetten Schnecken verziert waren, die Nicholas in der Nachbarschaft gesammelt hatte, um sich für die Prügel vom Vortag zu rächen.

Doch an diesem Spätnachmittag hatte ihm das nichts genutzt. Irgendwie hatte Hardcastle ihn gefunden und zog ihn am Ohr hinter sich her durch die stinkenden Gassen Newgates.

Vorbei an den Metzgern, die schon morgens um fünf ihrem grausamen Handwerk nachgingen, sobald die ersten Karren vom Land durch das Stadttor gerumpelt waren, um quiekende Ferkel gegen klingende Münze ihren Henkern zuzuführen. Die Luft war schwer vom metallisch-süßlichen Geruch geschlachteter Lämmer, Hammel, Hühner und Gänse. Newgate war einer der größten Fleischmärkte Londons und die Metzger hatten jeden Tag alle Hände voll zu tun. Nicht zuletzt damit, die Heerscharen von Fliegen von den Schweinehälften fernzuhalten, was sich natürlich als aussichtsloses Unterfangen erwies.

Nicholas schämte sich. Allerdings nicht, weil er ein schlechtes Gewissen hatte. Hardcastles Schimpftiraden waren ihm vertraut, so weit seine Erinnerung zurückreichte, und ließen ihn gänzlich unberührt. Sondern wegen der Blicke der Passanten und ihres Gelächters, das seinen schmachvollen Weg säumte.

»Nicht genug, dass du die Schule schwänzt und dich herumtreibst! Ist das der Dank für unsere Mühen? Für unsere christliche Nächstenliebe?«, schalt ihn der Pastor gerade. »Haben wir dich dafür aufgenommen und großgezogen, dich beherbergt und verköstigt? Dass du dich Müßiggang und Teufelswerk hingibst?«

Wie so oft in letzter Zeit hatte Nicholas auch an diesem Nachmittag statt Psalmen und Bibelverse sowie Griechisch und Latein zu lernen im Kreuzgang mit den zerfledderten Spielkarten jongliert, die er einem Kartenkünstler abgeluchst hatte.

Denn Nicholas hatte auf der anderen Seite der Newgate Street, die die südliche Grenze des Stadtteils markierte, das »richtige« London entdeckt. Schmutzig war es dort auch und an vielen Straßenecken roch es keineswegs besser als in Newgate, aber es gab so viel mehr zu sehen und zu erleben! Händler mit ihren mannigfachen Waren, feine Herrschaften in Samt und Seide. Vor allem die Taschenspieler mit ihren Kartenkünsten hatten es ihm angetan.

Über einem besonders kniffligen Trick hatte er die Zeit und auch sonst alles um sich herum vergessen. Bis ihn von einem Augenblick zum nächsten der Pastor am Schlafittchen gehabt hatte.

In der Küche des Pfarrhauses ließ Hardcastle Nicholas endlich los und schubste ihn in Richtung des gemauerten Herdes, über dem ein Süppchen vor sich hin köchelte. Nicholas’ Ohr pochte und fühlte sich an, als sei es zur Größe eines Flaschenkürbisses angeschwollen.

»Hinein damit!« Der Pastor wies erst auf den kümmerlichen Rest des Kartenspiels, den Nicholas im letzten Augenblick hatte noch zusammenraffen können und umklammert hielt; dann auf die Flammen unter dem Kessel. Nicholas sah ihn ungläubig an.

»Aber – aber es sind doch nur Karten!«, wandte er hilflos ein, das dünne Päckchen an sich pressend.

Doch Nicholas bedeutete es weitaus mehr; es war sein einziger Schatz und das Kostbarste, was er besaß.

Aber Edmund Hardcastle schien äußerst viel daran gelegen zu sein, das steife Papier in Flammen aufgehen zu sehen. »Ins Feuer mit dem Teufelszeug«, befahl er erneut und eine ungesunde Röte machte sich auf seinem Gesicht breit.

Nicholas schüttelte trotzig den Kopf. »Nein, ich geb’s nicht her!«

»Warte nur, Freundchen, ich kann auch anders!« Der Pastor packte Nicholas’ Hand und versuchte mit Gewalt, die Finger des Jungen aufzubiegen, die sich nur fester um die Karten krampften. »Wer mit Karten spielt, spielt sich Satan in die Hände. Du kannst auch gerne eine Nacht im Gefängnis darüber brüten!«

Nicolas würgte es, als er an die elenden Gestalten dachte, die im berühmten Gefängnis von Newgate angekettet vor sich hin moderten, schmutzig, verwildert und dem Wahnsinn nahe. Doch er ließ die Karten nicht los.

Hardcastle war hager, aber er war größer und stärker. Tränen des Zorns und des Schmerzes schossen Nicholas in die Augen. Er glaubte, jeden Moment müssten seine Fingergelenke brechen, die Sehnen reißen. Mit einem Ruck suchte er sich zu befreien, und sein Ellenbogen rammte etwas Hartes. Hardcastle japste auf, schmerzhaft zwischen die Rippen getroffen, und Nicholas nutzte seine Chance. Er riss sich los und preschte vorwärts, als ginge es um sein Leben. Er rannte, vorbei an einer zur Salzsäule erstarrten Prudence Hardcastle, vorbei an der grimmig dreinblickenden Kirche, quer über die breite Newgate Street und in die Freiheit.

Das Haus der Spione

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